In einem Zeitalter, das sich durch eine gewaltige Globalisierungswelle definiert und in dem der Ruf nach interkultureller Kompetenz so laut geworden ist wie nie zuvor, muss es irritieren, dass die Frage nach der Herkunft in der praktischen Konversation ziemlich aus der Mode gekommen ist. In unseren Breitengraden gilt es mehr als eine unredliche Penetrierung der Intimsphäre als an ein Signal aufrichtigen Interesses, sich nach dem Herkommen des Gegenübers zu erkundigen. Und dieses sowohl im geographischen und sozialen Kontext wie hinsichtlich der historischen Tradition. Irgendetwas scheint verstellt zu sein im Blickfeld des Reisenden, der zunehmend den Durchschnittstypus des 21. Jahrhunderts auszumachen scheint.
Aufgrund von Dogmen der Political correctness und eine sich in exzentrische Vermeidungsstrategien gesteigerte Konfliktscheue ist etwas abhanden gekommen, das in früheren Epochen das Tor der Erkenntnis immer sehr weit aufgestoßen hatte: Die Neugierde auf das Unbekannte, das Wissen-Wollen in Bezug auf eine fremde Welt und das Austarieren dessen, was das Fremde an Bereicherung mit sich bringt.
Von den oralen Gesellschaften bis zum europäischen Mittelalter, von den fahrenden Handwerksgesellen bis hin zu den Handelvertretern des frühen 20. Jahrhunderts haben sich die Europäer viele ihrer Erkenntnisse durch die mündliche Weiterreichung von Erfahrungsberichten erworben. Das Ritual, welches diese Art von Bildung eröffnete, quasi die Initiationsfrage war dabei immer: Woher kommst du, Fremder?
So scheint es nicht verwunderlich zu sein, dass wir, der heutige antike Westen, uns eine Erfahrungsquelle verschlossen haben, die auf anderen, von Energie sprudelnden Kontinenten wie dem asiatischen vitaler ist denn je. Die Blockierung der Neugierde aus Furcht, man könne etwas Falsches fragen, führt zu einer Provinzialisierung der eigenen Erfahrungswelt mit schrecklichen Folgen. Bis auf das abstrakte Informationsagglomerat aus dem Netz verfügen wir über immer weniger unmittelbare Erfahrungen. Letztere, so lehrt uns auch die historische Anthropologie, sind jedoch der Humusboden für eine Lebenspraxis, die tatsächliche Aussicht auf Erfolg hat.
Und schlimmer noch: In dem Maße, in dem wir die Frage nach der Herkunft den Anderen nicht mehr stellen, in demselben Maße geht uns die Reflexion über die eigene Existenz verloren. Nur der Vergleich mit dem Dasein des Gegenübers ermöglicht es, den eigenen biographischen Verlauf zu bewerten. Wir müssen leider lernen, dass die immer geringer werdende unmittelbare Erfahrung hinsichtlich der Identität und Lebensgeschichte der Menschen, denen wir begegnen, zu einer stetigen Verarmung an profundem Wissen über uns selbst folgt.
Wir sind an einem Punkt, an dem die Kommunikationswissenschaft ohne die Perspektive der Anthropologie nicht mehr auskommt. Kulturen, die sich die Neugierde nach dem Befinden des Reisenden bewahrt haben, gelten als die Biotope, in denen das, was wir heute die interkulturelle Kompetenz nennen, in einer beneidenswerten Blüte steht.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.