Archiv der Kategorie: short stories

Im Fjord

Ballons, wohin das Auge reicht,

Selbstverstümmelung als Staatsräson.

Brudermord im eignen Haus,

Tunnelstrategien, neu kreiert.

Und alt, wie ein Beinhaus aus vergangener Zeit.

Komplizenschaft mit Staatsmandat,

Verbrannte Erde,

Die von Waffen stammt.

Gespaltenes Land, das keine Wunden heilt.

Ein Dorf, das Beben überstand,

Ganz ohne Korruption. 

Narrenzeit, im Kriegsgewand

Und Bio-Bier im Hauptquartier.

Ein Narrenschiff mit Kurs aufs Riff.

Im Fjord,

Gerät das Wenden schwer.

Und alte Weiber, 

Feiern ihre letzte Nacht.

Fundstück: Das Vierte Reich

Das Vierte Reich bleibt in Manhattan

Schlendert man durch Yorkville, einem recht angenehmen Viertel auf der New Yorker Insel Manhattan und betrachtet die Namensschilder an Gebäuden oder selbst einige Werbeschilder genauer, wird einem sehr schnell bewusst, wo man sich befindet. Auf einem großen Sporthallengebäude ist in längst verblichener Schrift etwas von einem New York Turnverein zu lesen, über einer Metzgerei hängt ein grün schimmerndes Schild mit der Aufschrift „Fleischermeister Erwin Weber“ und die nächste Kneipe trägt den Namen Würzburger Hof. Von da ist es nicht mehr weit zur Bäckerei Tannenbaum.

Yorkville war seit der Jahrhundertwende ein Viertel, welches von Deutschen bei der Ansiedlung in New York City bevorzugt wurde. Aber erst in den dreißiger Jahren, vor allen Dingen nach jenem 30. Januar 1933, als der deutsche Nationalheld Hindenburg den damals noch mutmaßlichen Völkermörder Hitler als Reichskanzler seinen Segen gab, wurde aus Yorkville ein dicht bevölkertes German Town.

Alles, was dem kulturellen Holocaust des deutschen Faschismus zum Opfer fiel oder gefallen wäre und als Land des Exils die Vereinigten Staaten von Amerika wählte, trieb es zunächst nach Yorkville. Ein bißchen weiter, Richtung Central Park, im deutschen Buchladen von Mary Rosenberg, kauften sie die für sie so lebenswichtige Nahrung, deutsche Literatur. „Alle waren sie meine Kunden“, meint Mary, „Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Ernst Toller, Oskar Maria Graf, Gerhard Eisler, Franz Jung, Ernst Bloch usw., ja sogar Karl Otto Paetel, nur den Brecht hab ich persönlich nicht gesehen.“

Die Amerikaner, oder besser gesagt die New Yorker, hatten dann auch schnell einen Namen für dieses German Town, diesen amerikanischen Kulturfokus der deutschen Emigration. Sie nannten es „the Vierte Reich“. Und das war nicht nur als Satire auf die Gigantomanie des Dritten Reiches der deutschen Faschisten gedacht, sondern es drückte auch die Hoffnung vieler aus, dass, wenn der Spuk in Europa erst einmal vorbei sei, ein neues Deutschland in der Tradition derer stehen sollte, die nach Yorkville geflohen waren.

Schreitet man heute die Boulevards und Avenues des Vierten Reiches ab, so braucht man schon das historische Wissen, um noch etwas von dem zu spüren, was in diesem Viertel einmal die Hoffnung auf die kulturelle Aura eines deutschen Neuanfangs ausstrahlte. Doch die Erinnerung daran ist noch von keiner deutschen Realität eingelöst worden. Bei dem, was sich in diesen Tagen in den Strategiepapieren der Bonner Spekulanten und Fusionshaie in puncto Viertes Reich finden lässt, wird das auch wohl in naher Zukunft noch so sein. In dem geographischen Raum der beiden deutschen Staaten hat ein Viertes Reich zur Zeit nichts verloren. Das Vierte Reich, die Hoffnung von Yorkville, die bleibt wohl besser noch für eine Weile in Manhattan.

1990, im März 

S-Bahn-Station Yorckstraße: Nächtliche Begegnung

Neulich, in den frühen Morgenstunden, beim Verlassen der S-Bahn-Station Yorckstraße, tanzte mir in der nächsten Seitenstraße ein Mann entgegen. Er schien bester Laune, vielleicht auch ein wenig beschwipst zu sein. Immer wieder rief er laut den Namen unserer Kulturstaatsministerin in die Nacht und klatschte dabei laut in die Hände. Zumeist gefolgt von dem Satz: das kannst du dir nicht ausdenken! Als ich mich ihm näherte, kamen mir bestimmte Züge des Mannes bekannt vor, doch bevor ich mich näher vergewissern konnte, hatte auch er mich erspäht und wechselte schnell die Straßenseite, um mir aus dem Weg zu gehen. Dabei sah er mich an und entschuldigte sich höflich, er sei in großer Eile, denn er müsse noch vor Toresschluss ins Hotel Sankt Matthäus. Vielleicht träfe man sich zu einer anderen Gelegenheit mit etwas mehr Zeit. Und schon lief er schnellen Schrittes davon, ohne mit der annähernd irrsinnigen Deklamation des Namens der Kulturstaatsministerin aufzuhören und sich köstlich zu amüsieren.

Das Gesicht blieb haften und die Stimme schien mir unverwechselbar. Die Begegnung ließ mich nicht ruhen und als ich recherchierte, ob es ein Hotel Stankt Matthäus gab, stellte ich fest, dass das nicht der Fall war. Allerdings gibt es den Alten Kirchhof Stankt Matthäus. Und es ist die Stätte,  wo der Sänger Rio Reiser begraben liegt. Da wurde mir klar, wen ich getroffen hatte. Wahrscheinlich darf er, wie andere auch, im Schutze der Nacht manchmal das Gelände verlassen und sich ein wenig umsehen, was die Zeit so mit den Menschen und ihren Verhältnissen angestellt hat. Und irgendwo musste er gehört haben, wer das Amt des Kulturstaatsministers innehat. Das war wohl Zuviel für ihn, sodass er dann doch, gegen jede Erlaubnis, sich in einem Späti einen Flachmann geholt und den umgehend geleert hatte, um sich dann auf den Weg nach Hause zu machen und möglichst schnell den Deckel seines Domizils wieder zuzuklappen.

Bei dem Gedanken, dass mir das Privileg zuteil geworden war, diese Figur noch einmal zu sehen, wurde mir ganz warm ums Herz. Was hatten er und die Band Ton, Steine, Scherben ihren Zeitgenossen doch für Texte hinterlassen, die viele dieser Generation, selbst bei der Wahl ihres letzten Gehäuses, nie mehr vergessen sollten. Und später, als die Straßenkämpfe vorbei waren, hinterließ er mit dem Junimond ein unglaubliches Postskriptum einer verlorenen Liebe. Und nicht zu vergessen den König von Deutschland. 

Jener König hatte nämlich, was viele gar nicht wissen, noch ein sehr spannendes Nachleben in vielen Seminaren. Die Frage, was würden Sie machen, wenn Sie König von Deutschland wären, oder, in Bezug auf das Wirken in vielen Organisationen, was würden Sie konkret tun, wenn Sie könnten, wie Sie wollten? Eine Übung, die immer sehr aufschlussreich war und gleichzeitig viele Defizite aufzeigte und Lösungsansätze zum Vorschein brachte.

Und, als ich mich daran erinnerte, kam mir der Gedanke, dass in einer Zeit, in der immer mehr Menschen den Blick im leeren Entsetzen abwenden, gerade diese Frage allein, zumindest mental, zu einem Akt der Befreiung werden könnte. Angesichts von Krieg, Kriegsgefahr, Inflation, Verarmung, der Vernichtung von Ressourcen und Umwelt und der Zerstörung vieler Sozialsysteme, was würden wir tun, wenn wir könnten, wie wir wollten? Die Frage mögen sich alle, die noch etwas vorhaben mit ihrem Leben, bitte stellen!

Ich war sehr dankbar, diese Begegnung gehabt zu haben, weil sie mich an vieles, was Mut macht und Menschlichkeit zeigt, erinnerte. Und ich habe mir vorgenommen, immer, wenn ich in Berlin bin, nachts bis zur S-Bahn-Station Yorckstraße zu fahren, dort auszusteigen und um den Alten Kirchhof Stankt Matthäus zu streichen. Vielleicht habe ich Glück und treffe ihn noch einmal. Dann holen wir unser Gespräch nach. Versprochen! Zumindest meinerseits.