Archiv für den Monat Oktober 2010

Der Bush-Lobbyismus und die Unsicherheiten des Umbruchs

Klassischer könnte die Situation nicht sein: Da hat ein Präsident, der für eine fundamentalistische Form der Politiksteuerung stand und auf allen Feldern mit seiner Politik eine Weltmacht in eine Systemkrise katapultiert hat zu einem radikalen Wechsel geführt. Der Träger der Hoffnung stand mit all seinen Attributen und Attitüden für eine neue Epoche, ging auch gleich ans Werk und nahm Sachen in Angriff, die vor der Ära seines Vorgängers undenkbar gewesen wären. Gleichzeitig befindet sich das Land in einer extremen wirtschaftlichen Krise, mit verursacht durch eine ans Hasard angelehnten Finanzpolitik, ebenfalls durch den Vorgänger zu verantworten.

Und dennoch wird der Nachfolger, der vieles verändern wollte und musste, angeklagt für die Unstetigkeiten und Krisenerscheinungen des Change Management. Natürlich kann man über die Maßnahmen des Change immer streiten, denn es stellt sich grundsätzlich die Frage, wo sind die Paradigmen, um die es geht und mit welchen Aktionen erzielt man die größte Wirkung. Dass allerdings der dürftige Allgemeinzustand der Gesellschaft dem in Rechnung gestellt wird, der ihn verbessern will, und zwar von denen, die ihn verursacht haben, geht entschieden zu weit.

Der Lobbyismus des politisch bereits für tot geglaubten George W. Bush entwickelt sich in einer Vitalität, die angesichts der verheerenden Ergebnisse der Ära Bush nicht für möglich gehalten wurde. Mit Gallionsfiguren wie Sarah Palin, der ehemaligen Gouverneurin von Alaska und einem Faible für den Revolver und Glen Beck, der von seiner konservativen Qualität an die düsteren Zeiten eines Gerhard Löwenthal erinnert, mobilisiert seit einiger Zeit die so genannte Tea Party Bewegung gegen Präsident Obama und seine Politik. Vor allem die Reform des Gesundheitswesens hat den amerikanischen Konservatismus anscheinend ins Mark getroffen, weil damit der Sozialdarwinismus seine letzte Domäne verloren hat und die Neudefinition des Gemeinwesens in Richtung Sozialstaat eingeleitet wurde.

Die gegenwärtigen Attacken gegen Ziele in den USA durch Sprengstoffcargo seitens Al Qaida muten in diesem Zusammenhang wie eine ironische Dramaturgie, hatte doch George W. Bush mit seiner völlig verfehlten Politik der der Allianz gegen den Terror Länder wie Saudi Arabien und Malaysia mit in die Arme geschlossen, die sich bereits als Financiers des fundamentalistischen Terrors längst etabliert hatten und somit innerhalb der muslimischen Welt und deren aufgeklärtem Teil für Verzweiflung gesorgt. Als leistete diese unheilige Allianz dem alten Präsidenten und seinen Verbündeten nun Schützenhilfe, verstärken sie die Angriffe auf das Amerika des reformwilligen Präsidenten, was wiederum zeigt, auf welchen Seiten der historischen Chronik diese selbst ernannten Rächer der Enterbten ihren Platz haben.

Bewusstes Change Management mobilisiert Ressentiments, mit deren Heftigkeit viele nicht gerechnet haben, auch die nicht, die den Wandel bewusst inszenierten. Entscheidend in Situationen wie jetzt vor den Kongresswahlen ist die Erkenntnis, dass ein Zurückweichen und Abmildern der eigenen Positionen aus der Impertinenz der Gegner heraus als Zeichen der Schwäche gewertet und behandelt wird und nur eine größere Entschlossenheit die Aussicht auf Erfolg erhöht.

Easy To Play But Hard To Feel

Coleman Hawkins encounters Ben Webster

Es gab sie und gibt sie, die Momente, die gar nicht großartig arrangiert sind, sondern aus einer Laune heraus entstehen. Und wie es der Zufall will, treffen sich die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, um etwas zusammen zu machen und es passt einfach alles. So ein Tag war der 16. Oktober 1957, als sich die beiden Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins und Ben Webster in den Capitol Studios in Hollywood trafen, um zusammen mit Oscar Peterson am Klavier, Herb Ellis an der Gitarre, Ray Brown am Bass und Alvin Stoller am Schlagzeug etwas einzuspielen.

Der gute Stern, der über der Aufnahme stand, war, dass weder Coleman Hawkins noch Ben Webster sich gegenseitig etwas beweisen mussten. Sie waren beide jenseits der Fünfzig, hatten alle Höhen und Tiefen gesehen und wollten einfach nur mal sehen, was sie zusammen so zustande brachten. Hinzu kamen die genannten hoch talentierten und relativ jungen Musiker, die alles taten, um den beiden Ikonen zu gefallen.

So saß der Mann aus Missouri dem anderen aus Kansas gegenüber und sie stimmten sich ein mit dem Blues For Yolande, einem sehr eingängigen, einfachen Blues-Schema, das sie wie schlafwandlerisch mit mal rotzigen, mal samtweichen Intonationen zum Schwingen brachten. Sie hatten beide genug erlebt, um den Blues fühlen zu können und ihre Abgeklärtheit war dem Thema eher zuträglich. Was dabei heraus kam, war die reine Lebensweisheit und Freude.

Mit den Stücken It Never Entered My Mind und La Rosita erweiterten Hawkins und Webster das gemeinsame Experiment, das eigentlich keines war, weil diese Generation es gewohnt war, ohne große PR-Maschinerie zusammen zu Jammen, um das Feld des Latin. So wie sie dann bei You´d Be So Nice To Come Home To um den Swing erweiterten und bei Prisoner Of Love, Tangerine und Shine On Harvest Moon klassische Balladen des Jazz mit aufzunehmen.

Die Aufnahme, die also mit wenigen Stücken ein größeres Spektrum des damaligen Jazz einschloss, wurde auf der vorliegenden CD noch um zwei weitere Versionen des Blues For Yolande bereichert, die beide zeigen, dass sie Blues in verschiedenen Tempi und Akzentuierungen im Unterbewusstsein so choreographieren konnten, dass überaus spannende Figuren dabei herauskamen. Die insgesamt phantastische Aufnahme gewinnt noch dadurch, dass es sich um schlichte analoge Technik mit Mikrophonen handelt, die selbst auf der CD noch ein Raumgefühl vermittelt und eine individuelle Tonalität erzeugt, die jenseits des synthetischen Mainstreams liegt.

Da trafen zwei Tenoristen aufeinander, die entspannt waren, das richtige Gefühl hatten und an nichts mehr zweifelten.

Die kreative Klasse als Avantgarde der Spekulanten

Christoph Twickel. Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle

Sieht man sich die großen Stadtentwicklungsprojekte in den Metropolen dieser Welt an, so zeichnen sich Trends ab, die bis in die Soziologie hinein registriert worden sind. Bestimmte soziale Stratifikationen führen zu einer Neudefinition urbaner Ballungsräume, die, gebunden an alte wirtschaftliche Blütezeiten, längst ihren Zenit überschritten hatten und mit den Protagonisten der ehemaligen Blüte dahinsiechten. Und dann kommen sie, die Kreativen, deren Vorboten wirtschaftlich nicht besser dastehen als die proletarisierten Bewohner. Aber sie geben die ersten Impulse für eine Neuerfindung der Quartiere und beschleunigen eine Immobilienentwicklung, die die angestammten Akteure verjagt. An ihre Stelle tritt der solvente Part der kreativen Klasse, der über das nötige Kleingeld verfügt und eine kultivierte Öde produziert, die kein urbanes Leben mehr inspiriert.

Der Hamburger Christoph Twickel hat diese stereotype Abfolge beobachtet und in einem hoch interessanten kleinen Buch zusammengefasst. In einem Aufsatz stellt er die Analogien von Großprojekten wie den Londoner Docklands, dem Pariser La Défense und dem Potsdamer Platz in Berlin dar und ihm gelingt es dabei, die Chronologie der Argumentation zu dokumentieren, die immer mit Urbanität lockt und dem Gegenteil endet: Der Verödung urbaner, sprich durch Dichte und Diversität inspirierender Atmosphäre.

Twickel illustriert es am Beispiel Hamburgs, das in den achtziger Jahren unter dem damaligen sozialdemokratischen Bürgermeister von Dohnanyi mit dem Slogan vom Unternehmen Stadt startete und nach der Jahrtausendwende unter der Chiffre Image City endete: Die Abfolge folgte stets dem Schema Künstler rein, Arme raus, bevor die Transformatoren selbst irgendwann ihre Schuldigkeit getan haben.

Zumeist sind diese Prozesse eine Synthetisierung urbanen Lebens und dessen Reduktion auf die reinen Geschäftsprozesse. Anhand zahlreicher Beispiele verdeutlicht Twickel die Ideologie, deren Gehalt sich auf die Formel bringen lässt, dass unter einer qualitativen Urbanität so etwas wie eine gehobene Shopping Mall unter freiem Himmel verstanden wird. Ein Szenario, das es nicht verdient, in einer politischen Programmatik Unterstützung zu finden.

Die Akteure kommen alle zu Wort, die Proletarisierten und von der Vertreibung Bedrohten, die mittellosen Künstler, die Etablierten mit ihrem Beratungseskort und ihren Werbeagenturen und die Politiker. Ohne dass der Autor nun mit dem erhobenen Zeigefinger die großen Sanierungskonzepte an den Pranger stellen müsste, kommen die wesentlichen Entwicklungslinien durch die Argumentationsmuster der Handelnden zu Tage. Zum Schluss stehen nicht nur zwei sich diametral gegenüber stehende Konzeptionen von Stadt zur Disposition, sondern es geht um mehr, nämlich um Politik und unversöhnliche Interessen.