Archiv für den Monat Februar 2009

Die Qualität der Politik manifestiert sich im Kriege

Patrick Rambaud. Die Schlacht

In einem Zeitalter, in dem so genannte lokale Kriege simultan zu hunderten den Globus überziehen, ist es jenseits des investigativen Journalismus eher unüblich, sich mit dem Sujet des Krieges vor allem in Romanform zu befassen. Der Franzose Patrick Rambaud hat sich Ende der neunziger Jahre an dieses Thema gewagt, mehr noch, er wählte eine Schlacht aus dem neunzehnten Jahrhundert, um einiges zu verdeutlichen, was bei der Fülle gegenwärtiger Kriege seltsamer Weise aus dem Blickfeld geraten ist. Im Jahre 2002 erschien sein historischer Roman „La Bataille“ erstmals in deutscher Übersetzung.

Der Roman befasst sich mit der Schlacht zwischen der französischen und der österreichischen Armee im Jahre 1809 vor den Toren Wiens, genauer gesagt bei Aspern und Eßling an der Donau. Handlung wie Dramaturgie sind einfach zu beschreiben. Ein abgehetzter, alternder wie erfolgverwöhnter Napoleon will die österreichischen Streitkräfte im Handstreich schlagen, erdenkt sich eine Finte, um einen Angriff der Österreicher, die das vor vier Jahren durch die Franzosen besiegte Wien zurück erobern wollten zu provozieren und sucht die Schlacht auf der Insel Lobau. Durch gezielte Aktionen gelingt es den Österreichern, die Versorgung, den Nachschub und frische Truppen für die französische Armee zu unterbrechen, was ihnen durch die Zerstörung der Pontonbrücken gelingt. Es entbrennt eine dreißigstündige Schlacht, in der 40.000 Soldaten getötet und 11.000 verwundet werden. Die erste große, verheerende Materialschlacht des Krieges der Neuzeit ging mit diesem Ereignis in die Annalen ein, ohne dass die in ihr schlummernden Kenntnisse geborgen wurden.

Ohne dieses Ereignis und seine Ausmaße sind die späteren Kriege in den Folgejahren und die anti-napoleonischen Befreiungskriege im Osten Europas wohl nicht denkbar. Und ohne letztere wären die Überlegungen eines Carl von Clausewitz in seiner revolutionären Schrift „Vom Kriege“ wohl nicht zu Papier gebracht worden. Wenn man Rambaud genau liest, sind die Spuren allerdings zu finden. Nicht, dass er es versäumte, mit der Perspektive eines Aufklärers unterschiedliche Wirkungen des Krieges auf die verschiedenen, an ihm beteiligten Stände genau zu beschreiben. Da sterben einfache Infanteristen, die zuvor noch stolz darauf waren, ein Paar Lederstiefel von einem toten Kameraden ergattert zu haben genauso wie Marschälle, die an der Seite Napoleons schon unzählige erfolgreiche Schlachten geschlagen haben und von Status und Vermögen nahezu überladen sind. Da fehlt es nicht an Vergewaltigungen, ebenfalls einem der Wesenszüge des Krieges, wie an der körperlichen und seelischen Verstümmelung und da kommt der Tod daher wie der einzige und rechtmäßige Wahrer der Gerechtigkeit.

Die eigentliche Schlüsselszene spielt sich in der Schlacht ab, da einem Soldaten durch eine Kanonenkugel der Kopf abgerissen wird, und aus seinem Halstuch Goldmünzen auf das Schlachtfeld rollen, die er in vielen Kämpfen gesammelt hatte. Als sie von anderen Soldaten aufgesammelt werden, stellen diese mit Enttäuschung fest, dass sie nichts mehr wert sind, weil auf ihnen die Gravur der Einheit der Nation und der Gleichheit ihrer Bürger zu lesen ist. Diese Münzen gelten in Frankreich nichts mehr, weil sie durch andere ersetzt wurden und diese Sentenz auf den neuen Geldstücken fehlt. Das Frankreich Napoleons im Jahre 1809 hatte seinen revolutionären Elan eingebüßt, es war zu einer statischen, imperialen Macht verkommen. Der Krieg, schrieb Clausewitz, ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Und die Politik, die diesem verheerenden Krieg vorausging, konnte an den Mitteln seiner Führung genau beschrieben werden.

Nica´s Dream

Baronesse Pannonica De Koenigswarter: Die Jazzmusiker Und Ihre Drei Wünsche

Die Liebe zum Jazz trieb die junge Britin früh in die Metropole New York, wo die Adelige aus dem Hause Rothschild den Rest ihres Lebens verbringen sollte. In dunklen Bars und Clubs, aufmerksam den Pionieren eines neuen, über Jahrzehnte diskriminierten Genres lauschend, unsichtbar und dennoch vieles zusammenhaltend. Charlie Parker nahm in ihrer Wohnung Zuflucht, weil er nicht ins Krankenhaus zum Sterben wollte und Thelonious Monk residierte fast ein Jahrzehnt in ihrem berühmten Cathouse, weil es voller Katzen und Jazzmusiker war.

Schon früh begann die Passionata des Jazz, mit einer Polaroidkamera Fotos von denen zu machen, die aus heutiger Sicht fast alle im Pantheon des Jazz ein Zuhause haben. Von den fünfziger bis zu ihrem Tod in den achtziger Jahren blieb sie bei ihrem einfachen wie bestechenden Konzept: Sie fotografierte und fragte die auf Zelluloid gebannten Protagonisten des Jazz nach ihren drei wichtigsten Wünschen. Die Fotos sind allesamt einzigartige Dokumente von Getriebenen einer Idee, die zärtlich an ihren Instrumenten hängen und deren Blicke stets etwas Flüchtiges haben, wie Menschen, die auf einer heißen Spur sind und nicht abgelenkt werden wollen. Nicht unfreundlich gegenüber der Aufnehmenden, aber eben doch etwas ge- oder verstört, weil sie doch so nah dran sind, an der Idee von etwas Neuem, an einer Fährte von etwas Verwegenem oder an dem Anblick eines Abgrunds, der wiederum eine irrwitzige Idee verbirgt. Abgelichtet vom Skript einer alten, hammerschweren Schreibmaschine sind die Wünsche auf vergilbtes Papier geworfen, wo viel von Ruhm, Frieden, der Freiheit von Diskriminierung, von vielem Geld, von Sex und unbändiger Liebe zu lesen ist.

Ob von Thelonious Monk, John Coltrane, Miles Davis, Charles Mingus, Ornette Coleman, Horace Silver, Duke Ellington, Art Blakey, Ben Webster, Cannonball Adderley, Kenny Clarke, Art Pepper oder vielen anderen, Pannonica de Koenigswarter, die bei den Musikern nur Nica, oder the baronesse hieß, sie fragte sie ausnahmslos und erhielt Antworten, die gar nicht mit den Bildern korrespondieren. So sehr die geäußerten Wünsche eine wunderbare und aufschlussreiche Dokumentation darüber geben, wie die sozial meist schlecht gestellten und gesellschaftlich unterprivilegierten Größen des avantgardistischen Jazz dachten und mit welchen Problemen sie täglich zu kämpfen hatten, sie verraten nicht das Geheimnis, das aus den sie flüchtig festhaltenden Fotos spricht. Da sieht niemand so aus, als ginge es ihm exklusiv um Geld oder Sex, um Ruhm oder den Weltfrieden.

Vielmehr drängt sich aus den Körperhaltungen und Physiognomien dieser Giganten der Eindruck auf, als wollten sie nicht abgelenkt werden durch die Misslichkeiten des Alltags von Underdogs, um sich konzentrieren zu können auf die alles entscheidenden Tempi und Tonartfolgen, auf die Klarheit der Töne und die wohl inszenierten Dissonanzen ihrer klangvollen Eroberungen, denen sie hinterher wie voraus eilten, ohne dabei vom Größenwahn getrieben oder elitären Hirngespinsten bestochen zu sein. Dass es einer Frau, die alle Potenziale gehabt hätte, den Trug der Statusorientierung auszuleben, aber stattdessen entschied, sich aufopferungs- und genussvoll denen hinzugeben, die in einer anderen Dimension lebten, ist vielleicht das Geheimnis von Nicas wunderbarem Erfolg. In mehr als zwanzig Jazztiteln wurde sie verewigt, die große Dramaturgin bloßer Beobachtung, und Nica´s Dream von Horace Silver fängt dieses Geheimnis ebenso subtil wie gefühlvoll ein.

Furore in der Grande Nation

Ob Anständigkeit eine revolutionäre Tugend ist, das wurde nicht zu Unrecht schon zu Urzeiten des Aufstands bezweifelt. Vor allem im Mutterland der bürgerlichen Revolution ging es immer etwas derb, etwas korrupt und auch sehr utilitaristisch zu. Robespierre, Danton oder Marat, das waren Machtmenschen, die ohne große Manierismen holten, was ihnen aus ihrer Sicht zustand. Umso wundersamer, dass ein Begriff wie der Anstand in den letzten Wochen in der Lage war, Millionen Franzosen in den Streik und auf die Straße zu bringen.

Vielleicht hat ja auch die Personifizierung zuweilen eine mobilisierende Kraft, denn das, was die Franzosen derzeit so aufregt, ist die Unanständigkeit des Präsidenten. Sarkozy heißt das Zauberwort der Massenmobilisierung, weil eben dieser Präsident ins Amt kam, um die französische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Bei all dem Fortune, das dieser Sohn eines ungarischen Einwanderers in seinem Leben schon hatte, mutet es schon fast an wie ein lauer Zug der Gerechtigkeit, dass er gerade auf dem Feld, wo er sich kompetent fühlt, mit einer Weltwirtschaftskrise konfrontiert wird, für die und für deren Dimension er nun wirklich nichts kann.

Unsere mal heißblütigen, mal nonchalanten Nachbarn würden ihn wohl dafür auch nicht verantwortlich machen, wenn er nicht genau so reagiert hätte, wie das die Seele der Grande Nation gar nicht so gern hat: Sarkozy verfolgt eine Sanierungspolitik, die als höchst ungerecht erlebt wird. Die milliardenschwere Subventionierung von Unternehmen geht einher mit Entlassungen und Lohnsenkungen, und das geht nun mal nicht, wenn man die Egalité mit der Muttermilch schon ins Schnäbelchen geträufelt bekommen hat. Was dem deutsche Michel jenseits des Zauns im Osten erst gar nicht auffällt, reicht in Paris, um den Ausnahmezustand auszurufen.

Frankreich, das sich immer in einer gewissen Sonderrolle gefiel, es aber nicht undurchdacht selbst als eigene Identität versteht, hat sein eigenes Konzept von einem Staat und wie er funktioniert. Die Republik ist sozialistischer in Bezug auf die politische Administration der Wirtschaft und kapitalistisch-libertärer hinsichtlich der bürgerlichen Freiheiten. Der Staat als Regulator der bürgerlichen Existenz ist derart verpönt, dass viele politische Analogien mit Ländern wie der Bundesrepublik nie möglich werden.

Das Burschikose, die Verliebtheit in die Raffinesse, das mögen unsere liebenswerten Nachbarn hingegen sehr, und deshalb wurde es auch möglich, dass so ein ungarischer Husar wie Nicolas Sarkozy gar Präsident wurde. Nur verkauft er das, was er macht, ohne den Bezug zur Fraternité und Egalité, und das wird ihm letztendlich zum Verhängnis werden. Man stelle sich vor: als die CGT den Streik gegen die Unanständigkeit des Herrn Präsidenten ausrief, da lag plötzlich auch der Handel an der Börse still. Nicht, weil die Börsianer vor den Streikenden geflohen waren, nein, sie reihten sich ein und protestierten mit!