Glaubt man den Umfragen, dann waren 75 Prozent der Bevölkerung für den Kandidaten der Opposition. Sie hielten ihn für fähiger. Aber wen interessiert das schon! Folgt man dem Regelwerk der derzeitigen verfassten Demokratie, dann ging alles seinen demokratisch legitimierten Gang. Das Räsonnement über das Amt an sich hielt sich ebenfalls in Grenzen. Zwar reagierte die Öffentlichkeit etwas verunsichert über die erste Flucht aus dem Amt bei lebendigem Leibe. Aber auf eine Beantwortung der Fragen, die sich daraus ergaben, wurde nicht insistiert. Der alte Präsident hat seitdem das Stigma des lauen Knaben, was allerdings nicht das Umfeld exkulpiert. Denn er hatte Bedenken gegen den zunehmend chevaleresken Führungsstil der Kanzlerin, der brachial der Machtanspruch einfordert. Denn es ging weder um Afghanistan und die Bundeswehr noch um die Turbulenzen, die aus dem Führungsstil des alten Präsidenten im Schloss Bellevue resultierten. Es ging um die Rettungspakete für Euro und Griechenland, die nach allzu langem Zögern husch, husch beim Präsidenten zur Zeichnung über den Tisch sollten. Da hatte der Finanzfachmann Bedenken, die er deshalb herunterschluckte, weil das stumpfe Brotmesser an seinem Hals den Geruch nach Erpressung verströmte.
Als der alte Präsident mit wehenden Rockschößen aus dem Saal gestürmt war, da nutzte die Kanzlerin die Gelegenheit so, wie man in England ein deutsches Sprichwort in die eigene Bilderwelt übersetzt, sie erschlug gleich zwei Vögel mit einem Stein. Die sie in der Gunst der Wähler übersteigende Ministerin demontierte sie zum Frühstück und mit dem kleinen Präsidenten aus Niedersachsen zog sie der Opposition in der eigenen Partei den letzten Zahn. Parbleu! So geht das, wenn man auf der Höhe der Macht und sie zu nutzen bereit ist. Das Manöver der Opposition, mit einem ehemaligen Favoriten derselben Kanzlerin punkten zu wollen, ist zwar auch nicht von schlechten Eltern, aber nur deshalb der Diskussion würdig gewesen, weil der Kandidat durch seine gelebte Biographie Format besitzt. Das war das Glück derer, die ihn vorschlugen.
Nun, da eintritt, was schon alle wussten, auch weil die Linke die Trennung von ihrem historischen Erbe nicht zustande brachte, sollte die kalte Stimme des Pragmatismus die Zusammenfassung sprechen. Die Republik hat einen neuen Präsidenten, der nicht stärker ist als der alte. Ganz im Gegenteil. Er ist eine durchsichtige Instrumentalisierung durch die Kanzlerin, die aufgrund einer komfortablen Mehrheit machen konnte, was sie wollte. Das Amt des Präsidenten wurde dadurch nicht beschädigt, denn auch eine Demokratie ist weitaus stabiler, als die Unken in der Abenddämmerung in den stickigen Himmel rufen. Beschädigt, wenn nicht gar von vorneherein verschlissen ist der Amtsinhaber, in dessen Pflichtenheft die Kanzlerin mit zunehmend fahriger Feder gekritzelt hat, das Amt als Protokollmogul zu führen, mit Macht, aber ohne Belang. Vieles spricht dafür, dass sich der neue Präsident erst artig fügen wird, um dann ein Unbehagen zu spüren, das aus dem Salondasein resultieren wird. Wie vielen anderen auch, in der Regierung, in der Partei, in den Städten, und irgendwann auch im Volk. Und der kleine Michel wird, wie leider sooft in seinem Leben, sich wieder einmal die Augen reiben über das, was er so nichts ahnend alles erduldet hat.
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