Kurt Vonnegut. Mother Night
Kurt Vonnegut, dem aus Indianapolis stammenden Autor, stand die deutsche Prägung immer gegenüber. Alles, was man damit assoziieren könnte, hat er bei weitem nicht eingelöst. Der Autor stand nicht für den Mainstream und nicht für das Melancholisch-Schwere, sondern für eine humorvolle, ins Absurde getriebene Leichtigkeit, mit der aufgrund der diabolisch-infernalischen Sujets, die er wählte, nicht gerechnet werden konnte. Vonnegut wurde zeit seines Lebens nie ein Mainstream Star in seiner amerikanischen Heimat, weil er vor allem die so eingeübte und traditionell perpetuierte Dichotomie von Gut und Böse hartnäckig zerstörte.
In Deutschland jedoch, wo der Roman spielt, mit dem Vonnegut Weltruhm erlangte, gelangte er nicht über eine Nischengröße hinaus. Wer wirklich die Dilemmata wie die grandiosen Triumphe des Überlebenswillens spüren will, lese Vonneguts Slaughterhouse 5, in der die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten zu einem Fanal und die Unterscheidung zwischen Gut und Böse mit Phosphor ausradiert werden.
Mit Mother Night, einer viel früheren Arbeit, hatte sich Vonnegut an die Frage herangewagt, wie deutlich die Trennlinien der Geschichte eigentlich Wirkung haben. Am Leben eines Amerikaners, der bei den deutschen Nazis Karriere machte und gleichzeitig für die USA spionierte, illustriert Vonnegut die Schlieren zwischen dem ethisch Erhabenen und dem moralisch zu Verwerfenden. Alles existiert in ein und derselben Person. So tragen die Nazis humane Züge, die Juden sind böse Revanchisten, die Kommunisten heimtückische Träumer und die Schwarzen koloniale Plagiatoren, um im nächsten Augenblick die zu Schau gestellten Werte wieder umzukehren.
Ja, Mother Night ist grotesk, aber es legt dem verehrten Publikum den Schluss nahe, sich nicht allzu früh festzulegen in Bezug auf das moralisch Einwandfreie oder das abgrundtief Verwerfliche. Denn ständig wechseln die Perspektiven und damit die Lichtverhältnisse. Da werden alle Werte wieder einmal umgewertet und es wird nicht deutlich, welche dieser Existenzen, die allesamt menschlich sind, denn tatsächlich dabei helfen würden, um in einer Welt zu leben, in der sich die handelnden Figuren auch auskennen.
Mother Night ist ein durch und durch revolutionäres Stück Literatur, weil es die archaische, typisch deutsche Lesart einer klar strukturierten Handlung ebenso vermissen lässt wie die das Modell von Gut und Böse. Daher konnte es in Deutschland nie reüssieren. Und es nimmt sich aus wie eine altes Krankheitsmuster, dass die Übersetzung von Mother Night ins Deutsche so ausfallen musste, wie sich das gehört: Schatten der Schuld. Da ist er wieder, der erotische Trieb ins Verhängnis, vor dem das nicht übersetzte Original die Leserschaft durch Witz und Skurrilität bewahrt.
Während man im Original zum Teil eines schmunzelnden Lernprozess wird, torkelt die deutsche Übersetzung in die dunklen Zonen germanischer Elementargeister. Da passt es gar nicht, dass der vermeintliche Delinquent sich nach einer gerechten Strafe sehnt und damit seinen Status als Bösewicht gleich an der Garderobe abgibt. Das hatte er übrigens schon vorher: In dem er rät, immer nur das als Existenz vorzugeben, was man auch in der Lage sei zu spielen. Und wer nicht spielen kann, der existiert auch nicht.
Mit Mother Night hat Vonnegut eines von vielen Beispielen seiner literarischen Genialität geliefert. Nichts ist so, wie es scheint. Und, obwohl es leicht geschrieben steht, so ist vieles doch schwer zu verstehen. Was für ein Gewinn!
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