Archiv für den Monat Juli 2019

Kurt Vonnegut: Leicht zu lesen, schwer zu verstehen

Kurt Vonnegut. Mother Night

Kurt Vonnegut, dem aus Indianapolis stammenden Autor, stand die deutsche Prägung immer gegenüber. Alles, was man damit assoziieren könnte, hat er bei weitem nicht eingelöst. Der Autor stand nicht für den Mainstream und nicht für das Melancholisch-Schwere, sondern für eine humorvolle, ins Absurde getriebene Leichtigkeit, mit der aufgrund der diabolisch-infernalischen Sujets, die er wählte, nicht gerechnet werden konnte. Vonnegut wurde zeit seines Lebens nie ein Mainstream Star in seiner amerikanischen Heimat, weil er vor allem die so eingeübte und traditionell perpetuierte Dichotomie von Gut und Böse hartnäckig zerstörte. 

In Deutschland jedoch, wo der Roman spielt, mit dem Vonnegut Weltruhm erlangte, gelangte er nicht über eine Nischengröße hinaus. Wer wirklich die Dilemmata wie die grandiosen Triumphe des Überlebenswillens spüren will, lese Vonneguts Slaughterhouse 5, in der die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten zu einem Fanal und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse mit Phosphor ausradiert werden.

Mit Mother Night, einer viel früheren Arbeit, hatte sich Vonnegut an die Frage herangewagt, wie deutlich die Trennlinien der Geschichte eigentlich Wirkung haben. Am Leben eines Amerikaners, der bei den deutschen Nazis Karriere machte und gleichzeitig für die USA spionierte, illustriert Vonnegut die Schlieren zwischen dem ethisch Erhabenen und dem moralisch zu Verwerfenden. Alles existiert in ein und derselben Person. So tragen die Nazis humane Züge, die Juden sind böse Revanchisten, die Kommunisten heimtückische Träumer und die Schwarzen koloniale Plagiatoren, um im nächsten Augenblick die zu Schau gestellten Werte wieder umzukehren. 

Ja, Mother Night ist grotesk, aber es legt dem verehrten Publikum den Schluss nahe, sich nicht allzu früh festzulegen in Bezug auf das moralisch Einwandfreie oder das abgrundtief Verwerfliche. Denn ständig wechseln die Perspektiven und damit die Lichtverhältnisse. Da werden alle Werte wieder einmal umgewertet und es wird nicht deutlich, welche dieser Existenzen, die allesamt menschlich sind, denn tatsächlich dabei helfen würden, um in einer Welt zu leben, in der sich die handelnden Figuren auch auskennen.

Mother Night ist ein durch und durch revolutionäres Stück Literatur, weil es die archaische, typisch deutsche Lesart einer klar strukturierten Handlung ebenso vermissen lässt wie die das Modell von Gut und Böse. Daher konnte es in Deutschland nie reüssieren. Und es nimmt sich aus wie eine altes Krankheitsmuster, dass die Übersetzung von Mother Night ins Deutsche so ausfallen musste, wie sich das gehört: Schatten der Schuld. Da ist er wieder, der erotische Trieb ins Verhängnis, vor dem das nicht übersetzte Original die Leserschaft durch Witz und Skurrilität bewahrt. 

Während man im Original zum Teil eines schmunzelnden Lernprozess wird, torkelt die deutsche Übersetzung in die dunklen Zonen germanischer Elementargeister. Da passt es gar nicht, dass der vermeintliche Delinquent sich nach einer gerechten Strafe sehnt und damit seinen Status als Bösewicht gleich an der Garderobe abgibt. Das hatte er übrigens schon vorher: In dem er rät, immer nur das als Existenz vorzugeben, was man auch in der Lage sei zu spielen. Und wer nicht spielen kann, der existiert auch nicht. 

Mit Mother Night hat Vonnegut eines von vielen Beispielen seiner literarischen Genialität geliefert. Nichts ist so, wie es scheint. Und, obwohl es leicht geschrieben steht, so ist vieles doch schwer zu verstehen. Was für ein Gewinn!

Satire: Ran an die eigenen Verhältnisse!

Nicht, dass wir auf die Schnapsidee kämen, die politische Satire sei hierzulande nicht mehr erlaubt! Nein, sie blüht wie lange nicht mehr. Bei der Beobachtung von dem, was sich zumindest als politische Satire versteht oder selbst so nennt, fällt zunächst auf, dass sowohl in den so genannten Mainstream- und Qualitätsmedien die gleichen Politikerinnen und Politiker aufs Korn genommen werden, wie z.B. in den sozialen Netzwerken. Und es fällt auf, dass es nahezu exklusiv Männer sind, die ihr Fett abbekommen. Vor allem die Kongruenz zwischen den staatsloyalen und den alternativen Plattformen sollte verstören. Irgend etwas scheint nicht zu stimmen.

Es ist zu beobachten, dass es bestimmte Objekte gibt, an denen es sich exzellent abarbeiten lässt. Die wohl tatsächlich schillerndste Figur in der internationalen Politik ist Donald Trump. Das Schöne bei ihm ist, dass er verantwortlich zeichnet für eine neue Politik der USA gegenüber der Bundesrepublik. Das Patronat hat sich in einen knallharten Konkurrenten verwandelt und der Unmut darüber ist in der hiesigen Nomenklatura riesengroß. Und schon ledert alles, was karikieren, überzeichnen, diffamieren und kolportieren kann gegen die Person los. Und, Gott ist den christlichen Demokraten gewogen, jetzt gesellt sich zu dem letzten Exemplar eines satirischen Punching Balls noch ein gewisser Boris Johnson.

Nicht, dass diese und andere, die immer einmal wieder mit mäandern, die Ehre einer kräftigen Überzeichnung nicht verdient hätten. Das steht außer Frage, Trump wie Johnson sind Prototypen eines skrupellosen Polit-Show-Geschäfts, das an destruktiven Wirkungen kaum zu überbieten ist. Und dennoch sollte die Einseitigkeit, mit der der letzte Spott vor allem auch in den sozialen Netzwerken mobilisiert wird, zu denken geben. 

Die auf der Hand liegende Frage lautet: Was geschieht eigentlich mit den ganzen Politclowns im eigenen Land? Die daher schwätzen wie junge Papageien, die sinnentleerte Sätze in die Massen streuen, die keine Position bis zum nächsten Tweed halten können, die über strategische Kompetenzen verfügen wie die Amöben und die Sympathiewerte haben wie der Restmüll? Dass sich die herrschenden Medien ihnen gegenüber nicht der Satire bedienen, liegt an der durch sie existenzsichernden Politik. Aber warum lässt sich der in Ansätzen vorhandene Widerstand derartig konditionieren, dass er von ihnen lässt? 

Es scheint eine psychische Entlastung zu sein, sich bei den immer obszöner werdenden Zügen der herrschenden Politik an bestimmten Figuren abarbeiten zu können. Doch müssen die in Washington, Pjöngjang, Moskau oder London leben? Wenn es dabei bleibt, dann ist das Hündchen wohl gut konditioniert!

Wie wäre es, das Besteck der Satire mal so richtig auszupacken gegen die Merkels, die von der Leyens, die Kram-Karrenbauers, die Maas und, auch das wäre ein dankbares Feld, die Lagardes und Macrons? Immer nur die, die den Genannten nicht in den kram passen, das ist allzu durchsichtig. Da verwandelt sich ein Medium der Opposition ganz schnell zu einer lahmen, aber herrschaftssichernden Methode. Indem nur die Trumps, nicht aber die Merkels im Fokus des Spottes stehen, wird selbst dieses Genre zum Mittel der Propaganda.

Übrigens: Es existieren Ausnahmen, wie zum Beispiel die Anstalt, die nicht nur Respekt verdienen, sondern anhand derer auch demonstriert werden kann, was gute Satire bewirken kann. Sie klärt auf, und die Getroffenen belagern die Gerichte. Beides ist ein guter Indikator. Also ran an die eigenen Verhältnisse! 

Franz Liszt und der Bruch mit den Verhältnissen

„Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben!“ Der ungarische Musiker, Komponist und Schriftsteller Franz Liszt formulierte damit eher Gedanken, die zum neuen Erkenntnisstandard des 19. Jahrhunderts zählten, als dass es eines ausgewiesenen Revolutionärs bedurft hätte, um zu einer solchen Quintessenz zu kommen. Ihm sei die Ehre erwiesen, etwas formuliert zu haben, dass die kritische Selbstbeurteilung der eigenen Lebensumstände in die verantwortungsvolle Reflexion des Individuums legte. Es ging darum, sich zu fragen, ob das soziale Arrangement, auf das man sich eingelassen hatte, zu den Ergebnissen führte, die man sich existenziell erhofft hatte. Bei einem negativen Ergebnis dieser Überlegung stand die Option: Brich mit diesen Verhältnissen, sie ruinieren dich!

Was daraus zu lernen ist? Nicht jede Form des Individualismus, der als der Leitgedanke des bürgerlichen Zeitalters benannt werden muss, war gleich ein Akt egoistischer Absonderung im sozialen, gesellschaftlichen Sinn. Ganz im Gegenteil! In dem das Individuum aufgefordert wurde, für sich herauszufinden, ob die guten, reinen Ziele, die es sich gesetzt hatte, unter den gegebenen Umständen zu erzielen seien. Und die Schlussfolgerung, die bei einer negativen Bewertung folgte, war nicht die radikale Abkehr von der Gesellschaft, sondern die Aufforderung, mit ihren negativen Verhältnissen zu brechen und neue, bessere zu schaffen.

Die Eintrittskarte dazu konnte, wie das obige Zitat eindrucksvoll untermalt, ein radikaler, gewaltsamer Bruch mit dem Regelwerk sein, in dem sich das Individuum befand. Insofern hatte das bürgerliche Zeitalter immer einen revolutionären Impuls, der vom Individuum ausging. Diesen auf das große, die Gemeinschaft, das Kollektiv zu übertragen, sollte das große Unterfangen der sozialen, der proletarischen Revolution sein. 

Heute bewerten zu wollen, dass entweder die bürgerliche oder die proletarische Revolution oder gar beide gescheitert sind, ist eine historisch verfrühte Anmaßung. Das einzige, was bis heute als gescheitert angesehen werden kann, ist die Aristokratie und das mit ihr assoziierte Feudalsystem. Alles andere ist noch im Fluß. Bürgerliche wie proletarisch ausgerichtete Gesellschaften führten in Diktaturen und Kriege, die soziale wie individuelle Emanzipation sind beide Modelle im positiven Sinne noch schuldig. Die Karten liegen immer noch auf dem Tisch und das Spiel läuft noch.

„Die Verhältnisse“, schrieb Bertolt Brecht, „sie sind nicht so“. Das ist der Stein, der angestoßen werden muss, um zu einem Erkenntnisprozess zu kommen, der dazu führen kann, mit ihnen zu brechen und andere zu schaffen. Das große Versprechen der bürgerlichen Revolution war, dass die Menschen, sprich die Individuen, die aus ihrer Gesellschaftsordnung erwuchsen, auch in der Lage seien, die kritische Reflexion vorzunehmen. 

Historisch betrachtet gab es Phasen, in denen dieser Anspruch an die bürgerliche Gesellschaft eingelöst wurde und Phasen, in denen die Individuen mit dieser Last überfordert waren. Dann schlug die Stunde des Kollektivismus, der dieses Defizit zu begeben suchte, aber dem Individuum nicht die Stärke zurück gab, derer es bedarf, um selbst zu entscheiden, mit den gegebenen Verhältnissen zu brechen. Vielleicht schrieb Franz Liszt deshalb auch von Glück, das jenen beschieden war, denen es gelang.

Die gegenwärtige Phase unserer gesellschaftlichen Befindlichkeit zeichnet sich durch eine vordergründige Stärkung des Individuums aus, in dem es ihm  eine ungeheure Varianz an Befindlichkeiten  zugesteht, jedoch keinen eigenen, individuellen, selbst gestalteten Handlungsspielraum lässt. Es handelt sich ihm einen gravierenden Widerspruch zu den emanzipatorischen Zielen der bürgerlichen Revolution. Das Spiel mit den Befindlichkeiten lenkt ab von den notwendigen Taten. Lässt uns glücklich sein, brechen wir mit den Verhältnissen, die uns sonst zu brechen drohen.