Auf ein Neues

Es ist zu beobachten, dass, je größer die zeitliche Distanz zu den ehemaligen Regierungsgeschäften wird, desto weniger interessiert das Operative. So mitten im täglichen Geschäft, da geht es oft um das Handwerkliche oder um Prozentsätze, aus der Ferne interessiert das nicht mehr sonderlich. Da wollen die meisten Menschen große Linien erkennen und sich darüber unterhalten. In dieser Falle scheint momentan auch die Merkel-Administration zu sein, die ihrerseits immer für die Beherrschung der Routine gelobt wurde. Sperrt man die Ohren auf und hört, was Thema auf der Straße ist, so geht es plötzlich um die großen Linien. Das ist ein sehr interessantes Phänomen und spricht dafür, ab und zu eine regierungsfreie Zeit einzulegen.

Eine Regierung, die sich immer wieder mit der Formulierung „Wir fahren auf Sicht“, besonders in bestimmten Krisen hervortat, deren Arbeit muss irgendwann doch bilanziert werden. Und bei der Bilanz, da geht es auch um strategische Themen, die, ob nun ein veritables Programm der Regierenden vorliegt oder nicht, einen hohen Stellenwert haben, von dem jeder weiß. Und so diskutiert das regierungslose Volk momentan Themen wie das der Bildung, der Infrastruktur, der Digitalisierung, der inneren und äußeren Sicherheit, der Besitzverhältnisse und insgesamt der Globalisierung.

Da wir alle wissen, dass das mit dem „Auf Sicht fahren“ nicht hieß, ohne Handlungsmaxime zu sein, wollen wir sie auch beim Namen nennen. Der Mentor, oder je nach dem, der Saboteur des gegenwärtigen Desasters in Bezug auf die strategische Ausrichtung des Landes saß im Finanzministerium. Sein Kompass war ausgerichtet auf den Abbau staatlicher Leistungen und den Ausbau der Privatisierungen. Gepaart wurde dieses Credo mit der Entschuldung des Staates, was einerseits positiv anmutet, andererseits aber dafür verantwortlich ist, dass genau die strategisch relevanten Handlungsfelder chronisch unterversorgt wurden. Und im Land des virulenten Mittelstandes wird der Zustand, in dem sich die Republik momentan in Bezug auf Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung und Modernisierung befindet, mit einem typischen „Guts Nächtle!“ quittiert.

Der gröbste Fehler, der bei den in wenigen Tagen bevorstehenden Verhandlungen zu einer Regierungsbildung von allen Seiten gemacht werden könnte, wäre eine nahtlose Fortsetzung der Diskussion über die seit Jahren bestehenden Regierungsagenda, die sich in Details und im Operativen verliert. Jetzt wollen die Wählerinnen und Wähler hören, wie die Strategie aussieht und nicht Zeugen eines Gefeilsches werden, dass dokumentieren würde, dass die Verantwortlichen ihre Lektion nicht gelernt haben. Zu befürchten, ja wahrscheinlich, ist es dennoch. Und dann, irgendwann bei der nächsten Wahlschlappe, werden vor allem die Sozialdemokraten sich wieder fragen, wie das denn sein könne, sie hätten doch alles getan. Und dann zählen sie wieder die unzähligen Belege ihres positiven Handelns auf, als befänden sie sich in der Sprechstunde eines Finanzbeamten.

Das schöne an der Welt ist, dass alle Menschen auf diesem Globus, gleich welcher Ethnie, welcher Sprache, welcher Geschichte und welcher Spiritualität, bestimmte Ansprüche an ein funktionierendes Gemeinwesen stellen. Da können die Chefideologen des Wirtschaftsliberalismus reden soviel sie wollen, das wollen alle. Da geht es zunächst um die äußere Sicherheit, d.h. es geht um Krieg und Frieden. Dann geht es um die innere Sicherheit, d.h. um Gesetze und ihre Einhaltung. Des Weiteren um eine funktionierende Infrastruktur und die Bildung der nachkommenden Generation. Das wollen alle, weltweit, und alle wollen gerne von ihrer Regierung wissen, wie sie das einlösen kann oder ob sie das überhaupt will. Und das wollen wir auch!

4 Gedanken zu „Auf ein Neues

  1. Pingback: Auf ein Neues — form7 | per5pektivenwechsel

  2. fibeamter

    Hat dies auf fibeamter rebloggt und kommentierte:
    Bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Europa machte ich einen Europa-Politiker der CDU darauf aufmerksam, dass nach dem BVerFG die EU-Organe wenig Kompetenz haben. Die Erwiderung: Wir können uns doch nicht nach jedem Verfassungsgericht richten. So sieht die Achtung eines deutschen Politikers vor dem höchsten deutschen Gericht aus.

  3. almabu

    Merkel ist zwar die oberste, aber bei Weitem nicht die einzige gnadenlose Opportunistin, die sich da zu GRO-KO- SO-KO- oder IWO-KO-Gesprächen irgendwann einmal zu treffen verabredet haben. Vielleicht hülfe es, die ca. tausend(!) Lobbyisten für 700 Abgeordnete aus dem Bundestag zu verbannen und dafür die politische Debatte dort zu führen, wo sie hingehört und zwar mit offenem Visier und ein jeder unter seinem eigenen Namen?

  4. autopict

    Wenn wir unsere Regierung fragen, wird sie die offenen Fragen bejahen, daran herrscht kein Zweifel.
    Wenn ich an das letzte Jahrgangstreffen zurückdenke, mit Schulbegehung, verströmen die WCs den Charme der 70er, der Brandschutz ist up-to-date. Es bleiben Fragen offen.
    Wenn ich an andere Ereignisse und ihre Folgen denke (die es in meiner Region gab, ohne jetzt detailliert darauf einzugehen), haben (öffentliche) Leuchtturmprojekte (was ein Begriff), die Aufgabe, über den Standard hinwegzutäuschen und den Veranlassern ein Denkmal zu setzen, nicht um voranzuschreiten.
    Und wenn ich an meinen sonstigen Alltag denke, komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.
    Aber wenn ich an die Selbstzufriedenheit meiner Generation denke, die sich teils aus der Unzufriedenheit über die hiesigen Zustände ernährt und nur möglich ist, da wir die Maden im Speck sind, und wie ein Halbwissen als Spezialistenerfahrung verkauft wird, dann wundert mich nichts mehr.
    Und wenn sich nun der Kreis schließt aus dem ersten Satz (Bejahung der Fragen) und dem letzten Satz (Halbwissen), ja dann…
    (nur ein paar Gedanken, ganz spontan, ich meine der Fisch stinkt von verschiedenen Seiten)

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