Jenseits des propagandistischen Nebels

Jörg Kronauer, Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg. Russland, China und der Westen

Der in London lebende Autor Jörg Kronauer hat sich bereits durch mehrere Publikationen, in denen er die sich verändernde geostrategische Weltlage unter die Lupe nahm, einen Namen gemacht. Sein neuestes Buch mit dem Titel „Der Aufmarsch Vorgeschichte zum Krieg. Russland, China und der Westen“ ist nicht nur wegen der darin dargestellten Entwicklung lesenswert, sondern auch durch die historisch einzigartige Tatsache, dass der Text bereits beim Verlag war, als der Autor wie der Rest der Welt von dem Einmarsch der russischen Streitkräfte am 22. Februar in die Ukraine erfuhr. Dieses Faktum setzt den zu erwartenden Vorwurf außer Kraft, da würde im Nachhinein für das Verständnis von etwas geworben, für das es kein Verständnis geben sollte, es sei denn, man hat die gesamte Entwicklung im Blick. 

Der Ansatz Kronauers ist einfach und transparent. Er hat nichts anderes getan, als sich die Politik der einstigen Parteien des Kalten Krieges nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion angesehen und minutiös alles beschrieben, was an fortgesetzter oder erneuter Polarisierung stattgefunden hat. Ein innerer Blick in die nach-sowjetische Realität, in der sich mit Mafia-Methoden kämpfende Oligarchen das Staatseigentum aufteilten während die Bevölkerung hungerte, die Nachfolge des schwachen Jelzins durch Putin, der dem Wild-West-Kapitalismus Einhalt bot und eine neue, alles andere als demokratische Ordnung herstellte. Das allmähliche Wiedererstarken der russischen Wirtschaft und die Renaissance eines imperialen Ansatzes.

Die gleichzeitige Osterweiterung der NATO, die vielen Mosaike, die auf eine mögliche militärische Eskalation hindeuten. Die Warnungen Russlands, die Ignorierung durch vor allem die Vereinigten Staaten. Der ganze Prozess von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Und die Überschreitung von Russlands roter Linie in der Ukraine, durch die letztendlich auch eine kulturelle Linie verläuft.

Das alles wäre noch einmal eine Revue dessen, was aufmerksame Menschen hier in Europa ohnehin verfolgen konnten, wenn Kronauer nicht im zweiten Kapitel das Bild vervollständigen würde, indem er analoge Manöver der USA und ihrer Verbündeten auf der pazifischen Seite gegenüber China dokumentieren würde. Auch dort, und im Einklang mit den Aktivitäten in Ost- und Zentraleuropa zeigt sich, dass eine Global-Strategie in den USA vorliegt, die auf eine direkte Konfrontation mit Russland und China hinausläuft. 

Auch für Militärstrategen ist es interessant zu sehen, dass es vor allem um die Vorbereitung von Blockaden von Seewegen geht, ob gegenüber Russland wie gegenüber China, beides kontinentale Mächte, die allerdings vehement geschwächt werden, wenn sie ihre maritimen Zugänge verlieren. Da rüstet eine maritime Weltmacht zum letzten Gefecht und wer will, schaut zu.

Kronauers Buch ist eine kurze wie faltenreiche Nachzeichnung der militärpolitischen Entwicklung der letzten 30 Jahre, auch unter dem Aspekt einer neuen, multipolaren Weltordnung. Dabei verfällt er nicht gängigen Versionen der Vereinfachung, sondern beschreibt ebenso unbestechlich die Verwerfungslinien, die auch zwischen Russland und China verlaufen. 

Das Bedrückende der Lektüre ist die wachsende Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkrieges und die maßgebliche Rolle, die dabei die USA spielen. Aber die Realität schert sich nicht um Empfindungen. Angesichts der inflationär kursierenden und gewaltig aus dem propagandistischen Nebel geborenen Erzählungen über den Zustand der Welt ist die Lektüre dieses Buches unbedingt zu empfehlen!

  • Herausgeber  :  PapyRossa Verlag; 1. Edition (1. April 2022)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Broschiert  :  207 Seiten
  • ISBN-10  :  3894387785
  • ISBN-13  :  978-3894387785
  • Abmessungen  :  12.9 x 1.9 x 19.6 cm

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