Es ist noch lange hin bis zu den Wahlen in Germanistan. Und schon gewinnt der öffentliche Diskurs an Hektik. Nicht, weil es um eine harte Auseinandersetzung ginge, um Strategien und Programme. Nein, die Ungewissheit ist es, die die große Mehrheit umtreibt und beunruhigt. Noch bevor über die politische Ausrichtung der verschiedenen politischen Konkurrenten gesprochen und geschrieben wurde, gab es eine viel wichtigere Frage: Wer wird künftig mit wem und in welcher Konstellation regieren. Das klingt vielleicht spanisch, ist aber urdeutsch. Die Wahrscheinlichkeit bestimmter Stimmenanteile vorausgesetzt, wird über Regierungskoalitionen spekuliert, als wäre alles andere nicht von Belang. Es ist so, als wäre eine politische Klasse kurz davor, an ihrer Arroganz zu ersticken. Wäre da nicht ein Volk, das dieses degoutante Spiel mitmachte und ohne Gegenwehr die politischen Fragen ausblendete.
In Europa spielt die Bundesrepublik Deutschland mit über achtzig Millionen Einwohnern, einer einzigartigen Produktivität und einer global kaum erreichten Exportquote eine dominante Rolle. Seit der Weltfinanzkrise und der strukturellen Baisse einiger Euro-Mitgliedstaaten erscheint die Kanzlerin vielen gar als die Krisenmanagerin par excellence. In Bezug auf die Vergangenheit von Faschismus und real existierendem Sozialismus und der damit verbundenen Affinität zu obrigkeitsstaatlicher Organisation und Psyche ist die Rolle vielen Europäern zu dominant. Deutschland hat eine bewegte Geschichte, auch in der jüngeren Vergangenheit und nicht nur Europa, sondern die ganze Welt fragt sich, wohin steuert diese Wirtschaftsmacht politisch.
Sieht man sich die Diskussionen innerhalb unseres Landes an, ganz ohne die Frage der Wahlen, dann fällt eine Diskrepanz auf, die beunruhigen muss. Während Nationalökonomien schlingern, während Staaten im Nahen Osten Wanken, während Energiefragen den Globus beschäftigen und Europa und die Welt darauf aus sind, deutsche Positionen kennen zu lernen, diskutiert man im Landesinneren exklusiv Fragen nach Betreuungsplätzen, Erziehungszeiten für Großeltern und die Liberalisierung von Autokennzeichen. Und während seit Jahrzehnten deutlich ist, dass dieses Land sich seine eigene Produktivitätsgrundlage durch ein desolates Bildungssystem verhunzt, werden Reförmchen eingeleitet und wieder rückgängig gemacht, je nach Landesregierung und dem Gout partikularistischer Provinzschranzen. Und während im pazifischen Raum eine nahezu intergalaktische Offensive in Sachen Infrastruktur gefahren wird, leisten wir uns Genehmigungszeiten, die historisch ihresgleichen suchen.
Das alles müsste niemanden beunruhigen, wenn Deutschland international das wäre, was es aus der eigenen Befindlichkeit heraus ist: eine provinzielle mittlere Größe ohne Belang für die Außenwelt. Problematisch, ja brandgefährlich wird der Provinzialismus dann, wenn er die Chance einer großen, internationalen Bühne bekommt. Dann kann das, was formuliert wird, zu großer Irritation und Verunsicherung führen. Wer glaubt schon einem Riesen, dass er leidenschaftlich am Interieur von Puppenstuben bastelt?
Das gegenwärtige Einpendeln auf einen politischen Konsens ohne politischen Inhalt, die Perspektive auf eine große Koalition, ist neben allen internationalen Irritationen zudem geeignet, den merkelschen Zentralismus, den sie in Europa mit der Bildung einer Sowjetunion Light, was die Rolle der europäischen Institutionen angeht, weiter auch innenpolitisch zu kultivieren. Fast bekommt man heute schon den Eindruck, neben Merkel als Person habe man nur noch mit Blockparteien zu tun, die sich wesentlich in nichts mehr unterscheiden. Und vergeblich sucht man nach Akteuren, die nicht gewillt sind, sich dieser mediokren Vereinheitlichung des politischen Willens in den Weg zu stellen. Die politische Bedeutung Germanistans ist zu groß, als dass es sich diese Art des Provinzialismus leisten könnte.
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