Archiv für den Monat April 2009

Zwischen Schweinegrippe und Genkartoffel

Böse Zungen setzen immer wieder das Gerücht in Umlauf, anhand der täglichen Journale der politischen Klasse könne man sehen, inwieweit ein Land über eine politische Zukunft verfügt. Diese Behauptung geht davon aus, dass das, was Politik konkret leistet, mit einer wahrscheinlichen Prognostik vereinbar ist. Gut, wird der kluge Leser sagen, das muss man sich einmal konkret ansehen, sonst bleibt die Aussage eine Plattitüde, auch wenn sie stimmen mag, lasst uns doch erstmal sehen, was uns die praktische Anwendung bringt.

Schlagen wir die heutigen Zeitungen auf und blättern diese willkürlich die letzten Monate etwas rückwärts, so lassen sich folgende Themen als die Haupttätigkeits- bzw. Diskursfelder der Politik ausmachen: Genkartoffel, Schweinegrippe, Genmais, Abwackprämie, Konjunkturpaket, Bankenkonsolidierung, Kreditsicherung, Verschärfung des Waffengesetzes, Internetwarnung bei Kinderpornos, volle Pendlerpauschale, Mindestlohn etc.

Die Auswahl der Begriffe folgt ihrem quantitativen Auftreten bei den Äußerungen der politischen Protagonisten, ihre Reihenfolge ist beliebig. Auffällig jedoch ist, dass es sich um Begrifflichkeiten handelt, die sich mit Ausnahme von der Frage nach Genfruchtgut allesamt auf einer Ebene bewegen, die nichts mit einer positiven Gestaltung des Neuen zu tun hat. Im Grunde genommen übernimmt der Staat Aufgaben auf der Sachbearbeiterebene und zwar in einem Ausmaß, das alles verdrängt. Es wird nicht mehr die Frage gestellt, was man für die Gesellschaft oder die Nation erreichen will, sondern wie letztere geschützt werden kann vor Phänomenen, die so keiner wollte und die großen Schaden anrichten können.

Durch die strategische Inkompetenz beflügelt erscheinen viele Dinge tatsächlich als etwas Exterristisches, um biblische Vergleiche erst gar nicht zu bemühen, obwohl selbst dies von sozialdemokratischer Feder im Falle der Heuschreckenmetapher sogar schon bewerkstelligt wurde. Die politische Klasse hierzulande ist mittlerweile sogar zu einem Garanten für die Unerklärbarkeit der Welt geworden, weil ihr selbst der Mut fehlt, für ein Weltbild und eine damit verbundene Welterklärung zu stehen. Vom Konsensgedanken teilweise bis zu Idiotie konditioniert, springt sie auf Phänomene, die durchaus von Menschenhand designt wurden und die mit einem klaren politischen Willen und einer bewusst gestaltenden Politik auch anders hätten verlaufen können. Aber wer keine Vorstellung davon hat, wie die Welt zu gestalten ist oder wem der Mut fehlt, sich zu einem Gestaltungsprinzip zu bekennen, der wird wie eine leere Plastiktüte im Winde getrieben durch die Straße der Ereignisse.

Weder werden die essenziellen Probleme benannt, noch an Lösungen gearbeitet. Stattdessen versucht man sich an Erscheinungen zu verkünsteln, und selbst das vermittelt meist einen hasenherzigen Eindruck. Das alles sieht nicht nach Zukunftsarchitektur, sondern nach Notstandsverwaltung aus und somit ist die eingangs aufgeworfene Frage auch beantwortet. Politik, die gestaltet, muss die Welt im Blickfeld haben und sich die globale Interdependenz von Wirtschaft und Politik vor Augen führen. Doch das ist nicht in Sicht, da pendelt man lieber ganz pauschal zwischen Schweinegrippe und Genkartoffel, aber rein lokal, versteht sich!

Plädoyer für ein globales Immundesign

Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik

Der Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Peter Sloterdijk, fährt fort, sich der heiklen Themen unserer Zeit anzunehmen. Nach Im Weltinnenraum des Kapitals (2005), Zorn und Zeit (2006) und Gottes Eifer (2007) erschien nun, im Jahr 2009, ein neues Werk von über 700 Seiten, in dem sich der stets produktive und geistreiche Diagnostiker der Frage widmet, wie es mit dem homo sapiens in der nicht mehr separierbaren globalen Welt weiter gehen soll.

Ausgehend von dem Rilke-Zitat aus dem Archäischen Torso Apollos, welcher zur Zeit der Hospitation des Poeten in der Bildhauerwerkstatt Auguste Rodins entstand, „denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern“, begibt sich Sloterdijk auf eine analytische Reise von der Vor-Moderne bis heute. Die alles entscheidende Frage ist dabei die, inwieweit es dem Menschen gelingen konnte, sich aus den Kontexten der Gesellschafts- und Menschheitsverantwortung zu exkulpieren. In antiken Existenzformen gelang dieses noch mittels des religiösen Asketismus, der zum einen gewährleistete, sich aus dem In-der-Welt-Sein zu verabschieden, indem die Entsagung des Irdischen durch eine asketische Existenzform gelingen konnte. Zum anderen jedoch bewirkte der Asketismus eine Form der Disziplin, welche Grundlage zur synthetisch reinen Form der Übung an sich und damit dem Superlativ der Professionalisierung werden konnte.

Sloterdijk dokumentiert anhand unzähliger Beispiele, wie die Jenseitigkeit der religiösen Enthaltung in eine übersteigerte Form der existenziellen Übung wurde, die heute die Grundlage des superlativistischen Anspruchs in allen gesellschaftlichen Disziplinen und Berufsbildern wurde. Die Adaption des übersteigerten Übungsethos führte zur Eliminierung der fundamentalen Erklärungsfähigkeit der Religion. Daher sind nach Sloterdijk alle Prognosen einer Renaissance der Religion als Reaktion auf die große Krise der Gattung Mensch auch nicht mehr praktikabel. Sie besitzen durch die Säkularisierung in die tägliche Lebenspraxis der modernen Gesellschaften keine Attraktion mehr, weil sie weder Erholung noch Innovation zu versprechen in der Lage sind.

Durch das Zusammenrücken der Welt in den letzten zwei Jahrzehnten und die globale Vernetzung auch der regionalen Netzwerke können die einstmals probaten Schemen der Weltflucht keine Linderung mehr bieten. Ganz im Gegenteil, sie desavouieren sich durch ihre lokale Begrenztheit und sind eher als Ursache der Kooperationskrisen zu deuten als deren Lösung. Das gilt sowohl für den Islam wie für das Christentum und den mit diesen Religionen assoziierten Werten. Und es gibt kein existenzielles Phänomen mehr, das durch sein lokales Erscheinen kalt lassen kann, weil es in chaotischer Weise global wirken wird.

Eine Notwendigkeit sieht Sloterdijk in dem Design eines globalen Immunsystems, in dem die Kooperation der diversen Fraktionen der Weltgesellschaft im Vordergrund zu stehen hat und das Einvernehmen über die globalen Folgen lokalen Handelns im Vordergrund stehen muss. Sloterdijk nennt dies Ko-Immunismus. Angesichts der multiplen Krisen wieder ein über-dimensioniertes Unterfagen, das nichts anderes übrig lässt als das bereits im Titel formulierte Fazit: Du musst dein Leben ändern!

Ohne Konsummarken droht der Häuserkampf

Man mag es glauben oder nicht, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sommer gab gestern zu Protokoll, dass er mit wachsenden sozialen Spannungen rechne, falls die Bundesregierung ihr Konjunkturprogramm nicht fortschriebe. Bis dato ist zwar nicht deutlich, ob die verschiedenen Maßnahmen, die sich vor allem auf die Erleichterung des Konsums beziehen wie z.B. die Abwrackprämie, die im Volksmund längst Kultstatus unter dem Namen Abfuckprämie genießt, in irgend einer Weise eine die Konjunktur beschleunigende Wirkung haben. Nicht zu Unrecht werden Zweifel formuliert, ob es legitim und vernünftig ist, a) bestimmte Branchen zu begünstigen und b) selbst die begünstigten Branchen aus ihrem Benefit einen Einfluss auf die Binnenwirkung der nationalen Ökonomie auszuüben vermöchten.

Dass der Gewerkschaftsvorsitzende aber eben diese Maßnahmen meinte, verstand sich von selbst, denn die ganz anders dimensionierten Stützungspakete für die verzockte Bankenlandschaft hatte er explizit verurteilt. Da stellt sich die berechtigte Frage, wieso ein Gewerkschaftsboss eigentlich Angst vor dem Anwachsen sozialer Spannungen haben kann. Diese Krise, von der wir sprechen, hat vielen Menschen zum ersten Mal gezeigt, wo es im Argen liegt und dass das Wirtschaften im Allgemeinen eine hoch politische Sache ist. Die Krise ist eine Lehrstunde für Anfänger, um zu sehen, wie sich Gesellschaften spalten können in Fraktionen, die einen positiven Beitrag leisten und Wohlstandsverwahrlosten, die kein soziales Verantwortungsgefühl haben. Letzteren und politisch diese Begünstigende bekommt man in der Regel nicht mit einem schimpfenden Zeigefinger in den Griff, sondern nur durch massiven Druck mit politischen Konsequenzen. Ein derartiger Druck entwickelt sich aus sozialen Spannungen, vor denen der Gewerkschaftschef so ausdrücklich warnt.

Und welches Bild, bitte schön, hat der Mann denn von den Massen, dass er ihre Domestizierung von irgendwelchen Schnäppchen und Konsumanreizen abhängig macht? Zyniker könnten behaupten, das Bild sei recht realistisch. Ob es sich politisch für einen Führer der Arbeiter und Angestellten ziemt, ist leicht beantwortet: Nein! Denn er führt einen Zusammenschluss von Millionen Arbeitnehmern, die sich in einer Satzung darauf geeinigt haben, wirtschaftliche Teilhabe mit der Formulierung politischer Interessen zu verbinden. Und gerade das ist jetzt mehr gefragt denn je.

In einem Jahr, in welchem die Wiedervereinigung Deutschlands zum 20. Mal gefeiert werden wird, sollte die politische Entwicklung unseres Landes auch genauer unter diesem Aspekt beleuchtet werden. Dieses wird von nun ab in loser Folge von dieser Stelle aus geschehen. Die Anmerkung des deutschen Gewerkschaftsbosses Sommer zum Beispiel, mit Konjunkturpaketen den Häuserkampf verhindern zu sollen, spricht schon einmal für eine Ossifizierung des gesamten Landes: Entmündigung der Massen durch das soziale Sandmännchen und Bürokraten, die den Aufstand schlimmer fürchten als den Tod!