Archiv für den Monat Juni 2022

Tabu gebrochen!

Admiral James Stavridis, Elliot Ackerman. 2034. A Novel Of The Next World War 

Lange war es Tabu, sich mit dem öffentlichen Durchspielen eines Atomkrieges zu befassen. Nicht, dass in den verschiedenen Think Tanks und Universitäten, die sich mit den Aufträgen des militärisch-industriellen Komplexes ein mächtiges Zubrot verdienen, schon seit langem Szenarien durchgespielt werden, wie es denn aussähe, wenn zumindest mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen eine geopolitische Auseinandersetzung geführt würde. Und, so wie man hört, sind die Optionen nicht sonderlich gut für das westliche Imperium. Und die Frage, die im den Krieg als reale Option anerkennenden Kreis virulent bleibt, ist dennoch nicht mehr das Ob, sondern das Wann.

Der ehemalige 4-Sterne-Admiral der US-Navy, James Stavridis, hat etwas gemacht, was Menschen seines Rangs und seiner Profession in der Regel nach dem aktiven Dienst vermeiden. Er hat, zusammen mit dem Schriftsteller Elliot Ackerman, einen richtigen Thriller zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt geworfen und, zumindest im anglophonen Sprachraum, für mächtig Aufregung gesorgt. Das Buch trägt den Titel „2034. A Novel Of The Next World War“. Mit seiner gesamten militärischen Erfahrung und dem der Thriller-Komposition des Ko-Autors hat er mit dem Tabu, einen begrenzten Atomkrieg überhaupt öffentlich zu thematisieren, gebrochen und einer zivilen Leserschaft so die Möglichkeit gegeben, sich auszumalen, was passieren kann, wenn die großen Mächte dieser Welt in der Zeit von mächtigen Verschiebungen auf die Idee kommen, das atomare Kriegsbeil auszugraben.

Und es ist realistisch und korrespondiert mit den geheimen Planspielen, die angestellt werden, dass der Konflikt im südchinesischen Meer entsteht, in dem es heute bereits ein ständiges Gerangel um Hoheitsgewässer geht, in der der geostrategische Konflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China präsent und wegen der Nähe zu Taiwan virulent ist. Dass ein amerikanischer Autor auch in der Fiktion davon ausgeht, dass die chinesische Seite mit den kriegerischen Handlungen beginnt, passt zum Zeitgeist. Dass die Sache dann eskaliert bis hin zu taktischen Atomschlägen auf beiden Seiten, kann, und das ist die bittere Erkenntnis unserer Tage, als ein durchaus zu akzeptierender Realismus bezeichnet werden.

Das Interessante bei dem furchtbaren Spiel sind nicht nur die militärtechnischen Aspekte und die damit verbundenen verheerenden Verluste auf beiden Seiten, sondern auch und vor allem die daraus entstehende geopolitische Konstellation. Russland findet kaum statt, Europa gar nicht, dafür aber neben den Rivalen China und den USA vor allem Indien und der Iran. Es kristallisiert sich eine Weltordnung heraus, deren Konturierung durch den Einsatz der taktischen Atomwaffen beschleunigt wird, in der China an Bedeutung verliert, die USA als Schatten früherer imperialer Herrlichkeit als Elendszone dahinvegetiert und Indien als eine neue Ordnungsmacht aufscheint.

Admiral James Stavridis ist zu bescheinigen, dass er sowohl die verheerenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung als auch das sich verändernde Standing der beteiligten Staaten so beschreibt, wie es einem Mann mit seinen Kenntnissen entspricht und was sich deutlich unterscheidet von den bellizistischen Elogen so mancher Journalisten in den gegenwärtigen Krisen. Das alleine ist eine Lektion, der man sich nicht entziehen sollte. Dass er zudem auch die eigene Rolle des amerikanischen Imperiums als möglichen Verlierer zulässt, zeugt von großem Mut und dokumentiert, wie viel Rationalität zuweilen in Militärkreisen zugegen ist, ganz im Gegensatz zu einer vom eigenen Moralismus geblendeten Zivilgesellschaft.

Leider existiert bis jetzt nur eine englische Ausgabe, eine deutsche wäre dringend erforderlich. Die Lektüre ist auf jeden Fall unbedingt zu empfehlen. 

  • Herausgeber  :  Penguin Books (8. März 2022)
  • Sprache  :  Englisch
  • Taschenbuch  :  320 Seiten
  • ISBN-10  :  1984881272
  • ISBN-13  :  978-1984881274
  • Abmessungen  :  13.31 x 2.01 x 20.19 cm

Jenseits der Imperialismen: Raus aus dem Teufelskreis — Neue Debatte

Verlassen Sie sich darauf, egal, was ihnen Krieg führende Parteien erzählen, hinter denen Imperialismen wie der amerikanische oder der russische stehen, es geht um Macht und Einfluss. Der Beitrag Jenseits der Imperialismen: Raus aus dem Teufelskreis erschien zuerst auf Neue Debatte.

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