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Aluhüte auf dem Tiananmen!

Sie wummern jeden Tag, die Abrissbirnen der Zivilisation. Waren es noch vor wenigen Tagen die Empörungswellen über das Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft Katar, ist es jetzt einmal wieder China. Die Komplexität deutschen Handelns, die von einigen hämischen Geistern auch Doppelmoral genannt wird, bildet dabei den Leitfaden. So, wie eine der ständig nörgelnden Gazetten verbreitete, hat die jetzige Regierung seit ihrem Amtsantritt insgesamt 21 Waffenexporte nach Katar genehmigt. Das Land, das nebenbei bemerkt, führt zusammen mit Saudi Arabien einen völkerrechtswidrigen Krieg im Jemen. Die Anzahl der Toten dort übersteigt bei weitem, das nur als Vergleichsgröße, die beklagenswerten Fälle in der Ukraine (und schon zeigt sich zudem eine rassistische Komponente). Aber, und das ist das System, wie schön, wenn man sich moralisch echauffieren kann über eine von einem Sportler bei einem Wettkampf getragenen Armbinde. Das wäre, kühl betrachtet, einfach nur ein Akt einfältiger Propaganda, wenn es nicht, als System und kontinuierlich, dazu beitrüge, eine gesamte Zivilisation in Schutt und Asche zu legen. Wer da mitmacht gesellt sich, zum Barbarentum.

Und nun sind es die Berichte aus China. Soweit es verifizierbar ist, demonstrieren dort hunderte, vielleicht sind es auch einige tausend Bürgerinnen und Bürger gegen die strikten staatlichen Corona-Maßnahmen. Das kann man nachvollziehen und dokumentiert, dass es zu dem Bild einer monolithischen Diktatur nicht so ganz passt. Hinzu kommt, dass sogar westliche Beobachter von einer deeskalierenden Vorgehensweise der Sicherheitsorgane sprachen. Doch darum geht es nicht. Viel interessanter ist die Darstellung und Bewertung derer, die dort protestieren.

Während sämtliche Proteste gegen die hiesigen Corona-Maßnahmen der Regierung letztendlich als das Werk von Verschwörungstheoretikern, Aluhüten, Schwurblern, Rechtsradikalen und Feinden der Demokratie dargestellt wurden, nahm der Protest in China, da es sich um den neu ausgerufenen strategischen Feind handelt, den Charakter einer wahren Demokratiebewegung an.  Während in unseren Breitengraden nur abgefuckte, alte Looser auf die Straße gingen, sind es in China nun junge, gebildete Menschen, denen das Regime die Wahrheit nicht mehr vorenthalten kann. 

Selbstverständlich existieren Unterschiede in den Politik. Und es geht nicht darum, die chinesischen Verhältnisse mit den wenigen Informationen, die vorliegen, von einem hohen, wie immer moralisch einwandfreien Standpunkt zu bewerten. Es geht um den Persilschein, den die hiesige Politik reklamiert, wenn sie alles, was am besten als eine zumindest in den letzten 60 bis 70 Jahren als gegeben gehaltene demokratische Konstitution verstümmelt. Und wenn sie eine Haltung, die aus den beiden großen Kriegen des letzten Jahrhunderts entsprang, schreddern will wie überflüssigen Baumüll.

Kleine Ereignisse wie die Berichterstattung über die jetzigen Proteste in China zeigen die ganze Verkommenheit und Dekadenz der Nachrichtenbranche. Man stelle sich vor, es würde jetzt von Schwurblern, Verschwöriungstheoretikern und Aluhüten gesprochen, wenn von den dortigen Verhältnissen gesprochen würde. Das ist so grotesk gut, dass es sich ein Bertolt Brecht mit seiner Vefremdungstheorie hätte ausdenken können. Der sprach bekanntlich davon, dass dem Zuschauer Mechanismen, die in einen exotischen Rahmen gefasst würden, viel begreiflicher gemacht werden könnten als würde man das Gewohnte darstellen. Der gute Mensch von Sezuan lässt grüßen. 

Es wird Zeit, den zitierten Abrissbirnen der europäischen Zivilisation, die allen ernstes noch davon sprechen, Nachrichten zu übermitteln, die Überschriften entgegen zu schleudern, die ihre Methode überführen. Die heutige lautet: „Aluhüte auf dem Tiananmen!

Vom Prekariat des Gutmenschentums

Bertolt Brecht. Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan entstand in den Jahren 1938 – 1940. Das Stück wurde als Parabel vorgestellt und 1943 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Die erste geschriebene Fassung erschien 1953. Die Daten von Entstehung, Aufführung und letztendlicher Publikation verdeutlichen die widrigen Umstände. Der II. Weltkrieg und das Dasein als Exilant erschwerten alles. Bertolt Brecht ließ sich dennoch nicht davon abbringen, ein bis heute virulentes Thema zu erörtern, sondern das in Jahrzehnten gereifte Konzept des epischen Theaters in seiner Komplexität auf die Bühne zu bringen.

Vom Verfremdungseffekt bis hin zu der immer wieder deutlich werdenden Botschaft, dass das ferne chinesische Sezuan stellvertretend stünde für alle Verhältnisse, in denen Ausbeutung und die dazu gehörenden Besitzverhältnisse menschliches Verhalten prädestinieren. Jeder Akt und jede Szene des Stückes stehen für sich selbst und die einzelnen Module sind Bestandteil eines Ganzen. Anhand von Regieanweisungen, Requisiten und schauspielerischen Gesten wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich um ein Lehrstück handelt, das das Thema diskursiv einkreisen soll und vor allem verhindert, die Zuschauer in das Reich der Illusion entfliehen zu lassen.

Der gute Mensch von Sezuan ist die Prostituierte Shen Te, die durch die unerwartete Gabe von Göttern, die hinunter ins Irdische gekommen sind, um nach einem guten Menschen zu suchen, zu einem kleinen Auskommen kommt. Sie verstrickt sich immer wieder in prekäre Situationen, solange sie als guter Mensch handelt. Ihr Mitgefühl, ihr Altruismus und ihre Solidarität lassen sie immer wieder an den harten Mechanismen der wirtschaftlichen Gesetze scheitern. Jede gute Tat rächt sich an der gänzlich anderen Logik des Kapitalismus. Indem Shen Te gut handelt, untergräbt sie die Wurzeln der eigenen Existenz.

Das alter ego Shen Tes ist Shui Ta, ihr den anderen handelnden Personen vorgespielter Vetter, der, sobald sie entschwindet, das wirtschaftliche Chaos, das sie angerichtet hat, mit der eisernen Logik des Geschäftsmannes wieder in Ordnung bringt. Während Shen Te bei den Bedürftigen zu einem Mythos wird, bringt Shui Ta diese gegen sich auf. Und sobald Shui Ta wieder verschwindet, erscheint der gute Mensch Shen Te.

Die Götter, die weiter auf der Erde herumirren und zusehends von dem Chaos ramponiert daher kommen, werden zusehends zu einem Zeugnis ihrer eigenen Überforderung. Sie verstehen die Welt, an deren Bonität sie glauben wollen, nicht mehr und sind mehr und mehr lädiert wie enerviert.

Der Widerspruch von Shen Te und Shui Ta wird zum Schluss des Stückes aufgelöst, indem sich herausstellt, dass es sich um ein und die selbe Person handelt. Diese Erkenntnis bezieht sich auf die agierenden Personen auf der Bühne, aber nicht auf das Publikum, weil dieses in die Doppelexistenz längst eingeweiht ist. Und die Götter, die von der Gravität der wirtschaftlichen Mechanismen überfordert sind, entfliehen, einen faulen Kompromiss suggerierend, überfordert in die himmlischen Sphären zurück.

Der gute Mensch von Sezuan ist, analog zur Heiligen Johanna der Schlachthöfe, eine dezidierte Religionskritik. Im letzteren Stück wird die Instrumentalisierung des Charity durch die Herrschenden thematisiert, im guten Menschen von Sezuan die Überforderung der Religion bei der Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise. Letztere wird auch zum zentralen Thema bei der Erklärung der Dialektik von Gutmenschentum und Ruin. Der gute Mensch kann in den Verhältnissen, so wie sie sind, wirtschaftlich nicht existieren. Und folgt er der wirtschaftlichen Logik, so kann er nicht mehr gut sein. Der gute Mensch von Sezuan bringt diese Aporie auf den Punkt.