Archiv für den Monat Januar 2011

Das außenpolitische Fiasko

Volksaufstände im Maghreb, Revolte in Ägypten. Eine Entwicklung, die absehbar war, wenn bestimmte Kenntnisse über die Dynamik von Schwellenländern vorliegen. In Algerien, in Tunesien und noch mehr in Ägypten hat eine Entwicklung ihren Preis gefordert, die sich ableitet aus einer schleichenden Modernisierung von Gesellschaften. Auf der einen Seite die Herausbildung eines Mittelstandes, der aus einer intensivierten Bildung seine ökonomische Stellung ableitet und gleichzeitig eine wachsende politische Partizipation fordert, gepaart mit dem Zugang zu den modernen Kommunikationsmitteln, die globalen Informationszugang ermöglichen, auf der anderen Seite eine sozial still stehende, in Armut versinkende Majorität und autoritär diktatorische Regimes, die keine Kritik zulassen.

Die Politik des Westens unter Führung der USA bestand vor allem im Falle Ägyptens darin, das Stabilisierende der Herrschaft Hosni Mubaraks zu belohnen, um das Fortschreiten einer gefährdenden Islamisierung zu verhindern. Die Regenten Ägyptens von Sadat bis Mubarak bildeten eine stabilisierende Garantie in dem anti-zionistischen Pulvergemenge der arabischen Welt. Nun, da die Volksmassen gegen die Armut wie die Rechtlosigkeit revoltieren, stellt sich die Frage nach einer neuen Form der Kooperation, die allerdings sehr von der Qualität der Nachfolgeregierungen abhängen wird.

Die Bundesrepublik hat sowohl im Falle Ägyptens als auch Tunesiens im Windschatten der USA gehandelt und ihrerseits mit Handelbeziehungen wie mit großzügigen Entwicklungsprojekten ihre Zustimmung zu den nun in die Kritik geratenen Verhältnissen gegeben. Insofern ist es völlig unangebracht, von derzeitigen Problemen der US-Außenpolitik zu sprechen, als teile man sie nicht selber. Die genaue Beobachtung der aktuellen Vorgehensweise dokumentiert die eigene Ratlosigkeit, die noch verschärft wird durch die von der Kanzlerin vorgetragenen Aufforderungen, den Dialog zu pflegen. Die belehrenden Ausführungen des Außenministers hingegen sind dazu geeignet, sämtliche Türen zuzuschlagen.

Insgesamt muss deutlich sein, dass die patriarchalisch sozialisierte arabische Welt nur dann Partnerschaften zugänglich ist, wenn sie basiert auf eigener Autorität und Macht sowie auf dem Respekt gegenüber den Verhandlungspartnern. Liegt letzterer nicht vor, ist ein Diskurs unmöglich. Dieses Wissen gehört zum Einmaleins internationaler Diplomatie, und auch wenn die Bush-Administration dieser Dimension der Kompetenz verlustig war, ist sie dennoch eine Bedingung, die einer außenpolitischen Rolle im arabischen Raum entspricht. Diesen Fehler macht der jetzige Präsident Barack Obama nicht. Vormaligen Kanzlern und Außenpolitikern der Bundesrepublik konnte man immer wieder diese Kompetenz attestieren. Das begann bei der besonderen Beziehung von Helmut Schmidt zu Anwar as-Sadat, ging über die Urgesteine Kohl und Genscher und endete mit dem Ansehen eines Außenminister Steinmeiers in der arabischen Welt. Mit dem jetzigen Ensemble wird die Bundesrepublik keine Rolle spielen.

Das Herz herausgerissen: Nachkriegsflächenmanagement in Rotterdam

An einem der Hafenbecken im Zentrum von Rotterdam ist der Hinweis zu finden: Eine monumentale Stahlskulptur zeigt einen nach hinten fallenden Menschen, dessen Herz bereits herausgerissen ist und dort nur noch ein Loch hat. Es ist der Verweis auf das Totalbombardement eines deutschen Luftangriffs im Sommer 1940. Der Hafen und das Zentrum Rotterdams wurden ausradiert. Heute, im 71. Jahr danach, wird deutlich, welche Folgen auf die urbane Entwicklung des heutigen Weltcontainerhafen Nummer Eins der kriegerische Akt hatte.

Nicht, dass die wirtschaftliche und urbane Entwicklung Rotterdams hätten verhindert werden können. Der strategische Wert des Hafens war für die Dauer des Krieges eliminiert, für die Zeit nach dem Krieg konnte er nicht beseitigt werden. Durch die historische Bindung an eine weltweite maritime Infrastruktur, die Fähigkeit, die globalen Handelsnetzwerke zu nutzen und die Intensität des Wiederaufbaus gelangte Rotterdam zu einer Vormachtstellung in den Welthandelsbeziehungen.

Das Gesicht der Stadt sollte jedoch ein anderes werden. Nirgendwo sonst ist es möglich, auf relativ überschaubarem Raum die verschiedenen Epochen der Nachkriegsarchitektur dermaßen konzentriert zu beobachten. Kaum ein Areal verweist auf eine zusammenhängende gestalterische Konzeption, der aktuelle Bedarf und der Wille, im Jetzt Zeichen für die Wiedergeburt der Metropole zu setzen, haben in der Gesamtheit ein Bild eklektizistischer Baupolitik entstehen lassen. Isoliert betrachtet sind viele Gebäude eine Referenz an den jeweiligen Zeitgeist. Ob sechziger, siebziger, achtziger, neunziger Jahre oder die erste Dekade im neuen Jahrtausend, avantgardistische Architekten drückten dem Ensemble mit ihren Ideen durchaus einen Stempel des Pioniergeistes und der Verwegenheit auf. Dennoch, im Gesamtarrangement wirkt heute vieles missraten und deplatziert.

Die gegenwärtige Stadtregierung hat sich zur Aufgabe gemacht, dieser Nachkriegslandschaft einen neuen Impuls zu geben, der der Heimat eines Welthafens angemessen ist. Mit einem im Rekurs auf das Bombardement und die erwähnte Skulptur kreierten Slogan: Horch, hier schlägt das neue Herz von Rotterdam, wummert die wohl größte metropolitane Baustelle Europas ihrem Ziel entgegen, Rotterdam ein neues, eine Gesamtkonzeption verratendes Zentrum zu geben, das dem aktuellen Zeitgeist entspricht und in die Zukunft weist.

Der Preis, mit dem die Erneuerung einhergeht, ist die Gentrifizierung von an die zweite Hafenlinie angrenzenden, nicht zerstörten Wohngebieten, die von dem Hafenproletariat bewohnt wurden und nun durch die Heuschrecken der kreativen Klasse geräumt und befriedet werden. Vieles deutet darauf hin, dass das neue Herz aufgrund der sozialen Sterilität ein artifizielles sein wird. Ob es in der Lage sein wird, irgendwann von alleine zu schlagen, steht in den Sternen. Es wird abhängen von dem sozialen Ensemble, das es umgibt.

Universale Verhaltensmuster mit hohem Wiedererkennungswert

Rom. Die erste Staffel. Eine HBO-Produktion

Wenn ein neues Medium sich einen historiographisch tausendfach abgearbeiteten Stoff erneut vornimmt, so stellt sich die berechtigte Frage, was die Aufnehmenden damit bezwecken und die späteren Konsumenten davon haben können. Mit der ersten Staffel der HBO-Produktion unter dem Titel Rom ist das nicht anders. Sujet der zehnteiligen Fortsetzung ist die Zeit von Caesars kometenhaftem Aufstieg in der gallischen Provinz, seinem Zweckbündnis mit dem großen Feldherrn Pompeius, der die Stellung gegen die Republik in Rom hielt, bis Caesar zurückkehrte. Es geht weiter mit deren Zerwürfnis, welches den Untergang und Tod Pompeius nach sich zog, zu einer Stabilisierung von Caesars Tyrannei führte bis hin zu dessen Ermordung durch Senatoren wie seinen Ziehsohn Brutus. Das alles steht in Geschichtsbüchern und hätte durchaus dichter filmisch dargestellt werden können.

Dennoch ist es der Produktion zu danken, dass dieses nicht geschehen ist. Es wurde nämlich Wert darauf gelegt, die tatsächlichen Lebensverhältnisse sowohl der Pratrizier als auch der Plebejer so darzustellen, wie es die historische Forschung heute darstellbar macht. Zum einen wird dadurch Geschichte versinnlicht, was zu einem besseren Verständnis ihres tatsächlichen Verlaufes führt. Die Lebensverhältnisse auch von Randfiguren wie den beiden Soldaten Vorenus und Tullus verdeutlichen, dass die damalige imperiale Metropole alles andere als eine strahlende Stadt war, sondern dass Dreck und Krankheiten, Messer und Mord ebenso in den Straßen anzutreffen waren wie die eine oder andere Sänfte, in der die Macht spazieren getragen wurde. Bis hin zu derben Wandzeichnungen, die an das heutige Graffiti erinnern und einer frühen Illustration der Interpretation von Politik durch das einfache Volk zu werten ist, entsteht so ein Bild, das historisches Handeln vergleichbar macht.

Und so ist es dann alles gar nicht mehr so fern, was an tatsächlicher historischer Handlung erzählt wird. Die Intrigen um die Macht kommen einem genauso bekannt vor wie die Strategien ihrer Ergreifung und Bewahrung. Vom Auftragsmord, über die Bestechung bis hin zu Täuschung und Lobbyismus erscheinen dann viele Szenen der historischen Handlung als sehr modern.

Die Charakterisierung der politischen Protagonisten ist eine weitere Stärke der Produktion, weil sie auf die Reduktion auf das Klischee verzichtet und die Akteure so darstellt, wie das Leben nun einmal spielt: So ist der Tyrann Caesar alles andere als ein unsympathischer Mensch, hingegen der große Redner Cicero ein besserwisserischer Querulant, während sich der wuchtige und brutale Feldherr Pompeius als ein liebender Familienvater entpuppt, Brutus, der letztendlich das Messer zückt, bleibt bis zum Schluss ein Zweifler und die einst hingebungsvolle und kontrollierte Liebhaberin Servillia mutiert zu einer kalt berechnenden Rankünegöttin. Die in hohem Maße unterhaltende Produktion vermittelt so eine Vorstellung von Geschichte, in der die menschlichen Schwächen als eine große Macht dargestellt werden und die Schwarz-Weiß-Malerei keine Chance hat.