Archiv für den Monat April 2019

Ein wie immer geartetes Europa kann nur funktionieren, wenn in Deutschland ein radikaler Bruch mit dem bürokratischen Sicherheitsdenken stattgefunden hat. Der Beitrag Vom Wahn der Bürokratie heimgesucht erschien zuerst auf Neue Debatte.

über Vom Wahn der Bürokratie heimgesucht — Neue Debatte

Vom bürokratischen Wahn heimgesuchte Sensenmänner

Als das Rauchverbot in Gaststätten in Europa eingeführt wurde und in Deutschland das entsprechende Gesetz konsequent umgesetzt wurde, besuchte ich einen Freund im französischen Lyon. Als wir abends in ein Restaurant gingen, war ich verblüfft, weil in dem Lokal geraucht wurde. Als ich meinen Freund darauf hinwies, dass das doch eigentlich gar nicht mehr sein dürfe, wies er mich darauf hin, dass mitten im Raum zwei Tische ausgewiesen waren, auf denen keine Aschenbecher zu sehen waren und sogar Schilder mit dem Rauchverbotszeichen standen. Für ihn, den Franzosen, war das völlig o.k. und dem Gesetz Genüge getan, für mich, den Deutschen, wirkte das eher wie eine Persiflage. 

Die Episode sagt sehr viel aus über die unterschiedlichen Sichtweisen und Befindlichkeiten in Europa. Jetzt, so kurz vor den neuerlichen Europawahlen, wird heftig darüber gestritten, ob die EU notwendig ist oder nicht, oder in welcher Form sie notwendig ist und was an ihr auf keinen Fall Bestand haben sollte. Das sind gute und wichtige Fragen und wer nur mit dem Slogan durch die Lande läuft, wir bräuchten „mehr davon“, hat schon lange nichts mehr verstanden. 

Es gibt viele Aspekte, die da zu beleuchten sind, zum Beispiel das immer wieder auftretende und alles andere als Frieden stiftende Junktim von EU und NATO, aber darum soll es hier nicht gehen. Was nahezu alle, mit denen ich ins Gespräch komme, monieren, ist der von der EU ausgehende Bürokratismus. Betrachtet man sich die Richtlinien und Verordnungen, die tatsächlich in Brüssel entstehen, so stellt sich tatsächlich die Frage, ob in Europa keine anderen Sorgen bestünden als Gurken oder Glühbirnen. Manche Dinge, wie die Vergabeordnung, sind, das muss zugestanden werden, aus dem Wunsch entstanden, die Korruption zu bekämpfen. Designed wird das alles übrigens immer von einer relativ kleinen Bürokratie, die da in Brüssel sitzt, die Stadt Berlin hat mehr Beschäftigte als die gesamte EU.

Doch neben den viel zitierten Gesetzen und Verordnungen existiert ein Faktor, der den meisten Kritikern entgeht und der dazu beigetragen hat, alles, was aus Brüssel kommt, gründlich zu diskreditieren. Und das ist die deutsche Art und Weise der Umsetzung. Genau betrachtet ist die bürokratische Exzessivität der deutschen Interpretation mit dafür verantwortlich, wie sehr die Idee einer wie auch immer gearteten europäischen Organisation diskreditiert ist. Wer daran zweifelt, dem seien die innerhalb deutscher Verwaltungen entstandenen Einheiten zur Umsetzung der Vergabeordnung zur näheren Betrachtung empfohlen. Dort sitzen vom bürokratischen Wahn heimgesuchte Sensenmänner, die jede noch so gute Idee an der Umsetzung verhindern, denn bevor irgend etwas losgehen kann, haben sie das Gift der Paralyse verspritzt und alle Beteiligten in den Zustand verlorener Zuversicht und gebrochener Motivation versetzt.

Und damit kommt eine Schlussfolgerung zur Geltung, die bei einer oberflächlichen Europakritik zunächst niemand im Sinn hat: Ein wie immer geartetes Europa kann nur dann funktionieren, wenn in Deutschland ein radikaler Bruch mit dem bürokratischen Sicherheitsdenken stattgefunden hat. Wie viele Scherze existieren darüber, dass in Deutschland keine Großprojekte mehr innerhalb eines definierten Zeit- und Geldrahmens gelingen? Es sind unzählige, und sie sind berechtigt, das hat aber mit der desolaten Befindlichkeit des eigenen Landes und seiner verkommenden Mentalität der Überregulierung und Risikoarmut zu tun. Gerechtigkeit muss sein. Der schwerfällige eigene Bürokratismus lähmt mehr als vieles, das in Brüssel entsteht.