Archiv für den Monat Dezember 2008

John Dos Passos: Manhattan Transfer

Die metropolitane Dimension der Moderne versuchten im 20. Jahrhundert viele in eine literarische Form zu bringen, drei davon durchbrachen alle bisherigen Konstitutionsprinzipien: James Joyce mit Ulysses, John Dos Passos mit Manhattan Transfer und Alfred Döblin mit Berlin Alexanderplatz. Was Joyce mit einem gewaltigen Entwurf in der sprachlichen und introspektiven Sphäre auf der Folie von Dublin gelang, probierte im Jahr 1925 John Dos Passos mit den Mitteln der Montage im Weltlaboratorium New York.

Den Titel entlieh er den berühmten Fähren, die von Long Island und New Jersey an der Spitze von Manhattan, direkt neben dem Battery Park anlegten: Manhattan Transfer. Damit hatte er seine für den Roman alles entscheidende Metapher bereits gewählt. In einem sprachlich nicht mehr moderner denkbaren Szenario bringen die Fähren menschliches Gut auf die Insel Manhattan. An den Beispielen dieser eingetroffenen Figuren entfaltet Dos Passos eine kakophonische Komposition der Moderne, die im 20. Jahrhundert in diesem Ausmaß nur in der kulturellen und Trend setzenden Metropole New York gelingen konnte.

Da werden die Schicksale von armen Landarbeitern erzählt, die von der Geschwindigkeit und Härte des Existenzkampfes bis zum Exitus gefordert werden, da treffen sich die Schnäppchenjäger und Glücksritter, die Schauspielerinnen, Advokaten, Börsenspekulanten und Exmatrosen, die alle ein Stück von dem großen Kuchen abhaben wollen und sich in einem Konkurrenzkampf jenseits der festgelegten Spielregeln einen Showdown liefern, der immer Gewinner und Verlierer zurück lässt. Hier die Millionäre und Meister des Universums, die schalten und walten, wie es ihrem Wildwesttrieb entspricht und dort die Ausgemusterten und Ertappten, die sich in letzter Verzweiflung von den Brücken stürzen oder ihr Dasein hinter Gittern fristen.

Im Manhattan vor, während und nach dem I. Weltkrieg bestehen nicht die Guten, sondern die Starken. Individuen mit exzellenten sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen scheitern erbärmlich, die Robusten aus den Hinterhöfen schaffen es zuweilen, die in der Verfassung der Vereinigten Staaten verbriefte Jagd nach dem Glück mit grandiosem Fortune zu gestalten. Man bekommt eine Ahnung, aus welcher brutalen, blutigen und mitleidlosen Inszenierung der Satz von den unbegrenzten Möglichkeiten und die Strahlkraft des amerikanischen Traums stammen.

Dos Passos gelingt es, den Transfer des Daseins auf der Insel Manhattan in Worte zufassen. Er treibt dies mit einer Gefühllosigkeit, die grandios ist, in einem profanen, teils burlesken, teils lapidaren Ton gelingt es ihm, nicht mit seinen Figuren zu fraternisieren, sondern mit dem kalten Auge des distanzierten Betrachters die Funktionsweise des von den Individuen selbst getriebenen Mechanismus in die Haut der menschlichen Wahrnehmung wie ein schillerndes Tattoo zu stechen. Der Transfer, der in Manhattan stattfindet, bedarf nicht des Mitleids, weil er ein Konkurs ist, in den sich alle Akteure freiwillig begeben haben und dessen Konsequenzen alle kennen.

Montagehaft irren die menschlichen Programme zeitgleich nebeneinander her, glitzernde Ballsäle mit opulenten Tafeln und Hinterhöfe mit fischigen Müllhalden bilden ein und dasselbe Dekor für die mit fletschenden Zähnen aufeinander treffenden menschlichen Kreaturen, die im Kampf zuhause und denen die meisten Gefühle des zivilisierten Bürgers abhanden gekommen sind. Was hingegen bleibt, das ist der Stolz der Gewinner, es auf diesem Pflaster geschafft zu haben und so entwickelt sich eine Intimität der New Yorker untereinander, die bis heute geblieben und wohl in dieser Dimension einzigartig ist: Das Band einer globalen Überlebenselite, das vom Straßenjungen bis zum Multimillionär reicht.

John Dos Passos ist in Manhattan Transfer ein Wurf gelungen, der zur Entschlüsselung der metropolitanen Moderne einen gewaltigen Beitrag geleistet hat. Und die Aktualität hat bestand, die Inszenierung lässt sich einfach nicht historisieren.

Die Arithmetik der Brunnenfrösche

Wenn man einem potenziellen Käufer einen Anreiz im Wert von ca. 150 Euro gibt, so wird ihn das sicherlich veranlassen, eine Investition von 20.000 Euro zu tätigen. Oder wenn man jedem Bundesbürger 200 Euro in die Hand drückt, dann wird er oder sie immerhin die Hälfte davon gleich in den Konsum tragen. Oder wenn man die Krankenkassenbeiträge senkt und den Differenzbetrag staatlich subventioniert, dann wird das sicherlich die Wirtschaft ankurbeln und der Konjunktur auf die Sprünge helfen.

Derartige oder ähnliche Spekulationen, ausgelöst durch die vorweihnachtlichen Gedankenspiele einer ganzen Politikerklasse, jagen momentan durch die mediale Welt und leisten für sich genommen den größten Beitrag zur Freude am Feste Christi Geburt. Dokumentieren diese, immer wenige Zentimeter unter der Grasnarbe liegenden Szenarien doch den allgemeinen, tendenziellen und absoluten Fall der Technokratie. Nicht, dass die Denkweise der Instrumentalisierung mit allen Konsequenzen ausgedient hätte, aber die Träger der Idee, Politik ließe sich mit Rechnerei gestalten, die werden im neuen Jahr zunehmenden Legitimationsproblemen ausgesetzt sein.

Ihre separierte und derangierte Arithmetik nämlich, dass sich die Bedürfnisse von Menschen und deren Wünsche über die Entschlüsselung von Statistiken erschließen lassen, die wird wohl kaum noch einen Charme ausüben auf diejenigen, um die es geht. In einer Gesellschaft, in der das nackte Überleben auf der einen, und die Ratlosigkeit über eine sinnvolle Geld- und Investitionsanlage auf der anderen Seite besonders groß sind, eine solche Gesellschaft bringt ihren durcheinander gebrachten Markt nicht wieder mit ein Paar Prozentpunkten mehr oder weniger der staatlichen Subvention zum Funktionieren.

Eine Wahrnehmung der Markt- und Arbeitsstrukturen auf unserem Globus wäre da genauso vonnöten wie eine Vorstellung davon, was Menschen zu konstruktivem wirtschaftlichen Handeln motiviert. Und ein Blick darauf bietet gleich die Möglichkeit, eine Idee davon zu erhalten, wie frei der homo oeconomicus zu sein hat, bevor er sich mit seinem Handeln identifiziert und das Risiko bereit zu tragen ist. Bürokratische Schranzen, die tabellarisches Interpolieren mit Politik verwechseln und denken, das Schema der Berechnung ersetze den Willen zur Gestaltung, besitzen nicht die Fähigkeit, eine globalisierte Entwicklung verantwortungsvoll zu steuern.

Wir erleben, wie die Prothesengötter mit ihren phallischen Instrumenten in den Himmel deuten, um der Masse die Illusion zu suggerieren, sie besäßen den Draht, um eine Krise zu lösen, die an keiner Grenzstation Halt zu machen bereit und fähig ist. Die Blitze der Erleuchtung vortäuschend, suchen sie zu verbergen, wie begrenzt die eigenen begrifflichen Möglichkeiten noch geblieben sind. Und diejenigen, denen sie dieses Stück aufführen, beginnen sich zu fragen, ob sie ihren Augen noch trauen sollen, ob der Gewissheit, wie dürftig die schauspielerische Leistung, die Regieanweisung und schon gar die literarische Vorlage ist.

Im schönen Asien pflegt man zu sagen, es sei nicht möglich, sich mit einem Brunnenfrosch über den Ozean zu unterhalten. Das weiß man dort schon seit langem, und eigentlich auch hier im Westen. Nur scheint es zu sein, dass wir in Zeiten der Krise gerade begreifen, wer die eigentlichen Brunnenfrösche sind. Und das ist doch ein Grund zur Freude, in einer globalen Welt!

Die Geographie der Regierungsform

Erstaunlicherweise spielen die Klimazonen in der staatlichen Konstituierung und Regierungsform eine nicht unerhebliche Rolle, auch wenn die Typisierung im Einklang mit der Globalisierung ins Wanken geraten ist. In den Tropen ist die Konstitution fast völlig unerheblich, ob Monarchen oder Demokraten, Diktatoren oder Volkstribune regieren, ob präsidial oder föderal: Man nimmt es nirgendwo so genau, der Lebensstil hebt sich wohltuend von der Staatsdoktrin ab, die Beamtenschaft ist korrupt und irgendwie geht das Leben weiter. Meist hat man viele Ressourcen, und notfalls veräußert man das Recht an Dritte, Emsige, die sie ausbeuten und den Goldzins neben der Kokosnuss liegen lassen.

In den Wüsten dieser Welt herrschen meist die Autokraten mit harter Hand, die Peitschenschläge erschallen unter der unbarmherzigen Sonne. Zumeist treibt es eine familiäre Oligarchie in der Nacht mit allem und allen, die Geschäfte blühen und Bakschisch ist das Schmieröl für die rigide Staatsführung. Der Reichtum stammt ausschließlich aus dem Öl, und wer es besitzt, hat das Recht auf göttlichen Wohlstand, und wer es nicht besitzt, hat keine Existenz. Wer nicht zu den Erlesenen gehört, der träumt von einer anderen Welt jenseits des Irdischen, denn es ist schlimm bestellt um sein Schicksal und auf Besserung besteht keine Hoffnung.

Die gemäßigten Zonen wiederum zeichnen sich zumeist durch wirtschaftliche Blüte und politische Vernunft aus. Das liegt an vielen Einschränkungen, denen die Menschen in diesem Klima unterlagen. Da gab es nichts in Hülle und Fülle, nein, alles musste hart erarbeitet und konserviert werden und somit entwickelte man neben den vielen Reichtümern auch Eigenschaften, die den größten Reichtum im Stadium der Zivilisation bilden: Disziplin und Mäßigung als kollektive Qualität. Die Demokratien in den gemäßigten Zonen sind moderat und das Prinzip des Staatswesens ist zumeist der Konsens. Die Reichen sind reich wie überall auf der Welt, die Armen sind arm wie überall. Nur weil selbst Armut in den gemäßigten Zonen wesentlich teuerer ist als in den Tropen oder der Wüste, zahlt der Staat den Armen etwas dazu, damit sie so leben können wie die Armen überall auf der Welt.

Dass das Leben ungerecht ist, scheint eine Gewissheit zu sein, an der wir noch über Generationen zu knabbern haben werden, aber dennoch ergibt die Welt in ihrer geographisch-politischen Ordnung noch irgendwo einen Sinn. In den Tropen werden die Menschen morgens von den Schreien wilder Affen und Papageien geweckt, in den Wüsten versteckt man sich hervorragend vor der Autokratie und in den gemäßigten Zonen genießt man den Segen der elektronischen Information.

Schlimm wird es nur, wenn sich die Güte der Regierungsführung im Rahmen der Globalisierung vermischt, weil die Werte, mit denen die jeweiligen Eliten ausgestattet sind, einem globalen Prozess der Nivellierung ausgesetzt sind. Und wir, hier in den gemäßigten Zonen, wir können nur für unsere Verhältnisse Zeugnis abliefern. Aber werden unsere Regierungen und Staatsapparate nicht immer unfähiger, korrupter und verantwortungsloser? Demoralisieren sie uns nicht täglich mehr, weil sie uns mit einer Impertinenz vorleben, was dem Anstand einer gemäßigten Zone so gar nicht entspricht? Nicht selten haben wir bei der Lektüre der Zeitung den Eindruck, als lebten wir in einer Bananenrepublik. Nur wecken uns morgens weder Affen- noch Papageienschreie, es wachsen keine süßen Früchte an den Bäumen, es ist nicht warm und die Sonne scheint auch nicht für uns. Und das ist einfach ungerecht!