Staatsversagen

Da werden Straßen und Brücken gesperrt, da sind Gebäude abgeriegelt, ganze Netze über sie geworfen und Treppenhäuser geschlossen. Der Zustand der öffentlichen Infrastruktur und öffentlicher Gebäude ist in vielen Fällen zu beklagen. Was sich aus der Retrospektive sicher sagen lässt, ist die jahrzehntelange Vernachlässigung der Unterhaltung von Straßen und Gebäuden. Ein Phänomen, das noch vor nicht allzu langer Zeit exklusiv den so genannten Entwicklungsländern nachgesagt wurde. Dort, so hieß es immer wieder, zeige man sich gerne im Prunk des Neuen, habe aber kein Auge für die tägliche Pflege. Ja, man schaute ganz gerne auf die dortigen Eliten herab, zeichneten sie doch in ihrer einfältigen Verschwendungssucht für den schnellen Verfall der Substanz verantwortlich. Und hier? Und heute? Ist die Erklärung nun einfach umzukehren, d.h. haben unsere politischen Eliten die gleiche Entwicklung genommen? 

Neben den Schäden, die eine mangelnde Unterhaltung öffentlicher Gebäude und öffentlicher Infrastruktur zur Folge hatte, kommt noch ein weiterer Aspekt zum Vorschein, der genauso besorgen muss. Es handelt sich um die Bauzeiten. Nach der ersten Verzweiflung aufgrund einzelner Vorkommnisse, wie dem des Berliner Flughafens, dem der Elbphilharmonie oder dem des Stuttgarter Bahnhofs, herrscht mittlerweile der blanke Zynismus. Entweder sind die Bauzeiten absurd hoch, oder die Kosten steigen ins Astronomische. Und wenn ein Bau einmal einigermaßen im Zeit- und Kostenrahmen fertig wird, dann ist er kurz darauf bereits wieder ein Sanierungsfall. Von den Autobahnen, die die Republik durchziehen, redet man besser erst gar nicht. Baustellen, auf denen niemand zu sehen ist, Absperrungen, die über Jahre unberührt sind. 

Ja, es klingt wie ein allzu bekanntes Lamento. Und ja, es muss darüber zu reden sein. Denn hinter dem zu beobachtenden seit langem nicht mehr existierenden Willen, in den Unterhalt des Bestehenden zu investieren und der nicht mehr vorhandenen Fähigkeit, Neues zu erstellen, kann ein System identifiziert werden, das seit langem greift. Es handelt sich dabei um bestimmte Mechanismen, die fatal ineinandergreifen.

Zum einen ist es für Politikerinnen und Politiker uninteressant, Mittel in das Bestehende zu stecken. Die Aufmerksamkeit fokussierende gesellschaftliche Kommunikation honoriert nur diejenigen, die etwas Neues einweihen, aber nicht diejenigen, die dafür sorgen, dass es über Jahre auch funktioniert. Es handelt sich um einen psychologischen Effekt, den zu adressieren nicht sonderlich schwer sein sollte. Die Berichterstattung wird erst dann wieder relevant, wenn etwas nicht mehr funktioniert und dieser Zustand dann skandalisiert werden kann. Die mediale Aufmerksamkeitsneurose peitscht somit die Politik in eine Richtung, die fatal ist.

Zum anderen sind Planung, Monitoring und Rechtsabsicherung von Bauvorhaben zu einem schier unlösbaren Problem geworden. Das liegt an der Verrechtlichung und Vorschriftsexplosion, die zum einen eine Bürokratien inhärente Erscheinung sind. Das Primat der Politik ist, und das ist das substantielle Problem, einer Bürokratisierung derselben gewichen. Was vor allem im Konnex mit dem unsäglichen Legitimationswunsch der EU-Bürokratie lanciert wird, handhaben die einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich. Doch was in Frankreich oder Italien erst einmal auf seine Kommensurabilität im eigenen Land überprüft und dann pragmatisch justiert wird, erfährt in Deutschland seine Potenzierung durch ein außer Rand und Band geratenes Berufsbeamtentum, seinerseits ein grotesk museales Stück aus Kaisers Zeiten im digitalen Zeitalter. 

Was die hiesige Politik unterschätzt hat und unterschätzt, ist der aus diesen Tendenzen hervorgehende Zustand eines nicht anders als zu bezeichnenden Staatsversagens. Wohin das geführt hat und weiter führen wird, ist täglich zu beobachten. Es ist die originäre Aufgabe von Politik, den Fokus auf das zu richten, was gesellschaftlich erforderlich und notwendig ist. Und es ist die Aufgabe von Politik, die Institutionen und Apparate dahin zu bringen, das Gedachte umzusetzen. Gelingt dies nicht, folgt, wie die Baubranche im Moment am besten belegt, Staatsversagen. Wer seine Apparate nicht im Griff hat, riskiert die Existenz.  

3 Gedanken zu „Staatsversagen

  1. Alice Wunder

    Die gute Infrastruktur der Bundesrepublik der 1980er, so sagte man mir damals, sei zu einem Gutteil der Unterstützung der Royal Air Force zu verdanken, welche Anfang 40er viel kostenlose Entwicklungshilfe in Form von aktivem Rückbau und psychologischem Innovationsdruck geleistet hat. Mithin also ein historischer Zufall.

  2. Aventin

    Ja, das Staatsversagen greift auf das ganze Land und Europa über, wobei es bei anderen EU-Ländern vielleicht noch nicht so ausgeprägt ist wie in DE. Was mir mehr Sorgen macht als das Disaster Flughafen und Bahnhof, Schulen und öffentliche Einrichtungen, sind die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft, die sich bei der Bevölkerung zunehmend in Hass, Unzufriedenheit und Zerstörungswut äußern.

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