Archiv für den Monat März 2020

Krise IX: Die Legitimation von Politik durch Wissenschaft

Die gegenwärtige Krise verstärkt eine Tendenz, die mit der Fridays For Future-Bewegung eingesetzt hatte. Es geht um die Legitimation von Politik mit dem Verweis auf die Wissenschaft. Das wohl wichtigste Argument dieser Bewegung sind Aussagen von Wissenschaftlern zum Klimawandel. Unabhängig von der notwendigen Betrachtung von Wissenschaft fiel auf, dass dieser Verweis bei weitem nicht auf so offene Ohren stieß wie die folgende Welle mit der Pandemie. Da griff die Politik schleunigst zu, zu jeder politischen Entscheidung, die getroffen wird, werden die Politiker von nickenden Virologen und Epidemiologen umrahmt. Anscheinend ist in diesem Fall auch die Akzeptanz derer, die die politischen Entschlüsse mittragen sollen, uneingeschränkt vorhanden.

Aufgrund dieser Erfahrung ist zu erwarten,  dass sich die Politik in Zukunft vermehrt das Testat der Vernunft und Seriosität aus dem Lager der Wissenschaft holen wird. Wäre die Wissenschaft so, wie sie vielen erscheint, könnte das hilfreich sein. Doch so heilig ist die Wissenschaft nicht, auch sie hat in den letzten Jahrzehnten sehr unter Sparprogrammen einerseits und Privatisierung andererseits gelitten. Längst kursieren Begriffe wie Auftrags- und Gefälligkeitswissenschaften, die Zustände beschreiben, in denen die Wissenschaft sich dafür hergibt, die notwendigen Botschaften derer, die als Geldgeber in Erscheinung treten, mit dem Instrumentarium der eigenen Disziplin zu untermauern. 

Bei den vielen Zitaten aus den Wissenschaften, mit denen wir bereits heute konfrontiert werden, empfiehlt es sich, zunächst einmal zu fragen, aus welchem Haus die Untersuchung, auf die man sich beruft, tatsächlich kommt. Meistens sind es private Institute oder Stiftungseinrichtungen, während staatliche Universitäten relativ selten für politische Legitimation zur Verfügung stehen. Ein weiteres Indiz ist der Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen. Selten wurden Wissenschaftler derartig demontiert, wie in diesen Zeiten. 

Was als typisch für die Inquisition galt, ist durchweg gesellschaftsfähig geworden. Man sehe sich alle an, die sich der offiziellen Meinungsversion als Wissenschaftler nicht anschließen. Über Nacht sind Menschen, die bis dahin eine unangefochtene professionelle Reputation genossen, mit dem Label des Verschwörungstheoretikers, des Scharlatans oder des Psychopathen versehen.

Andererseits sei der kleine Hinweis auf den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erlaubt. Selbiger ist gerade in der jüngsten Zeit immer wieder zu Ergebnissen gekommen, die der Politik der Bundesregierung diametral entgegenstanden. Der Verweis auf die Wissenschaft bleibt in solchen Fällen aus. Es sollte allen klar sein, dass die Wissenschaft instrumentalisiert wird, auch wenn die Legitimation von Politik durch die Wissenschaft punktuell vernünftig und sinnvoll sein kann. Generell, als politisches Paradigma, ist es ein Desaster.

In Erinnerung ist das Bild, das Dürrenmatt einst von einem Physiker zeichnete, der endlich die Formel für die H-Bombe gefunden hatte und müde, aber glücklich in seinen Sessel sackte. Dann ließ er den Blick schweifen und entdeckte, dass er während der fieberhaften Forschungsarbeit vergessen hatte, seine Pflanzen zu gießen. Sie waren eingegangen. Als er das realisierte, entlockte es ihm eine Träne. 

Es sollte im Kopf sein, dass das Interesse von Wissenschaft nicht kongruent sein muss mit dem, was politisch vernünftig ist. Und es sollte immer bewusst sein, dass die größten Verbrechen der Menschheit von Wissenschaftlern begangen wurden, denen man zu „Forschungszwecken“ Macht gab. Auschwitz wäre ohne ihr Zutun nicht so möglich geworden und, als der Krieg vorbei war, sorgte der amerikanische Geheimdienst dafür, dass man diese Kriminellen in die USA holte, um den militärisch-industriellen Komplex aufzubauen. 

Harmlos ist die Legitimation von Politik durch die „Wissenschaft“ also nicht. Auge, sei wachsam!     

Krise VIII: Die Rückkehr des proletarischen Machiavelli

„Gerade als ich dabei war auszusteigen, ziehen sie dich wieder rein!“ Der viel zitierte, persiflierte und verwendete Satz aus Corleone/Coppolas „Paten“ ist vielleicht die beste Umschreibung dessen, was als die zyklische Krisenhaftigkeit des freien, chronisch beschleunigten und immer spekulativer werdenden Marktes beschreibt. Eigentlich hört die Krise nie auf. Man spürt sie nur nicht überall gleichzeitig. Es ist wie mit der im Paten geschilderten organisierten Kriminalität. Sie funktioniert, solange die Terrains abgesteckt und respektiert sind. Dann herrscht Frieden und Wohlstand und die Granden spenden für karitative Zwecke. Sobald aber Konkurrenz auftaucht, wird Machiavellis Fürst zum Drehbuch und es gilt nur noch das Gesetz der kalten Macht. Der Pate ist der proletarische Machiavelli. Immer, wenn die Akteure denken, sie seien raus, werden sie wieder hereingezogen in das Spiel, das mehr zerstört, als dass es schafft. 

Der Trugschluss, es ginge doch alles sehr friedlich zu, hat dort Konjunktur, wo die direkten Kämpfe um Rohstoffe, Ressourcen und billige Arbeitskräfte gerade nicht toben. In Deutschland lässt sich besser von den Segnungen der Produktionsweise und des freien Marktes schwärmen als im Kongo oder in Afghanistan. Denn irgendwo herrscht immer Krieg, auf die eine oder andere Weise, mal wirtschaftlich, mal mir glühenden Waffen. Und die Orte, wo er herrscht, haben sich explosionsartig vermehrt. Die Handels- und die heißen Kriege sind das Ergebnis von Krisen, die entstehen, wenn zu viel produziert wurde und es nicht verkauft werden konnte, wenn spekuliert wurde und der erwartete Wert nicht erzielt wurde oder wenn die Bedingungen von Produktion und Distribution massiv beeinträchtigt werden. 

Auf die Krise, die wir momentan erleben, treffen alle Faktoren zu. Produzenten wie Produktionsbedingungen und Distribution sind durch die Pandemie massiv beeinträchtigt und die Märkte stehen still. Wer da glaubt, das Spiel sei aus und nach der Genesung ginge alles so weiter wie gewohnt, wird eines besseren belehrt werden. Die Messer werden bereits gewetzt für die Verteilungs- und Neuaufteilungskämpfe danach. Und vieles, was sich andeutet, spricht dafür, dass sowohl der Kongo als auch der Hindukusch gar nicht mehr benötigt werden für das Gefühl der direkten Bedrohung. Der Kampf wird näher kommen und die Beschaulichkeit wird weichen. 

Nichts wird mit dem korrespondieren, was jetzt als die überall beobachtet Vernunft gehuldigt wird. Ja, viele Menschen sind vernünftig, was die Hinweise zur Vermeidung einer Infektion anbetrifft. Und ja, sie zeigen sich solidarisch, wenn es um die Hilfe für Mitmenschen geht, die es hart trifft. Aber, ob diese Fähigkeit der Bevölkerung, sich als soziale Wesen im positiven Sinne zu profilieren, umgewandelt werden kann in eine Akzeptanz für die Großmachtpläne der wirtschaftsliberalen Raubtiere, lässt sich bezweifeln. Wie sich diese Teile der Gesellschaft, denen jetzt die Schwärmerei gilt, zur Wehr setzen werden, wird sich noch zeigen. Auch ihnen sei jedoch das Zitat aus dem Paten noch einmal modifiziert vorgesprochen: Denkt nicht, dass ihr raus seid. Sie ziehen euch wieder rein!

je mehr sich die pandemische Krise dem Ende neigen wird, desto stärker wird die zum Teil daraus entstandene, zum Teil bereits virulente wirtschaftliche Krise in den Vordergrund treten. Dann geht es um das, was historisch einmal so treffend als Kriegsgewinne bezeichnet wurde. Es gilt, sich auf diese Zeit gut vorzubereiten. Und vielleicht noch ein Rat aus dem Paten: „Hüte dich, deine Feinde zu hassen. Es trübt dein Urteilsvermögen.“

Viele Fakten und ein Hufeisen

Heinrich August Winkler. Weimar 1918 – 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie

Weimar ist wichtig. Weimar ist aktuell. In Zeiten, in denen das, was als demokratisch gesetzt gilt, den Anschein vermittelt, ins Wanken geraten zu sein, fällt sofort das Wort der ersten parlamentarischen Demokratie, die unter dem Namen der Weimarer Republik in die Geschichte einging. Sie selbst entstand unter dramatischen Umständen, sie nahm einen dramatischen Verlauf und sie scheiterte dramatisch. So ist es nicht verwunderlich, dass bei jeder Krise der Name Weimar aufblitzt wie ein schlechtes Omen. Oft ist es nur so ein Gefühl, mal als Warnung gemeint, mal nur das Zeichen von Hilflosigkeit. Da ist es vonnöten, sich mit der Materie gewissenhaft auseinanderzusetzen. 

Der Historiker und zum Festredner im Bundestag avancierte Heinrich August Winkler hat das bereits im Jahr 1993 mit einer Publikation gemacht, die aufgrund seines gewachsenen Bekanntheitsgrades nun in den Auslagen der Buchhandlungen liegt. Sie trägt den Titel: „Weimar 1918 – 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie“. Das Buch umfasst 700 Seiten und ist, was die Aufführung der recherchierte Fakten, die dichte der Darstellung und die chronologische Konsequenz anbelangt, eines Historikers würdig und lässt nichts zu wünschen übrig. Wer sich die tatsächlichen Begebenheiten in ihrer Abfolge vor Augen führen möchte, der ist mit diesem Buch gut bedient.

Was mich bei der Lektüre zunächst irritierte, mit weiterem Fortschreiten zunehmend störte und irgendwann regelrecht unwillig machte, waren die Einlassungen des Historikers. Nicht, dass es einem Historiker nicht zustünde, sich selbst mit einem Standpunkt zu positionieren. Das ist hilfreicher als eine ostentativ zur Schau gestellte Neutralität, die, um ehrlich zu sein, eine Fiktion bleiben muss. Winkler macht aber in dieser Publikation genau dies. Er enthält sich einer expliziten Erklärung zu seinem eigenen Standpunkt, operiert aber mit beeinflussenden sprachlichen Mitteln.

Zumeist sind es kurze Bewertungen von historischen Fehlern, die bestimmte Akteure gemacht haben oder es sind eingeworfene Adjektive, die bei der Leserschaft eine bestimmte Stimmungen  erzeugen sollen. Da werden Akteure mal als irrational, mal als verbohrt und mal als gesteuert dargestellt, was zutreffen mag, jedoch in einer Schrift mit dem Anspruch als einer historischen Darstellung nichts verloren haben. Dass diese Wertungen zufällig sind und alle Akteure dieses aufwühlenden Weimars beträfen, ist jedoch eine Annahme, die nicht zutrifft.

Was auffällt, ist auf der einen Seite eine sehr sachliche Darstellung der Ereignisse, die sich aus dem Agieren der radikalen Rechten ergaben, dem zumeist eine innere Logik bescheinigt wird. Wogegen alle Aktionen von der SPD, der USPD und der KPD als verhängnisvoll beschrieben und gewürdigt werden. Damit nimmt Winkler eindeutig einen Standpunkt ein, der sich konsistent durch die gesamte Arbeit hält und der auf das Theorem des Hufeisens oder auch dem des Totalitarismus verweist. Folglich verlässt die Leserschaft den Parcours nicht mit der Erkenntnis, aber mit dem Gefühl, die Linke habe die erste demokratische Republik auf dem Gewissen.  Angesichts der vor allem aktuellen politischen Entwicklungen handelt es sich dabei um eine problematische Darstellung und man könnte zu dem Schluss kommen, dass der ideologische Unfug, der aus der Betrachtung von der Mitte und den Rändern regelmäßig formuliert wird, bis in die Sozialdemokratische Partei hineinreicht, deren Mitglied Winkler ist. 

Wer die Fakten dieser verhängnisvollen Republik noch einmal Revue passieren lassen will, mag das Buch lesen. Wer nach einer politisch verwertbaren Analyse sucht, wäre damit nicht gut beraten.