Archiv für den Monat Juni 2009

Schiller und der deutsche Idealismus

Es schillert wieder gewaltig in der Republik, denn Friedrich Schillers Geburtstag jährt sich zum 250. Mal. Kaum ein Theater, das auf sich hält, verzichtet auf Inszenierungen und Sonderveranstaltungen, Symposien sind auf der Tagesordnung und namhafte Autoren und Rezensenten betätigen sich in Internet und Printmedien. Wagt man einen Überblick, so lässt sich feststellen, dass das krampfhafte Bemühen dominiert, Aspekte regelrecht aufzureißen, die so noch nie thematisiert wurden, denen allerdings auch anhaftet, dass sie in ihrer verabsolutierten Wahrnehmung das Ablenken vom Wesen dieses bis heute gigantisch wirkenden Autors bewirken.

Tatsächlich wäre es auch befremdend, wenn mit Schiller der literarische Vertreter des deutschen Idealismus par excellence für seine Botschaften in dieser Dimension gewürdigt würde. Die Gesellschaft, die im Moment den Spiegel der Reflexion bemüht, ist sich ihres eigenen Wesens gar nicht mehr so sicher und geprägt von der Lust am Spiel wie der Unerklärlichkeit des Verlaufs. So wirkt es nahezu Mitleid erregend, wenn mit dem Satz „der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ das Motto einer ganzen Schiller Kampagne gekürt wird, ohne eine Reflexion über den tatsächlichen Spielbegriff im Sinne eines emanzipatorischen Versuchsfeldes zu betreiben. Stattdessen bekommen noch selbst die Börsenzocker ihre Folie, auf der sie die moderne Form der Verantwortungslosigkeit mit einem so genannten Klassiker untermauern können.

Brennend wirken die Theaterstücke, die ästhetischen Schriften wie das historiographische Werk Friedrich Schillers bis zum heutigen Tage, weil sie durch das Hirn des Lesers mit einer teleologisch heißblütigen Sprache dem Ziel entgegen getrieben werden, das da immer heißt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Schiller, der selbst Opfer und Nutznießer der deutsch nationalen Rückständigkeit und seinem Dasein als Flickenteppich war, er war der Vorbote der Großen Französischen Revolution, in einem Land, in dem das Bürgertum weder das Format noch die Chuzpe besaß, mit blitzender Klinge zu rebellieren und die alte Ordnung aus dem knarrenden Scharnier zu reißen. Jeder Atemzug Schillers war der Aufstand, die Ungeduld und die Bereitschaft, sich zu verbrennen, um eine düstere Welt zu erleuchten.

Wie wohl könnten diese Qualitäten zumindest im Refugium des Theaters die Idee suggerieren, wie wir denn umgehen sollen mit den Protagonisten in einem Land, das gegen die Ideen des deutschen Idealismus nahezu komplett imprägniert zu sein scheinen? Wie halten wir es mit den Vertretern der Macht, die keine Ideen mehr haben, mit den Changeuren des Geldes, die keinen Sinn mehr vermitteln und den Schranzen der Kultur, denen die subversive Phantasie ausgegangen ist? Und wie treiben wir die Jungen dazu, das Unmögliche zu wagen und das Tabu zu brechen?

Die gute Nachricht wiederum ist, dass sich der deutsche Idealismus gespeist hat aus lethargischen, arroganten und morbiden Verhältnissen, wie wir sie für die konkrete Gegenwart beschreiben müssen. Und der beredte Kronzeuge des deutschen Idealismus war allerdings Friedrich Schiller.

Reduktion von Komplexität und Diskurs der Moderne

Manchmal verläuft der Weg der Ideengeschichte auf Pfaden, deren Zeichnung selbst im absurden Theater als grotesk empfunden worden wäre. In der mehrheitlich von Wissenschaftlern geführten Debatte, namentlich dem soeben achtzig gewordenen Jürgen Habermas und seinem bereits verstorbenen Kontrahenten Niklas Luhmann, ging es um einen Aspekt der Systemtheorie, der in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Gemüter erregen ließ. Worum es ging? Um die Frage, wie sich Systeme verhalten und entwickeln. Während Niklas Luhmann die Theorie untermauerte, dass es bestimmte Bewegungsgesetze im Verhalten zu beschreiben galt, konterte Habermas, es ginge mehr um die in diesen Systemen gepflegten Diskursformen, um einer Erklärung menschlichen Handelns und gesellschaftlicher Zustände näher zu kommen.

Die in dieser Debatte entwickelte Programmatik mündete irgendwann in die Überschrift Diskurs der Moderne, Luhmanns Thesen gipfelten immer wieder in der Faszination über das Phänomen der Reduktion von Komplexität. Während es Habermas in erster Linie darum ging, über Kommunikationsmodelle eine Folie für die Aufklärung von Gesellschaften zu erhalten, setzte Luhmann auf die Gewissheit, dass sich Komplexität, auch gesellschaftliche, immer ein Ventil suche, um sich wieder zu vereinfachen und somit für die Gesellschaft erklärbar und handelbar würde. In diesem kongenialen Disput erschien Habermas stets als ein Idealist ohne trübenden Eifer und Luhmann als ein Beobachter nicht ohne Sympathie.

Nun könnte man sich die Frage stellen, was das heute alles noch soll, wenn der von uns erlebte Alltag nicht zumindest beide Sichtweisen immer wieder als existent bestätigen würde. Es existiert ein gesellschaftlicher Überbau, der die Kommunikationsreflexion zum Zentrum hat und es betreiben Kohorten exklusiv die Analyse der sozialen Kybernetik. Beides geschieht jedoch in einer Art und Weise, die dazu geneigt ist, die ursprüngliche Überlegung ad absurdum zu führen.

Das Schlagwort der Kommunikation ist durch Medienindustrie wie Politik zu einem Platzhalter der Beliebigkeit verkommen, zuweilen nimmt es gar die Stelle einer entleerten Zivilreligion ein, weil mit dem Mangel an Kommunikation das ganze Elend dieser Welt zu erklären ist. Bei der Analyse von Systemverhalten ist es sich noch schlimmer, denn die tatsächliche Verhaltensform der Komplexitätsreduktion, die in Natur und Gesellschaft nach wie vor zu beobachten ist, findet kein geistiges Pendant mehr in der öffentlichen Debatte.

Was an Bildung in den letzten Dekaden verbockt wurde, zeigt sich ganz einfach daran, dass es immer mehr Menschen schwer fällt oder unmöglich wird, das Wesen einer Erscheinung zu erkennen. Stattdessen ist der Blick auf Schnittstellen und Vernetzungen geschärft und der kommunikative Gesamtzusammenhang wird zu einem undurchdringlichen Brei. Wir sind von aufklärerischen Modellen Lichtjahre entfernt, und kaum noch einer kann sich bei dem Wirrwarr konzentrieren. So kann es gehen, wenn die Ideengeschichte mit Betäubungsmitteln in Kontakt kommt.

Es ist eine Stunde nach Mitternacht

In der klassischen Dramaturgie der orientalischen Märchen, die sich über die ganze Nacht erstrecken, fällt in der Stunde nach Mitternacht eine Entscheidung und danach löst sich die Handlung bis zum Morgengrauen auf. Daher ist es ratsam, die gegenwärtigen Ereignisse, Handlungen und Personalkonstellationen genau zu beobachten, um die Vorgänge begreifen zu können. Sicher ist nur, dass die gegenwärtigen sicht- und vermeldbaren Aktionen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen in Teheran, Isfahan und anderen bedeutenden Städten nicht die Indizien sind, auf die man allein schauen sollte.

Der bisherige Verlauf lässt sich aus der Distanz bis dato wie folgt beschreiben: Präsident Ahmadischad spürt, dass er mit freien, gleichen und geheimen Wahlen keine sichere Mehrheit mehr bekommen wird. Sein Dogmatismus ist dem Volk verhasst und seine Kriegstreiberei löst großen Schrecken aus. Die beeinflussten Wahlen führen zu einem Debakel, der stärkste Konkurrent Mussawi erklärt sie für eine großartige Fälschung, was viele Bürgerinnen und Bürger aufgrund ihrer eigenen Beobachtungen bestätigt sehen. Der oberste Religionsführer Chamenei stellt sich vor Ahmadineschad und macht ihn damit zu seiner Marionette, seine Tage sind bereits gezählt. Mit der harten Linie Chameneis ist Ahmadineschad nun dazu verdammt, die Gewalt im eigenen Land eskalieren zu lassen, was die Zorndepots gegen ihn in astronomische Höhen schnellen lässt und die Prognose seines baldigen Endes bestätigt.

Der Gegenkandidat Mussawi zieht sich taktisch zurück, was die Auseinandersetzungen weg von der Straße dahin verlagert, wo der Gottesstaat in seiner Sinnstiftung am schwersten getroffen werden kann. In den geistigen Gremien des Landes tobt mittlerweile ein erbitterter Kampf zwischen den Theokraten um Chamenei und Gegenkräften, die durchaus mit laizistischem Gedankengut sympathisieren wie dem Reformer und Kopf des geistigen Expertenrates Rafsandschani. Dass hier letztendlich die Entscheidung über die Zukunft des Irans fallen wird, sieht man auch an den Maßnahmen, zu denen Chamenei bereits gegriffen hat.

Mittlerweile hat Chamenei über seinen Exekutor Ahmadineschad bereits eine Anzahl von geistigen Oberhäuptern arretieren lassen, denen vorgeworfen wird, sich auf die Seite der Opposition gestellt zu haben. Letztere ist bereits als ein Werkzeug des Zionismus ausgemacht und besonders an dieser Begründung ist zu sehen, wie absurd die absolutistische Deutung bereits gediehen ist: Die erste Generation der schiitischen Revolution, zu denen viele der festgesetzten Geistlichen gehören, werden nun, ganz wie im Reiche Joseph des Großen Dschugaschwilis, als die bezahlten Agenten Israels diskreditiert.

Da ist kein Spielraum mehr für Selbstkritik und Reformfähigkeit, das ist in der Regel das Ende. Das weiß auch Rafsandschani, dem man jetzt die Tochter verhaftet hat. Das allerletzte Mittel, das ein fallender Herrscher noch zu haben glaubt, bevor die Nacht dem Morgengrauen weicht.