Archiv für den Monat Mai 2009

Fußball ist unser Leben

Die Bundesligasaison ist vorbei und mit den fest stehenden Absteigern und dem neuen Meister können Schlüsse gezogen werden, die wie immer durchaus eine gesellschaftliche Dimension besitzen. Denn kaum eine Disziplin sagt nach wie vor mehr aus über das Leben, das wir führen, wie der Fußball. Die archetypischen Urtriebe der Jäger finden in ihm ihre moderne Form, der Fußball entwickelt sich mit den sozialen Ausdrucksformen weiter und hält uns den Spiegel vor. Das alte Paradigma der Männerdomäne wurde längst abgelöst durch den zivilisierenden Einfluss der Frauen, egal ob aktiv oder passiv. Und somit wurde ein erneuter Beweis geliefert für die Anpassungsfähigkeit dieser athletischen Disziplin, die nach den darwinschen Entwicklungsgesetzen die besten Chancen hat, viele von uns zu überleben.

Mit dem Furore machenden Aufsteiger TSG Hoffenheim ging es los, die euphorisierende Idee einer einzigartigen Jugendförderung schmolz doch in starkem Maße dahin, als klar wurde, dass sich hinter dieser Leitidee eine versüddeutschte Afrikaauswahl verbarg, was so neu in der Liga nicht ist. Den Sponsor zu verschmähen, das gelang auf Dauer nicht, da der Mann durchaus für ein modernes Mäzenatentum steht, das Zukunft haben wird in diesem Land. Der Leitartikel Hoffenheim wird in naher Zukunft zu einem mittelmäßiger Slogan changieren, im positiven Sinne versteht sich.

Mit den Absteigern Karlsruhe, Bielefeld und vielleicht Cottbus wurde klar, dass familiäre Strukturen in der Vereinsführung passé sind, wenn sie nicht korrelieren mit einem gewaltigen Familienvermögen. Wertarbeit alleine taugt nichts mehr in einem überaus harten Konkurrenzkampf, die Machtdemonstration mittels bloßem Können schüchtert niemanden mehr ein, nur eine virtuelle Inszenierung mit gewaltigen Finanzarsenalen bringt in der sozialen Vergleichsfigur noch die innere Ruhe. Wer das nicht aufbieten kann, beginnt im entscheidenden Moment zu flattern und verliert das letzte Hemd, ob gerechtfertigt oder nicht.

Der alle Jahre wieder gesetzte Platzhirsch Bayern München wollte mit der Zeit gehen und sich methodisch verjüngen, was in den Anfängen hängen blieb, weil der engagierte Trainer Klinsmann erstaunlicherweise die interkulturelle Kompetenz für sein eigenes Heimatland verloren hatte. Er kam mit einem amerikanischen Motivationskonzept an die Isar, das von der eigenen Überlegenheit ausgeht und die kritische Distanz zu sich selbst liquidiert. Das führt zu Überheblichkeit und Fehlern und untergräbt das eiserne Streben nach Höchstleistung. Für derartige Hurra-Ideologie war selbst die bayrische Metropole zu aufgeklärt, was Anlass zu wahrer Freude sein sollte.

Und was den Meister Wolfsburg angeht, so könnte der Zeitpunkt von keinem Regisseur perfekter gewählt worden sein! In einem Jahr der Weltfinanzkrise und der Renaissance der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland musste ein Staatskonzern das Rennen machen. Die Einigartigkeit des Erfolgs lag daran, dass dieser Konzern einen Manager verpflichtet hatte, bei dem der Machtanspruch das gleiche Format wie der nach Höchstleistung annahm, was wiederum in keinem Maße der von uns erlebten Realität im letzten Jahr entsprach. Das sind allerdings Sternstunden, die es jeweils nur einmal gibt. Insofern ist es keine Großtat vorher zu sagen, dass der VFL Wolfsburg genauso furchtbar enden wird, wie die geplante Verbeamtung der halben Arbeitswelt dieser Republik, in der das Betriebsergebnis keine Rolle mehr spielt. Wie dem auch sei: Wer sich in der Welt des Fußballs bewegt, der hat gewaltige Chancen, auch ganz andere Erscheinungen zu begreifen!

Die destruktive Kraft des kleinbürgerlichen Milieus

Julien Green. Leviathan

Der in Frankreich im Jahr 1900 geborene Sohn eines amerikanischen Geschäftsmannes Julien Green lebte dort bis nach dem I. Weltkrieg, ging dann in die USA, wo er bis 1945 blieb, um in sein Geburtsland zurückzukehren, wo er bis zu seinem Tod 1998 zahlreiche Romane schrieb. Sein bis heute von der Kritik als bedeutendstes Werk gefeiertes ist der Roman Leviathan, der im Jahr 1929 erschien und zuletzt von der Bibliothek der Süddeutschen Zeitung 2004 wieder aufgelegt wurde.

Die Handlung des Romans lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Der aus Paris stammende und in der französischen Provinz lebende Privatlehrer Guéret erfährt eine große Enttäuschung in seiner Liebe zu der jungen Wäscherin Angèle, als er erfährt, dass diese schon über beträchtliche Erfahrung im Gewerbe der Prostitution verfügt. Von unerträglicher Demütigung getrieben, misshandelt Guéret das Mädchen, flieht und tötet auf seiner Flucht einen alten Mann, von dem er glaubt, er stelle sich ihm in den Weg. Guéret taucht unter, kommt aber an den Ort seiner Tat zurück, wo er letztlich das Opfer zweier Frauen wird. Die eine verzeiht ihm nicht die Liebe zu dem jungen Mädchen, die andere, die Zuhälterin des Mädchens, nicht die Zerstörung ihrer Einnahmequelle durch die Misshandlung. Kongenial liefern diese beiden Frauen Guéret ans Messer und das Mädchen stirbt auf dem Weg zu selbigem, der ihr nach einem nochmaligen Treffen versprochen hatte, mit ihr zu fliehen und das Land zu verlassen.

Ist die Handlung an sich keine Geschichte, die als Garantie für literarischen Ruhm ausreichen würde, so erwirbt sich die Schilderung des kleinbürgerlichen Milieus und der in ihm wuchernden Charaktere in der französischen Provinz eine Qualität, die am besten durch die Bedrückung zu messen ist, die bei der Lektüre entsteht. Da tauchen Menschen auf, die durch ihre Oberflächlichkeit wie eine Beleidigung für die menschliche Existenz erscheinen. Allesamt, vom reichen Couponschneider, über die gichtige Puffmutter, die strenge erkaltete Bürgersfrau, die neugierige Tratsche bis hin zum Heer der Freier, die als Apotheker oder Handwerksmeister im Ort eine hohe Reputation genießen, unterliegen dem trügerischen Bild der kleinbürgerlichen Werteordnung, in der das Maß einer freien, aufgeklärten Welt durch die Engstirnigkeit des intellektuellen Pöbels durchbrochen wird. Verlangen ist für sie Liebe, Herrschaft verwechseln sie mit Macht, Dummheit gilt ihnen als rein, Demut als Schwäche und Armut als Makel. Der Ausgang jeglicher Handlung muss in einer Welt mit diesen Prämissen im Debakel enden und der Tod erscheint wie eine göttliche Erlösung.

Die Unbestechlichkeit, mit der Julien Green die destruktive Kraft des kleinbürgerlichen Milieus darstellt und die Sprache, die das Frugale dieser Welt zum Reden bringt, ist das Ergebnis akribischer Beobachtung und disziplinierter Logik. Da wurde nichts aufs Papier geworfen, um Effekte zu erzielen, sondern die soziale Nachricht mit höchster Akkuratesse in große Literatur geformt. Die Kenner des Genres werden es genießen und die Apologeten einer neuen kleinbürgerlichen Wertigkeit sollten es lesen, bevor es zu spät ist!

It´s Time for Rock´n Roll!

Wenn die gesellschaftlich gesetzten Maßstäbe ins Wanken geraten und die biographischen Orientierungspunkte am Horizont verschwinden, dann fallen die Menschen oft in einen Zustand zurück, der sie empfänglich macht für die Depression. Nicht umsonst sind die großen Wirtschaftskrisen des Kapitalismus und des Weltfinanzsystems nach einem Krankheitsbild der Psyche benannt worden. Und die historischen Weltwirtschaftskrisen hatten gemeinsam, dass Millionen von Existenzen wie ein Feuerwerk am Firmament abbrannten und sich wieder fanden auf dem Asphalt, um bestenfalls das Dasein in der Nähe von Mülltonnen zu fristen. Alles geriet aus den Fugen, Weltbilder, Werte, Verhältnisse, und Sinnkrisen waren die einzigen Artikel mit Hochkonjunktur. Lebenswerke verpufften, Jugendträume verbrannten und die Daseinsvorsorge verschwand mit dem Schlickwasser im Gully.

Dass die gegenwärtige Krise von den Politikern nicht als Depression bezeichnet wird, hat vor allem mit der Angst vor den Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen zu tun. Nennt man den Zustand, in dem wir uns momentan befinden erstmal nach den historischen Vorbildern, was von der Dimension des Finanzdesasters mehr als angemessen wäre, dann muss man damit rechnen, dass alle Register der Depressionsgesellschaft auch gezogen werden, von der Selbstzerstörung bis zur Rebellion.

Von den regierenden Politikern bis hin zu den Gewerkschaftsfunktionären wird vor einer Depression mit den für die herrschenden Verhältnisse gefährlichen Wirkungen gewarnt. Deshalb empfiehlt man eindringlich die Produktion von zwar nicht vernünftig heilenden, aber das Symptom unterdrückenden Antidepressiva, seien es allgemeine Konjunkturprogramme oder seien es Abwrackprämien. Zur gleichen Zeit werden die bösen Geister, die mit ihrer hässlichen Erscheinung für das Debakel verantwortlich sind, durch gezielte Subventionen am Leben erhalten. Lange kann das natürlich alles nicht gut gehen, die Alimentierung des bösen Geistes und die Produktion der notwendigen Psychopharmaka, denn beides ist sündhaft teuer.

Der Blick auf die Depressionen der Vergangenheit zeigt jedoch, dass dieses ineinander greifende Spiel unabhängig von seiner kaum auf längere Sicht möglichen Finanzierbarkeit auch deswegen zum Scheitern verurteilt ist, weil mit Fortdauern der Krise die Leid tragende Bevölkerung zu anderen Mitteln neigt. Zum einen steigt die Nonchalance, d.h. die Menschen beginnen sich am Augenblick zu orientieren, sie holen sich gemäß der antiken Weisheit vom Tage, was zu holen ist. Zum anderen werden sie unempfänglich für die Werte derer, die sie so nachhaltig übervorteilt haben. Neben einem profanen Hedonismus entsteht ein rebellischer Impuls gegen alles, was von oben kommt.

Ein Medium, das das Leben im Hier und Heute mit dem Aufstand gegen das Regelwerk des Krisensystems historisch immer verbinden konnte, war die Musik. Egal in welcher Weltwirtschaftskrise, es entstanden ausgelassene und rebellische Musikgenres, die die Nacht zum Tag machten und das Adrenalin hoch pumpten, das notwendig war, um die Zeit zu überstehen. Wie dass Medium auch diesmal heißen mag: It´s Time for Rock´n Roll!