Dass der Besitz von Macht den Menschen verändert, oder anders ausgedrückt, dass es einen Unterschied gibt zwischen denen, die die Macht ausüben und denen, die sie in der einen oder anderen Form erleiden, ist nichts Neues. Das Gefühl und das reale Vermögen, die unmittelbare Umgebung und – je nach Fülle – entlegene Lebenswelten selbst gestalten oder zerstören zu können, verändert das Individuum. Bei den einen entsteht eine Distanziertheit, sie rücken weg vom Lebensgefühl und entwickeln sich zu kalten Technikern. Andere durchleben einen Grad gereifter Zivilisation, ihnen wird bewusst, welches Privileg sie genießen und sie sehen sich einer Verantwortung gegenüber, der sie nur durch überdimensionierte Disziplin, Unbestechlichkeit, Hochleistung und Askese gerecht zu werden glauben. Und letztendlich begegnen wir einer dritten Gruppe, die sich in einen psychogenen Rauschzustand versetzt fühlen, ihnen steigt die Dominanz der eigenen Potenz in den Kopf und verwandelt alle Motive in eine Suchtstruktur. Sie entfremden sich von der Zweckbindung der Macht, ihr Besitz und ihre Vergrößerung degeneriert zum Selbstzweck, sie wird zu einem schlichten Beschaffungsmuster.
Und tatsächlich kennen wir die Ausübung der Macht ja auch in diesen drei prototypischen Varianten. Da kommt die Macht daher wie ein Laborversuch. Kalten Auges betrachten die Mächtigen ihr Gestaltungsexperiment, sie werten die Ergebnisse statistisch aus und sprechen bei menschlichen Tragödien von Kollateralschäden. Manchmal, leider seltener, werden wir auch Zeugen jener Sternstunden, wo die Macht sich nach uns erkundigt, uns nach unserem Bedürfnis fragt, aber uns auch fordert und kommuniziert, dass das Bedürfnis des Ganzen über dem unseren steht. Und dieser Form der Macht können wir sogar vertrauen, weil deren Akteure auch uns jenes Maß vorleben, das man von uns fordert. Wieder häufiger begegnen wir der pathologischen Variante, den Bösewichtern in der Volksmeinung, die in psychischer und physischer Abhängigkeit von der Macht leben und mit ihr ihr Unwesen treiben. Wie die Junkies hetzen sie von einer Machtquelle zur nächsten, geben sich den nächsten Schuss und haben nicht mehr vor Augen, was sie eigentlich treiben.
Interessant ist, dass der Besitz und die Ausübung der Macht sich unweigerlich auswirken auf die Physiognomie der Akteure. Man kann ihnen ansehen, was sie mit ihnen macht, aber auch, was sie mit ihr machen. Das anstrengende Geschäft verändert und hinterlässt Spuren, die nicht kaschiert werden können. Die Technokraten behalten ihren kalten Blick, diejenigen, die den Gestaltungswillen als ein großes Privileg mit einer ebensolchen Selbstverpflichtung begreifen, verbreiten auch mit ihrer Physiognomie so etwas wie Würde und Vertrauen. Die Abhängigen jedoch weisen nichts mehr auf als die Zerstörung, ihr Blick ist fahrig und uninteressiert, gehetzt und verengt. Was in der Physiognomie evident wird, setzt sich fort in der Dialogform, die Kommunikation ist bei letzteren eine Einabahnstraße, eine Psychostruktur gemeinsamer Intentionalität ist nicht mehr vorhanden. Es empfiehlt sich, genau hinzuschauen und den eigenen Blick für diese Phänomene immer wieder zu schärfen.