Julian Assange und die Kreuzzüge

Während sich der Krieg zwischen Russland und den USA in der Ukraine zu einer gewissen Normalität etabliert, kündigen sich Ereignisse und Entscheidungen an, die, zumindest mental, gravierendere Folgen haben können als die Zerstörung durch Geschütze. Es geht um Glaubwürdigkeit und es geht um Legitimation. Das gegenwärtige Russland, das im Grunde genommen nie seinen autokratischen Zustand verhehlt hat, ist in sofern in der besseren Position, als dass es keinen reklamierten falschen Ruf zu verlieren hat. Russland war eine Despotie und ist eine Despotie. Wie schrecklich das für das Gros der Bevölkerung, das immer noch, wie zu Kropotkins Zeiten, den Idealzustand in einem Dasein ohne Staat sieht – was, ganz nebenbei, auch der Wunsch der meisten Amerikaner ist -, ist ungewiss. Fest steht, dass es liberaler zugeht, als in dem im Westen gezeichneten Bild vermutet wird. 

Die große Gefahr droht dem Westen, der nur so lange unbeirrt einen gewünschten Schein als Realität verkaufen kann, wie sich keine Stimmen dagegen erheben. Die Propaganda läuft wie geschmiert und eine gewisse Konditionierung der Bevölkerungen kann nicht geleugnet werden. Im Rest der Welt ist das Doppelgesichtige des Werte-Westens längst enttarnt. Und im eigenen Lager beginnt die Fassade zu bröckeln. Das Spiel, das gespielt wird, steht in der alten Tradition von Kreuzzug, Kolonialismus und Imperialismus. Auch dort bemühte die Gier die verfügbaren Ideologie-Chargen und sprach von der Verbreitung des Christentums und moderner Zivilisation. Dabei wurden existierende Weltkulturen zerstört und, war die Macht einmal etabliert, sprach niemand mehr von Menschenliebe, Bildung oder gesittetem Zusammenleben. Was sie bekamen, waren Raub und Peitsche. Und was sie heute bekommen, wenn sie sich auf das Spiel nicht einlassen, sind Sanktionen und Drohnentote. Machen wir uns nichts vor. Das System ist geblieben, die Formen haben sich geändert.

Die Ereignisse, die in der Lage sind, den wahren Charakter dieser konstruierten guten Welt freizulegen, scheinen klein und nichtig, aber sie sind dazu geeignet, den gut meinenden Menschen, die in den Auen des Kolonialismus und Imperialismus grasen, die Augen zu öffnen. Wie ein Fanal wirkt da der Name Julian Assange, der es wagte, Kriegsverbrechen der us-amerikanischen Seite der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seitdem trachtet das Imperium nach seinem Leben, seitdem haben Musterdemokratien wie Schweden und Großbritannien ihre schäbige Verlogenheit zur Schau gestellt und es ist eine Frage der Zeit, wann sein gebrechlicher Körper ins Maul des Kriegstreibers Nr. 1 geworfen wird. Dieser eine Mann hat, unabhängig davon, wohin seine Reise noch gehen wird, das ganze System der Maskerade, in dem sich der Imperialismus hinter den hehren Werten der bürgerlichen Revolution versteckt, bloßgestellt wie kein anderer. 

Wo sind denn die Stimmen derer, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die ganze Litanei von Menschenrechten, Freiheiten und Werten herunterorgeln wie den Text eines unverstandnen Gedichts? Die Kommissionspräsidentin der EU, der der Ruin des größten Landes der Welt vorschwebt? Die US-Beauftragte im deutschen Außenministerium, die sich permanent über die Verbrechen anderer beschwert und nicht einen Funken Courage mehr besitzt? Die falschen Fuffziger, die sich für hiesige Oligarchen verdingen und konsequent jeden Missstand im eigenen Beritt verdrängen? Die Groschenschreiber, die die Verlagsbüros verunzieren? Oder der Bundespräsident, von dem der delikate Satz stammt, wir müssten uns ehrlich machen? 

Julian Assange hat dafür bezahlt, dass er die Wahrheit öffentlich machte. Das herrschende, die eigenen Werte pervertierende System wird dafür bezahlen, dass es konsequent log und – mordete.   

2 Gedanken zu „Julian Assange und die Kreuzzüge

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  2. gerhard

    „Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte‘ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.“
    (Egon Bahr)

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