Weder Stärke noch Prinzipientreue

Es grummelt gewaltig. Überall. Doch bevor es zum Ausbruch kommt, legen sich die unterschiedlichen Fraktionen die Karten der Deutung bereits zurecht. Die Lage, die dazu führen wird, ist allzu bekannt. Aufgrund der Sanktionspolitik gegenüber Russland und den Vorstellungen der Bundesregierung hinsichtlich der Energiewende sind die Preise für die einer Industriegesellschaft notwendigen Grundstoffe exorbitant gestiegen. Wenn sich die Preise für diese Grundstoffe dramatisch verteuern, bleibt die Reaktion nicht aus. Alles, was auf Basis dieser Grundstoffe produziert wird, wird ebenfalls teurer. Wenn gleichzeitig die Kaufkraft der Konsumenten nicht steigt, wird es zu der Situation führen, die nun alle realistischerweise erwarten. Es wird zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung führen und die Produzenten werden auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sein. 

Wenn man so will, ist das Modell Deutschland als eine Nation mit einer gut ausgebildeten Workforce, einer entwickelten Technologie und einer effizienten wie effektiven Produktion tot. Nicht alles resultiert ausschließlich aus den politischen Maßnahmen in der Corona-Krise und während des Ukraine-Krieges. Die Defizite im Bildungswesen, die überforderte Bürokratie und die Monopolisierung durch Großkonzerne auf Kosten des Mittelstandes begannen mit der Einschwörung auf das Primat einer spekulativ ausgerichteten Finanzwirtschaft. Eine industrielle Strukturpolitik, wie sie zu dem kometenhaften Aufstieg der westdeutschen Wirtschaft gehörte, existiert nicht mehr.

Das Dumme, oder besser gesagt, der Erfolg einer den Interessen des spekulativen Finanzsektors untergeordneten Informationspolitik haben dazu geführt, dass nicht um die essenziellen Dinge gestritten wird, sondern alle möglichen Schimären den politischen Diskurs bestimmen. Hört man sich die Verlautbarungen aus dem Regierungslager an, dann kann man das Gefühl bekommen, dass es einer feindlichen, sowohl russischen als auch rechtsradikalen Kamarilla gelungen ist, die Bevölkerung gegen den Regierungskurs zunehmend aufzubringen. Nicht die politischen Entscheidungen, die sowohl zu den strukturellen wie den akuten Problemen geführt haben, sind mehr die Ursache von Not und wachsendem Unmut, sondern feindliche Propaganda von innen wie von außen. Und wenn die Innenministerin jetzt an einer Gesetzesinitiative bastelt, die alle Versuche, die Regierung zu delegitimieren, unter Strafe stellt, dann hat sie das Terrain der Demokratie bereits verlassen. Das ist Autokratenhandwerk.

Die Legitimation von Politik entsteht in einem sich demokratisch nennenden Staatswesen durch Wahlen und die Art und Weise, wie die Amtsgeschäfte geführt werden. Diese sind gestützt auf einen Eid, dessen Verpflichtung angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen ernsthaft in Zweifel gezogen werden darf. Und für diesen Umstand liefert sogar das Grundgesetz eine Möglichkeit: Dort ist zu lesen, dass, wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt und die garantierten Grundsätze der Verfassung gefährdet sind, andere Abhilfe gestattet ist. Das heißt, und das mögen Juristen vielleicht in einer Expertise bestätigen: Wenn die Gesellschaft als Gebilde gefährdet ist, ist Aufstand legitim.

Für die Versuche, alle Argumente, die für eine andere Politik werben, als russische Infiltration oder faschistisches Propagandaunterfangen zu diskreditieren, muss man den Verantwortlichen attestieren, dass sie mit ihren Tiraden den Boden der Demokratie bereits verlassen haben. Mit dieser Strategie, die außer dem Mittel der Diskreditierung noch den ständigen Versuch beinhaltet, die Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen und zu spalten, ist denen gedient, die sie vorgibt zu bekämpfen. Diese Beschränktheit der Sichtweise ist bereits seit Jahren zu verzeichnen. Und sie dokumentiert weder Stärke noch Prinzipientreue.  

2 Gedanken zu „Weder Stärke noch Prinzipientreue

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  2. Till Sitter

    „Diese sind gestützt auf einen Eid, dessen Verpflichtung angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen ernsthaft in Zweifel gezogen werden darf.“

    Darf ernsthaft in Zweifel gezogen werden? Baerbock hat es doch ganz klar zugegeben:

    „No matter what my German voters think but I want to deliver to the people of Ukraine.“

    Hier zu hören:

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