Archiv für den Monat Januar 2016

Bündnisfälle und Völkerrechtsverletzungen

In relativ kurzer Zeit gab es zwei Zwischenfälle zwischen der Türkei und Russland. In beiden Fällen handelt es sich um vermeintliche Verletzungen des türkischen Luftraums durch russische Bomber, die auf Ziele auf syrischem Territorium ausgerichtet waren. Letzteres geschieht im Einvernehmen mit der gegenwärtigen syrischen Regierung. Die Verletzungen des türkischen Luftraums bei diesen Einsätzen soll im ersten Fall, der den Abschuss des russischen Fliegers zur Folge hatte, 17 Sekunden betragen haben. Erwiesen ist dies nicht. Die russische Reaktion war heftig. Neben einem Einfuhrverbot von türkischen Waren nach Russland und dem Exportverbot russischer Produkte in die Türkei wurden auch alle Urlaubsflüge aus Russland in die Türkei gestoppt. Dabei handelt es sich um einen empfindlichen Schlag für die türkische Wirtschaft. Bei dem jetzigen Zwischenfall soll es sich laut türkischer Regierungskreise ebenfalls um eine Verletzung des türkischen Luftraumes um wenige Sekunden gehandelt haben. Dennoch fordert der türkische Ministerpräsident Erdogan ein sofortiges Treffen mit dem russischen Staatspräsidenten Putin.

Völkerrecht bleibt Völkerrecht. Das sollte die Maxime in internationalen Beziehungen sein. Dem ist jedoch seit einiger Zeit nicht mehr so. Der griechische Ministerpräsident Tsirpas berichtete, dass der griechische Luftraum in den letzten Monaten mehr als tausendmal durch türkische Militärflugzeuge verletzt worden sei. Und auch der syrische Luftraum wird durch die Türkei permanent bei Anflügen auf kurdische Ziele verletzt. Eine Berichterstattung ist dieser Umstand nicht wert. Hinsichtlich der vermeintlichen wie ohne aggressive Absichten gegen die Türkei verursachten Luftraumverletzungen durch russische Jagdbomber mahnte NATO-Generalsekretär Stoltenberg die russische Regierung, die Situation nicht zu eskalieren und drohte mit den Bündnisverpflichtungen der NATO. Konkret heißt das, wenn Russland in einen heißen Konflikt mit der Türkei käme, trete der NATO-Bündnisfall ein. Und das hieße, auch die Bundesrepublik Deutschland befände sich im Handumdrehen in einem militärischen Konflikt mit Russland.

Die nahezu hemmungslose Politik des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan wird gegenwärtig ausdrücklich von den USA gedeckt. Die ihrerseits sind an einer weiteren Destabilisierung Syriens mit dem Ziel eines Regimewechsels interessiert. Dabei spielt die Türkei eine wichtige Rolle. Die deutsche Regierung wiederum hat Erdogan nahezu volle Absolution beim militärischen Vorgehen gegen die kurdische Zivilbevölkerung erteilt, solange die Türkei bei ihren Zusagen bleibt, die Flüchtlingswege aus Syrien nach Europa zu blockieren. Das macht sie teilweise mit Erfolg, der so aussieht, dass die Flüchtlinge keines ihrer Ziele mehr lebend erreichen. Hinzu kommen Kredite an die Türkei. Die erste Tranche, die drei Milliarden Euro beträgt, soll nach Wünschen der türkischen Regierung auf fünf Milliarden erhöht werden. Dieser Nexus zwischen Syrienpolitik und Flüchtlingsvermeidung versetzt die Bundesregierung, ihrerseits auf die NATO verpflichtet, in eine Situation, die mit Erpressbarkeit sehr treffend beschrieben werden kann.

So, als böte die jüngere Geschichte nichts, aus dem gelernt werden könnte, wird das eine Übel mit dem nächsten bekämpft. Indem die eine Fluchtursache beseitigt werden soll, wird eine neue produziert. Es erfordert keine prognostische Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass demnächst kurdische Flüchtlinge aus der Türkei nach Zentraleuropa drängen und darüber gestritten wird, ob die Türkei ein Land ist, in dem politische Verfolgung stattfindet. Man kann sich letzteres sparen und sich die Bilder aus der Millionenstadt Dyarbakir ansehen, in dem türkische Verbände aus der Luft ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legen. Und so ganz nebenbei, im Hintergrund, wird massiv an einem heißen Konflikt mit Russland gearbeitet. Rosige Zeiten für Kriegstreiber und schlechte Zeiten für alle, die ihre Bündnisse nicht überprüfen.

Der kulturelle Transfer und die Barbaren

Sehr viel wird geredet und spekuliert. Vor allem über die Frage, wie ein kultureller Transfer zwischen denjenigen, die hier schon immer gelebt haben und denjenigen, die momentan in großer Zahl in dieses Land kommen, zustande gebracht werden kann. Dabei klingt immer wieder durch, dass das große Problem darin zu sehen sei, wie Muslimen beigebracht werden könne, nach welchen Werten sich die Menschen in der Republik orientierten und dass das in den Ländern muslimischer Prägung nicht so sei. Wenn etwas von der Annahme her falsch ist, dann diese Interpretation. Sie lässt einen Sachverhalt außer acht und ignoriert einen anderen.

Weder in Bildungseinrichtungen, wo sich außer den Lehrkräften mehrheitlich junge Leute aufhalten, noch im öffentlichen Raum entsteht der Eindruck, dass es einen Konsens über das gäbe, was als der sittliche Konsens bezeichnet werden könnte. Weder Werte noch die dazu gehörende Ordnung scheinen in einem überzeugenden Ausmaß sozialisiert zu sein. Vielmehr wird die Misere, mit der die Bildung hierzulande beschrieben wird, gerade an diesem Mangel festgemacht. Die Diversität von Wertvorstellungen bzw. die Nicht-Existenz solcher macht das Zusammenleben dort schwer und treibt das Lehrpersonal an seine Grenzen. Und der Begriff von Ordnung, der in der Lage wäre, das Leben bestimmter Werte zu unterstützen, wird ebenfalls nicht mehr identifiziert. Der Schluß liegt nahe, das, was gerne auch als Leitkultur bezeichnet wird, erst neu erfinden zu müssen, um qualifiziert darüber urteilen zu können, was andere erlernen müssen, um sich in dem neuen Gefüge orientieren zu können.

Andererseits ist es eine Schimäre und eine an Ignoranz kaum zu überbietende Impertinenz, alles, was zum Beispiel mit hiesigen Gesetzen kollidiert, als den Normalzustand einer muslimischen Kultur zu identifizieren. Aus welchen Quellen diese scharlatanesken Weisheiten auch immer gespeist werden, mit der Realität haben sie nichts zu tun. In der islamischen Welt existieren zum Teil diktatorische Regime, die die guten Sitten der eigenen Kultur mit Füßen treten. Das ist schlimm, kann aber überall auf der Welt beobachtet werden und es führt zur sittlichen Verrohung. Der Weg dorthin wird hierzulande auch in politischen Strömungen vorgezeichnet, die die totale Barbarisierung der Umgangsformen auf ihr Banner geschrieben haben. Dass sie es sind, die in der muslimischen Mentalität das Elend dieser Welt erblicken, ist einfallslose Demagogie, dass sie hier zum Teil auf Resonanz stößt, dokumentiert das hiesige Defizit an ethischem Konsens.

Es ist ein Thema, von dessen Bearbeitung sehr viel abhängen wird. Deshalb geht es auch an die Person. Ich selbst habe einige Jahre in einem muslimischen Land gelebt und und immer wieder muslimisch dominierte Länder bereist und dort einen starken Konsens darüber erlebt, was gesellschaftlich akzeptabel ist und was nicht. Das wichtigste, vor allem in meinem damaligen Gastland Indonesien, übrigens dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt, war der Respekt. Der Respekt vor anderen Kulturen, der Respekt vor den anderen Menschen im eigenen Land und der Respekt vor sich selbst. Und dieses Prinzip haben die meisten Menschen dort durchgehalten, trotz politischer Turbulenzen und Naturkatastrophen und das, was ich dort an interkultureller Kompetenz erlebt habe, stand weit über dem, was man sich hier vorzustellen in der Lage ist.

Es bleibt nichts, als zu empfehlen, sich nicht an der eigenen Unzulänglichkeit zu ergötzen und die Ursache für das Unwohlsein in anderen Kulturen zu suchen. In jeder Kultur existiert ein Verständnis darüber, was gut ist und was schlecht. Eigenartigerweise deckt ich das mit dem, was andere Kulturen ebenfalls an Verständnis hervorgebracht haben. Wenn das nicht mehr funktioniert, ist der Grund nicht selten in der eigenen Ignoranz zu suchen.

Transatlantische Weltmachtpläne

Peter Orzechowski. Der direkte Weg in den Dritten Weltkrieg

Wenn die Welt ins Wanken gerät, schießen die Versuche, den Wandel zu erklären, wie Pilze aus dem Boden. Und je gehöriger das Wanken ist, umso größer der Anteil der Erklärungsmuster, die durchaus zu dem gerechnet werden können, was im Allgemeinen als Verschwörungstheorie bezeichnet wird. Dass die Destabilisierung der alten, vielleicht noch vor zwei bis drei Jahrzehnten existierenden Weltordnung in einem Kontext mit Plänen steht, die aus den USA stammen, dürfte mittlerweile allerdings auch bei denen angekommen sein, die eine solche Anschuldigung zunächst als Verschwörungstheorie abgetan hatten. In Zeiten derartig gewaltiger Irritationen ist es besonders wichtig, einerseits bei den Fakten zu beginnen und sich dann auf Erklärungsversuche zu fokussieren, die auf den Fakten basieren. In Zeiten von Werbeagenturen, die beauftragt werden, um die Volksseele auf kriegerische Handlungsbereitschaft hoch zu kochen, kein leichtes Unterfangen.

Der Autor Peter Orzechowski hat nun ein Buch mit dem Titel „Der direkte Weg in den dritten Weltkrieg. Wie uns NATO und USA in den Dritten Weltkrieg führen und warum Deutschland eine Schlüsselrolle dabei spielt“ vorgelegt. Durch Aufbau und Struktur gelingt es dem Autor, zumindest seine Thesen so zu untermauern, dass dabei nicht mehr von einer gewagten These oder einer Verschwörungstheorie gesprochen werden kann. Zu deutlich sprechen die Fakten, zu offensichtlich sind die Kausalitäten.

Die wesentlichen Aspekte, denen sich Orzechowski widmet, sind die geostrategischen Überlegungen aus den Brain Trusts der amerikanischen Weltmacht, die ökonomischen Hebel, derer sich die USA bedienen, die bündnispolitischen Allianzen, die immer mehr erweitert werden und die Durchsetzung des Kriegszustandes durch heiße und kalte Phasen.

„Der Weg in den Dritten Weltkrieg“ hat eine klare Kontur: Wer die Welt beherrschen will, so die us-amerikanische Doktrin, der muss das Heartland Eurasiens unter seine Kontrolle bringen. Das, was heute dem Territorium Russlands entspricht, auf dem vor allem strategisch wichtige Bodenschätze in großem Ausmaß liegen, muss beherrschbar gemacht werden. Denn wer die strategischen Rohstoffe, vor allem die energetischen und die dazu gehörige Logistik beherrscht, kann die Welt dominieren. Und, dazu gehört es, ein Bündnis zu verhindern, das mit der amerikanischen Weltherrschaft relativ schnell kurzen Prozess machen könnte, nämlich die Allianz zwischen dem wissenschaftlich-technisch-industriellen Stronghold Deutschland und dem Rohstoffgiganten Russland.

In diesem Kontext sind die bisher erfolgreichen Versuche zu sehen, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer einen NATO-affinen feindlichen Kordon zu bilden, der Russland bedroht und Deutschland und Russland in zwei Lager trennt. Deutschland selbst wiederum, das in der Europäischen Union eine dominante Rolle spielt und sich aufgrund seiner Stärke immer noch zu eigenem Denken veranlasst sah, wird nun durch die Nachwehen einer hoch riskanten Bankenrettung und einer im Nahem Osten durch Zutun der USA erzeugten großen Migrationsbewegung geschwächt. Ein Tor, wer all das als zufällige Koinzidenzen betrachtet.

Das Derangement der Ordnung vergangener Tage erzeugt eine Menge Unsicherheiten, die das Buch in eine gewisse Ordnung bringt. Und das ist sein Verdienst: Es stellt eine These auf, die man teilen oder ablehnen kann und ordnet dieser These theoretische, wirtschaftliche, soziale, ethnisch-kulturelle und politische Aspekte unter. Es führt dazu, dass ein klareres Bild der globalen Entwicklung entsteht. Es ist das des Divide et impera, des teile und herrsche. Für alle, die sich seit der Krise um die Ukraine und das Aufbauen neuer Feindbilder hierzulande unwohl fühlen und einen rationaleren Zugang zu der konkreten Politik verschaffen möchten, ist das Buch eine gute Alternative.