Die Herrschaft des populistischen Positivismus

In Zeiten, als viele Menschen dachten, die Moderne sei geprägt von der Aufklärung, reagierte man noch mit Ironie auf das Aufkommen des populistischen Positivismus. Was das ist? Eine bis in die Werbeagenturen vorgedrungene Methode, die sich aus der Grundannahme ableitete, dass das als wahr zu gelten habe, was sich quantitativ durchsetzt. Also das, was zahlenmäßig dominiert, kommt der Wahrheit am nächsten. So unklug ist das nicht, aber es zum philosophischen Prinzip zu erheben, bedeutet ein Frontalangriff auf die Aufklärung bis hin zur Kritischen Theorie. Denn dort waren noch so schwergewichtige Kategorien wie Ethik oder die Differenzierung zwischen Schein und Sein im Spiel. Doch der Positivismus und seine populistischen Varianten blieben bei ihrer Aussage. Die ironische Antwort auf dieses Weltverständnis fand ihre Form in dem Zitat: Fresst mehr Scheiße, eine Millionen Fliegen können sich nicht irren!

Wer glaubt, dass es sich bei der positivistischen Weltauffassung um ein kleines Zwischenspiel auf dem Weg der Erkenntnis handelte, hatte sich allerdings geirrt. Sie eroberte alle Bereiche der Gesellschaft und dominiert das Geschehen bis heute. Kein Politiker von Bedeutung verweist nicht auf seine positivistischen Wurzeln. Und die Kühnen unter ihnen behaupten sogar, dass der Positivismus mit seinem Credo zum Quantum die philosophische Entsprechung der Staatsform Demokratie sei. Oberflächlich betrachtet mag das sogar stimmen. 

Eine Erscheinung hat der Betrachtung eine Dynamik verliehen, mit der niemand gerechnet hat. Es sind die Kommunikationstechniken und ihre Verbreitung. Die Möglichkeit, überall und jederzeit von jedem Ort der Welt über entsprechende Kanäle Nachrichten zu senden, die millionenfache Empfänger finden, hat vieles verändert. Zugunsten des populistischen Positivismus. Es entstehen Mehrheiten, die auf Informationen basieren, die nicht unbedingt den tatsächlich recherchierbaren Fakten entsprechen müssen. Und die von einem chronisch fehlgeleiteten Publikum eben auch durch die Zahl der Konsumenten den Status des Wahren erhalten. Wenn man so will, hat die Annahme des Positivismus zur unausgesprochenen Staatsdoktrin zu einer Realisierung aller in Bezug auf Propaganda und Manipulation bezogenen Dystopien beigetragen. Wer sich mit einer Fliege gleichsetzen lässt, hat sein kritisches Ego entweder nie entwickelt oder es zugunsten von welchen Vorteilen auch immer abgelegt.

Bei der Entwicklung einer Strategie gegen den täglich praktizierten Positivismus, der es mittlerweile geschafft hat, jedes ethisch begründetes Maß ad absurdum zu führen und jede politische Schweinerei zu rechtfertigen, muss allerdings auf jede Erscheinung Rücksicht genommen werden. Es heißt, sich nicht nur die Politikerinnen und Politiker vorzunehmen, die im Rampenlicht stehen, sondern die vielen Täuscher und Märchenerzähler im Netz, die mal als Influencer, mal als vermeintliche Experten oder in welchem Gewand auch immer daher kommen und mit Botschaften hausieren gehen, die, bei näherer Betrachtung, den Interessen des naiven Publikums zuwiderlaufen. Sie sind die Vorboten, die mit scheinbar unbedeutenden Aspekten beginnen, aber durch den Transport verheerender Sichtweise dazu beitragen, dass die unkritische Betrachtung der großen gesellschaftlichen Linien im Massenwahn endet, der auch vor Kriegen nicht halt macht. 

Mit einem Denken, das als glaubt, die Veränderung beginne bei Strukturen, Institutionen, Parteien oder Personen, greift zu kurz. Die Genese der Veränderung ist das Denken. Der Glaube, das, was sich quantitativ durchsetzt, sei wahr und gut, ist die erste Hürde, die sich einer grundlegenden Veränderung in den Weg stellt. Dort muss alles beginnen. 

Ein Gedanke zu „Die Herrschaft des populistischen Positivismus

  1. Till Sitter

    „Es heißt, sich nicht nur die Politikerinnen und Politiker vorzunehmen, die im Rampenlicht stehen, sondern die vielen Täuscher und Märchenerzähler im Netz, …“

    „Tausend Fliegen hatt ich am Abend erschlagen;
    Doch weckte mich eine beim frühsten Tagen.“
    (Goethe)

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