Archiv für den Monat Januar 2012

The Clash of Civilizations

Der Zusammenprall der Kulturen, wie ihn Samuel Huntington in seinem Buch beschrieben hat, findet in einer anderen Dimension und anhand unterschiedlicher Phänomene sehr heftig innerhalb unserer Gesellschaft statt. Nur geht es dort nicht um die Art der Zivilisation oder die Verwurzelung in einer bestimmten Religion oder Philosophie, sondern um das Denken innerhalb eines modernen Musters. Die Zäsur geht durch alle Organisationen und bezieht sich auf die Sichtweise der Individuen auf sich selbst und ihre Rolle innerhalb der sozialen Systeme.

Die eine Fraktion wird getrieben von einem personalen Weltbild. Sie sieht sich als Person als Zentrum des Handelns und den eigenen Status innerhalb der Organisation als Gradmesser für den Erfolg. Personal motivierte und getriebene Individuen gehen davon aus, dass Status, Ansehen und Ressourcen Ausdruck ihrer Stellung sind und erwarten eine Belohnung für ihren geleisteten Beitrag.

Dem stehen die funktional getriebenen Individuen entgegen, die ihrerseits daran denken, welche Erfordernisse die Organisation oder soziale Formation hat, in der sie jeweils agieren. Sie orientieren sich an den funktional erforderlichen Schritten und akzeptieren das strikte Containment notwendiger Maßnahmen, ungeachtet derjenigen, die dazu beitragen. Funktional orientierte Individuen erwarten eine Entlohnung für ihre Leistungen und enthalten sich in der Regel den zu Status beitragenden Ritualen.

Diejenigen, die die Modernität einer Organisation anstreben, im Sinne einer bestimmten rationalen Teleologie und die davon ausgehen, dass Kreativität und Leistungserbringung mehr befriedigen können als optische oder konsumtive Referenzen der Macht, treffen bei ihren Bemühungen, eine Organisation auf diesen Kurs auszurichten auf den erbitterten Widerstand der personal funktionierenden Eliten und ihres stehenden Heeres.

Nichts könnte profaner klingen als die Friktionsfelder mit den Personalen: Wer darf auf welchem Parkplatz parken oder essen? Wie viele Köpfe gehören der eigenen Organisationseinheit an, wie hoch ist das eigene Budget und welche Vereinsmitgliedschaften öffnen sich mit welcher Stellung? Selbst so genannte Global Player unter den Unternehmen verwenden mehr Zeit in der verfahrensmäßigen Absicherung derartiger Zugänge als für die Entwicklung einer neuen Strategie.

Und nichts ist komplexer und deshalb vielleicht auch abschreckender wie das Interesse der Funktionseliten, wie z.B. eine logische Konsistenz in eine Argumentationskette gebracht werden kann, wie Zielkonflikte innerhalb der Organisation anhand praktischer Übungen aufgelöst werden können oder wie der Karriereverlauf bewusst so gestaltet werden kann, dass der Wechsel zwischen erstreihiger Repräsentanz und verborgener Expertise am geschicktesten arrangiert werden kann.

Der Streit der Systeme ist allgegenwärtig und er verursacht immense Vernichtung von Energie und Ressourcen. Das Eigenartige dabei ist, dass er kaum thematisiert wird, obwohl er täglich sehr teuer zu stehen kommt und die Entscheidungen darüber, welche Denkart in einer Organisation die Überhand gewinnt, sehr wohl determiniert, welche Zukunftsprognose erlaubt ist.

Bremen: Tod am Nachmittag

Der Terminus Kunst im Öffentlichen Raum steht nicht selten für das diffuse Ansinnen, mittels der Kunst Sinnbezüge herzustellen zwischen denen, die sich in einer bestimmten Topographie bewegen und der Topographie als Subjekt selbst. Das klingt manchmal etwas widersinnig, weist jedoch einen Gedanken auf, der Sinn vermittelt. Die Individuen einer sozialen Gemeinschaft und die Geographie, in der sie leben, haben zwar, für den Moment, eine eindeutige Kausalität, historisch betrachtet tritt allerdings etwas ein, dass diese Kausalität ins Gegenteil verkehrt. So machen selbstverständlich die Menschen eine Stadt, aber die Hülle ihrer Aktivitäten, die Straßen, Gebäude, Plätze und Parks überleben diejenigen, die sie konzipiert und bezahlt haben und nehmen somit ein Eigenleben an, das die Nachkommen regelrecht mit der Vergangenheit konfrontiert. Sie wachsen in der Topographie auf, die andere geformt haben und werden in diesem Exterieur sozialisiert. Kunst im Öffentlichen Raum kann auch die Aufgabe haben, die historische Dimension einer sozialen Formation transparent zu machen und nicht nur den Ort der Kommunikation zu erklären, sondern auch so etwas wie eine Sinn gebende historische Kollektivität zu vermitteln.

Eine sehr gelungene und extrem beunruhigende Arbeit ist Bernd Altensteins Skulptur mit dem Titel Das Ende. Sie steht an der Bischofsnadel in den Wallanlagen in Bremen und zeigt einen athletischen Menschen, der vorwärts stürmt und wie an einer unsichtbaren Mauer zerbricht, wobei gleichzeitig ein Totenschädel und die oberen Skelettpartien von einem noch muskulösen, nach vorne strebenden Rumpf abfallen. Als Datum der Skulpturerstellung wird das Jahr 1978 genannt und es wird deutlich, welche historische Zäsur in der Stadtgeschichte damit gemeint ist. Es war das plötzliche Ende der Werftindustrie.

Letztere hatte nach dem Krieg dafür gesorgt, aus der alten Hansestadt eine neue Boomtown zu machen mit einem zahlenmäßig großen Proletariat. Die Werftindustrie kollabierte aufgrund der internationalen Konkurrenz in wenigen Jahren und hinterließ ein Gemeinwesen, das Jahrzehnte den Mangel zu verwalten hatte und eine Generation von Arbeitern beherbergte, die in ihrem Leben nie wieder eine Arbeit finden sollten. Bremen, das sich erst jetzt, nach mehr als dreißig Jahren dahingehend zu erholen beginnt, als dass man davon reden kann, einen Strukturwandel der lokalen Ökonomie bewerkstelligt zu haben, zeichnet sich dadurch aus, dass das historische Bewusstsein der Bürgerschaft eine gewisse, qualitative Ausprägung besitzt.

Ähnlich wie das herausgerissene Herz im Zentrum von Rotterdam ist es hier mit bescheideneren, aber nicht minder wirksamen Mitteln gelungen, im öffentlichen Raum einen Hinweis zu geben auf die Relativität des Wohlstandes und der Vitalität und somit einen Sinn zu vermitteln, der weit über eine Einladung der freien Assoziation hinausgeht. Das Ende von Bernd Altenstein geht weit über das monothematische eines Gedenkanlasses hinaus und fordert den Flaneur, der sich in diesen Wallanlagen seinen Assoziationen hingibt, über die Interdependenz von individuellem Glück und dem Zustand des Gemeinwesens nachzudenken. Das ist mehr als gelungen und erscheint umso schroffer, da die Skulptur mit dem Verweis ausgestattet ist, der Anlass sei unbekannt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Carl Weissner

Dass Carl Weissner ein Pionier war, der den amerikanischen Underground und die Popkultur mit nach Deutschland gebracht hat, steht außer Zweifel. Der Mann, dem es gelang, Texte von Burroughs oder Bukowski so ins Deutsche zu übersetzen, dass sich diese wohler fühlten, wenn seine Übersetzungen auf den deutschen Markt kamen als das eigene Original, spricht Bände. Carl Weissner experimentierte mit Jörg Fauser, dem wohl größten Undergroundschriftsteller deutscher Sprache, an der Cut-up Methode, der scheinbar aberwitzigen Montage von semantischen Sequenzen. So gestaltete Weissner auch selbst den erst kürzlich erschienenen eigenen Roman Manhattan Muffdiver, den er in täglich halbstündigen Sequenzen in einem McDonalds nahe der 42. Straße in Manhattan als Email-Passagen in den Äther schrieb. Carl Weissners Leben ist voller genialer Streiche und schriftlich fixierter Exzellenz. Seine Dylan-Übersetzungen sind das Beste, was es in deutscher Sprache über diese schrille und exzentrische Poesie gibt und seine Zappa-Synchronisationen sind harte Schläge auf saturierte Ohren.

Carl Weissner zog es bereits 1968 nach Mannheim, ins Zentrum der amerikanischen Präsenz im Land. Dort wohnte er bis zu seinem Tod in der letzten Woche. Unterbrechungen bildeten zumeist die USA, wo er ebenso zuhause war. New York, Los Angeles und San Francisco waren dort die Zentren seines Wirkens. In Mannheim wohnte er in den U-Quadraten, dort, wo bis in die achtziger Jahre jene Bars und Absteigen waren, die mit Namen wie Texas und Four Rosés deutlich machten, dass amerikanische Soldaten willkommen waren. Als diese immer weniger wurden, blieb Weissner trotzdem dort. Er überlebte nicht nur diese Zeit, sondern auch seine Freunde Jörg Fauser und Charles Bukowski. Irgendwie kann man glauben, Weissner hielt für den Underground die Stellung.

Wenn man ihn, um das siebzigste Lebensjahr herum, erlebte, so sah man einen groß gewachsenen Mann mit vollem Haar und einem muskulösen Körper, der vor Kraft strotzte. Von ihm ging eine ungeheure Energie aus, die aus seinen Augen durch die fingerdicken, rahmenlosen Brillengläser drang und alles, was in seinen Fokus gelangte, gleich umformte und ihm einen neuen Sinn gab. Carl Weissner folgte dem Credo der amerikanischen Kollegen, dass du in den Dreck musst, um das soziale Gras wachsen zu hören.

Da fällt gleich eine Geschichte ein, die er bei einem gemeinsamen Essen erzählte. Scheinbar lapidar, mit ungeheurem Witz und der Fähigkeit, so zu pointieren, dass das Wesentliche gleich ins Auge sprang, berichtete er von einer alten Schwäbin, die ein ganzes ICE-Abteil in Aufruhr gebracht hatte, weil sie scheinbar Jahrzehnte nicht mehr mit der Bahn gefahren war. Weder begriff sie das System der Reservierung noch die Fahrkarten, für ihre Irritationen machte sie die durchweg schlechten Charaktere der Mitreisenden verantwortlich. Und ihr Resümee endete immer mit der breit schwäbischen Artikulation des Satzes Scheiß Eisenbahn! Weissner gelang es, aus dieser selbst erlebten Episode das zu machen, was es war: die Abkoppelung einer Generation vom technischen Fortschritt und die Logik der beiden Welten grotesk gegenüber zu stellen. Dass kurz darauf die Verwerfungen um Stuttgart 21 aufkamen, war reiner Zufall.

Nun geht der, der zusammen mit Sean Penn den Sarg Charles Bukowskis in San Francisco getragen hatte, selbst auf diesem Wege in den Underground. Ein ganz Großer, den kaum einer wahrnahm, ist von uns gegangen.