Das Anforderungsprofil für das Kanzleramt

Bei der Betrachtung von Anforderungsprofilen verschiedener Berufsgruppen fällt auf, dass die normative Kraft der Vorstellung überwältigend ist. Nicht, dass es nicht erforderlich wäre, bei der Formulierung von Ansprüchen nicht ehrgeizig zu sein, doch liest man viele Ausschreibungen von Stellen, dann drängt sich doch immer wieder das Gefühl in den Vordergrund, etwas vor sich zu haben, dass der Realität entbehrt. Da werden möglichst junge Menschen gesucht, die über große Erfahrungen verfügen, die viele verschiedene praktische Herausforderungen bereits gemeistert haben, die, wenn es geht, schon im Ausland gearbeitet haben, die Bestnoten bei ihren formalen Voraussetzungen nachweisen können und die, nicht zu vergessen, gleichzeitig teamfähig sind und über große Durchsetzungskraft verfügen. Oft, zumindest mir geht es so, kommt einem der Rat in den Sinn, dass es hilfreicher wäre, zu appellieren, einfach einmal auf dem Boden zu bleiben.

Der Beruf des Politikers, und darum handelt es sich de facto, auch wenn er immer wieder an ein Mandat geknüpft ist, entgeht in der Regel diesem Anspruch, zumindest in der öffentlichen Diskussion. Nehmen wir das Amt der Bundeskanzlerin respektive des Bundeskanzlers. Das Beispiel ist deshalb aktuell, weil es in diesem Jahr neu besetzt werden soll. In einem Seminar habe ich die Frage an die Studierenden gestellt, wie sie das Anforderungsprofil formulieren würden. Das haben sie sehr gekonnt gemacht. Was dabei herauskam, war jedoch genau das, was bereits angesprochen wurde: eine dezidierte Aufführung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wohl niemand unter dem Himmel würde erfüllen können. 

Auf die Frage hin, was denn die wesentlichen Anforderungen seien, wurde die Sache schon interessanter. Da kamen dann Dinge zum Vorschein, die jenseits der akribischen Aufführung verschiedener technischer, methodischer und sozialer Kompetenzen lagen, sondern das ausmachen, worüber im politischen Leben tatsächlich verhandelt werden sollte. Interessant war, dass bei den drei angesprochenen Hauptmerkmalen relativ schnell Konsens herrschte.

Es ging darum, dass die Person, die sich für dieses Amt bewirbt, über Erfahrung im Management komplexer politischer Strukturen verfügt, dass sie in der Lage ist, Perspektiven zu entwickeln und zu kommunizieren, dass sie aufgrund ihrer Vorgehensweise Vertrauen herstellen kann und die unbedingte Loyalität zum Mandat. Das ist ein Pfund, aber vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen, vor denen dieses Land steht, kann ebenso formuliert werden, dass das nicht zu viel verlangt ist.

Das schöne an solchen Anforderungsprofilen, die auf das Wesentliche eingedampft sind, ist die Möglichkeit, anhand der bereits existierenden wie noch hinzukommenden Kandidatinnen und Kandidaten überprüft werden kann, ob sie diese Essentials tatsächlich erfüllen. Das wäre die Aufgabe an die Leserinnen und Leser. Wer von denen, die momentan bereits ihren Hut in den Ring geworfen haben, über die notwendige Erfahrung im Management komplexer politischer Zusammenhänge verfügt, wer von denen in der Lage ist, Perspektiven zu entwickeln und diese zu kommunizieren und wer von denen Vertrauen vermittelt? Und ist von diesen Kandidatinnen und Kandidaten zu erwarten, dass sie loyal zu ihrem Mandat bleiben? Machen Sie sich ans Werk! Es ist spannend wie aufschlussreich.

Die drei in dem Seminar herausdestillierten Anforderungen stehen selbstverständlich zur Disposition. Es können auch andere Bedingungen sein, wichtig ist, dass die wesentlichen Eigenschaften als Anforderungsprofil überzeugen müssen. 

Eine Folge dieser Übung, sollte sich herausstellen, dass die Bewerberlage nicht so ist, wie gewünscht, wäre es, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Ausbildung und Sozialisation von Berufspolitikerinnen und -Politikern in den letzten Jahrzehnten vonstatten ging und ob es notwendig wäre, an der klassischen Laufbahn etwas zu verändern, um eventuelle unerwünschte Entwicklungen zu verhindern und tatsächliche Qualifikationen zu fördern. Das wäre der nächste Schritt.

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