Archiv für den Monat Februar 2021

Monothematische Fokussierung

Wir alle kennen das. Menschen, die sich zu sehr in ein Thema verstricken, wirken auf ihre Umwelt immer absonderlicher und irgendwann, ab einem bestimmten Stadium, sind sie und ihre Umwelt kaum noch kommunikationsfähig. Wer ehrlich ist, hat es auch schon an sich selbst beobachtet. Im Positiven kann das eine Arbeit über einen oder in einem Spezialgebiet gewesen sein, wo man für einen bestimmten Zeitraum so in der Materie steckt, dass der Aufwand, es einem Außenstehenden zu erklären, kaum noch der Mühe wert erscheint. Auf der anderen Seite reagiert die Umwelt dann zunehmend mit Unverständnis. Oder man fühlt sich ungerecht behandelt, sammelt alles zur Verfügung stehende Material und beginnt mit einer Dokumentation, die immer komplexer wird und die kaum noch jemand hören will. Die eine Verwerfung, auf die es ankäme, geht unter in zu viel Wissen um die Details, die Fokussierung bleibt aus. 

Doch solange eine solche Entwicklung für einen zeitlich begrenzten Raum anhält, ist das zu handhaben. Schwierig wird es, wenn kein Ende abzusehen ist. Dann beginnen sich massive Schäden herauszubilden im Gefüge derer, die intern wie extern davon betroffen sind. Diejenigen, die sich nur noch in der Welt eines Details bewegen und diejenigen, die die Komplexität des Daseins noch genießen oder auch zu bewältigen haben. Vor allem die innerhalb des Details laufen Gefahr, den Anschluss an die Gesellschaft insgesamt zu verlieren. In einem solchen Stadium kann man von einer nachhaltigen Verwerfung sprechen, und in einem solchen Stadium scheinen wir uns momentan zu befinden.

Das beschriebene Phänomen sei hier einmal die monothematische Fokussierung genannt. Hier und jetzt betrifft sie Corona. Böse Zungen behaupten, die erlebte monothematische Fokussierung auf das Phänomen diene nur dazu, abzulenken von einem Prozess der kollektiven Entrechtung. Lassen wir das hier einmal außer acht, denn es könnte noch schlimmer kommen. Denn es ist sehr einfach, sich ein Bild von der noch immer existierenden Komplexität der Welt zu machen. Nur hier und jetzt, in der medialen Kommunikation dieses Landes, scheint es außerhalb in vielerlei Hinsicht  missratenen Managements einer pandemischen Krise nichts mehr zu geben. Jedes Detail, ob wichtig oder nicht, wird von einer Meute selbst ernannter Kommunikatoren, Fachleute, Kommentatoren und Politikern kommentiert und reflektiert. Es soll der Profilierung dienen, bewirkt jedoch das Gegenteil, oder, präziser, es dient zu Erstellung eines negativen Profils: das des monothematischen Nerds, der sich erbricht in der eigenen Bedeutung. 

Jenseits aller Virus-Phänomene, ob sie uns nun für einen langen Zeitraum erhalten bleiben oder nicht, wird es ein Sein nach dieser Episode geben. Und es wird eine Rolle spielen, was für Strategien die einzelnen Menschen und Organisationen für diese Zeit nebst den nötigen Kompetenzen haben. Bleibt es bei der ritterlichen Rückschau nach einem versauten Turnier, wenn das ganze Elend vorbei ist, und danach sieht es aus, dann sind all die bedeutungsträchtigen Kommentatoren des medialen Hypes längst in der Versenkung verschwunden. Aus, tot und vorbei!

Denn dann geht es wieder um Hegemonialkriege, um Rohstoffe, um Märkte, um sinkende Städte und brennende Wälder. Oder es geht um etwas ganz Neues. In beiden Fällen geht es nicht um die Lorbeeren für eine überstrapazierte monothematische Ausrichtung. Und diejenigen, die heute diesem schalen Drama mit großer Erregung folgen, werden sehr schnell begreifen, wie nichtig das alles war. Das Leben wird weiter gehen. Egal wie.

Nicht jeder gravierende Einschnitt führt zu einem Change

Daniel Defoe. Die Pest zu London

Als 1664/65 in seiner Heimatstadt London die Pest wütete, war Daniel Defoe, in unseren Breitengraden leider nur durch seinen zur Weltliteratur gehörenden Roman Robinson Crusoe bekannt, gerade einmal vier Jahre alt. Dennoch hat ihn das Thema zeit seines Lebens beschäftigt. Erst im Alter von 61 Jahren, 1722, hat er sich daran gemacht, ein Buch darüber zu schreiben. Unter dem nüchternen Titel „Die Pest zu London“ wurde es veröffentlicht. Aufgrund der Aktualität des Themas sollte das Werk aus den Archiven geholt und gelesen werden. Es lohnt sich.

Zunächst ein in in guter Manier verfasster, auf Daten, Fakten und Zahlen beruhender Bericht mutiert die Schrift immer mehr zu einer Erzählung eines fiktiven Protagonisten, der aus seinen konkreten Erfahrungen schöpft, der Geschichten erzählt und der die Geschehnisse bewertet.

Zunächst beschreibt Defoe den Ausbruch der Pandemie, die über die Sterblichkeitszahlen in den einzelnen Kirchendistrikten der Stadt handelt und die ersten Reaktionen der Bevölkerung wie der Verwaltung darauf. Die Wohlhabenden entschieden sich in der Regel zur Flucht, sodass in den Reichenvierteln viele Häuser leer standen, der Königshof floh nach Oxford, was der Erzähler als ein Segen bezeichnet, während die Bedürftigen in der Stadt bleiben mussten und der Pest schutzlos ausgeliefert waren.

Dann kamen die Welterklärer und Auguren zum Vorschein, die, waren sie aus dem religiösen Lager, die Seuche als eine Strafe Gottes beschrieben oder es waren andere, die die wildesten Theorien verbreiteten, um das Elend zu erklären. In zeitlichem Schlepptau folgten die Quacksalber und Scharlatane, die ein Geschäft aus dem Elend machten und alle Möglichen Mittel und Arzneien verkauften, die angeblich dazu geeignet waren, um sich gegen die Pest zu schützen. Helfen tat beides nicht.

Die Verwaltung verhängte eine Reihe von Maßnahmen, die teilweise Wirkung zeigten. Der Lord Mayor beschloss eine Zwangsquarantäne für Häuser, in denen Infizierte wohnten, auch wenn dort auch noch Menschen waren, die noch nicht infiziert waren. Vor die Häuser wurden Wächter gestellt, um den Internierten die Flucht zu verwehren, was allerdings immer noch einigen gelang, mit fatalen Folgen hinsichtlich der weiteren Ausbreitung. Verendete auf den Straßen wurden beiseite geschafft und in der folgenden Nacht in Massengräbern verscharrt. Medizinisches Personal wurde in die Bezirke geschickt, Pflegepersonal aus der Bürgerschaft rekrutiert. Für die Kritik am Verwaltungshandeln war aufgrund der rasenden Entwicklung weder Zeit noch existierten Medien, die eine virtuelle Gegenwelt möglich gemacht hätten.

Die Schrecknisse, die insgesamt bei der damaligen Größe von London mit immensen 100.000 Toten zu Buche schlugen, sind in einer unter die Haut gehenden Nüchternheit beschrieben. Aber auch der Einfallsreichtum der Menschen, wie sie sich gegenseitig halfen, welche Regeln sie entwickelten und wie sie mit den Zuständen umgingen. 

Der wirtschaftliche Ruin war immens. Nahezu alle Kleingewerbe und Handelsbetriebe gingen unter. Als die Sterblichkeitsziffern sanken, und das sollten wir uns merken, ignorierten die Menschen in ihrer großen Mehrheit die immer noch existierenden Gefahren und verfielen in ihren alten Lebensrhythmus, als sei nichts geschehen. Das war allerdings weniger der kognitiven Ignoranz geschuldet, sondern der Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt von Neuem zu sichern. Zudem war die Abstinenz von kulturellem Zusammenleben gravierender vermisst worden, als aus technokratischer Sicht angenommen. 

Dennoch: als die Katastrophe vorbei war, ging das Leben weiter wie zuvor. Nicht jeder gravierende Einschnitt führt zu einem Change.