Die Vermischung von Akten und Fiktion

Wolfgang Schorlau. Die schützende Hand

Einer der bestürzendsten, frivolsten wie unglaublichsten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bilden die Ereignisse, Indizien und daraus resultierenden Spekulationen, die mit dem Begriff NSU verbundenen sind. Es geht dabei um Serienmorde aus rechtsradikaler Motivationslage, es geht um den Verdacht der geheimdienstlichen Operation mit V-Leuten im Tätermilieu, es geht um staatliche Vertuschung von Beweisen und die Möglichkeit der aktiven Beseitigung mordender Individuen. Das alles, soviel wissen wir, ist in einem sich über Jahre hinziehenden Prozess letztendlich nicht befriedigend aufgeklärt worden. 

Der Autor von Kriminalromanen Wolfgang Schorlau hat sich des Themas angenommen und daraus einen Roman mit dem Titel „Die schützende Hand“ gemacht. Auf der Verlagsseite steht dazu: „Trotz der Verwendung von Ermittlungsunterlagen und obwohl ´Die schützende Hand`sich mit realen Verbrechen beschäftigt: Dieses Buch ist ein Roman, ein Werk der Fiktion. Alle Figuren sind ausschließlich meiner Fantasie entsprungen.“ Mit dieser Einlassung ist bereits die Schwierigkeit dessen umrissen, womit der Leser konfrontiert wird.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist richtig und wichtig, sich mit möglichem kriminellen Handeln von staatlichen Institutionen auseinanderzusetzen und dieses bei Bedarf aufzudecken. Es ist richtig, eine Diskussion darüber zu befeuern, wie es kommen kann, dass sich staatliche Organe mehr und mehr der demokratischen Kontrolle entziehen und ihrerseits zu einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit werden können. Der Begriff des Staates im Staate ist sicherlich keine Fiktion und diesen Missstand zu thematisieren ist notwendig. 

In Schorlaus Roman werden zahlreiche Dokumente verwendet, die zur tatsächlichen Beweislage des realen Prozesses verwendet wurden. Sie sind eingebettet in teils fiktionale, teils spekulative und teils reale Handlungen, die in diesem Zwielicht nicht mehr identifiziert werden können. Diese Gemengelage ist dahingehend problematisch, als dass sie die Trennlinie zwischen ermittlungstechnischer Faktizität und politischer Problematisierung verwischt. Während der gesamten Lektüre, die zugegeben von Spannung gespeist wird, wird jedoch nicht deutlich, ob es sich um eine kritische Kommentierung des tatsächlichen Strafprozesses handelt oder um einen fiktionalen Thriller. Sollte das beabsichtigt gewesen sein, so ist dieses gelungen. Die Frage, die im Raum stehen bleibt ist die, welche Wirkung damit erzielt ist. 

Handelt es sich um beweisbare Delikte oder um politische Vermutungen? Steht nicht zuletzt das Gefühl im Raum, dass man immer gewusst habe, dass in den Geheimdiensten alles nicht ganz koscher ist? Und wenn dem so ist, bedarf es dann einer derartig grausamen Folie, um die – zurecht – gegenwärtige Vermutung neu zu beatmen? Oder handelt es sich um mehr? Haben im Staat längst die Schattenkräfte die Regie übernommen, die es schlimmer treiben als in jedem Geheimdienstschinken, den man aus den Kinos kennt? Und wenn dem so ist, reicht da noch ein dumpfer Verdacht, oder ist da mehr Stichhaltigkeit erforderlich und die Organisation politischer Gegenwehr?

Die Lektüre ist allemal zu empfehlen, um sich mental dem Verdacht der staatlichen Beteiligung an Kapitalverbrechen zu nähern. Klarheit darüber bringt die Vermischung von Akten und Fiktion jedoch nicht.

  • Herausgeber  :  KiWi-Taschenbuch; 4. Edition (6. April 2017)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Taschenbuch  :  432 Seiten
  • ISBN-10  :  3462049313
  • ISBN-13  :  978-3462049312
  • Abmessungen  :  12.6 x 2.42 x 19 cm

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