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Die Glatzen des Positivismus

Die Aufklärung bleibt ein Thema. Gerade jetzt. In dem Moment, in dem eine Vorahnung auf andere Zeiten auftauchen. Zeiten, in denen sich die Dunkelmänner der Weltgeschichte wieder auf den Weg zu machen scheinen, um sich an die Regiepulte des Geschehens zu setzen. Das geht nur, so die Warnungen, wenn sich die zumindest formal demokratischen Gesellschaften auf das besinnen, was ihnen zugrunde liegt. Nämlich das aufklärerische Denken. Und auch im großen Diskurs um die Rolle der Religion, der durch die Migration von Menschen mit islamischem Glauben in die Zentren des Christentums getragen wurde, hallt angesichts der teilweise an Irrsinn grenzenden Auseinandersetzungen die Mahnung an die Aufklärung durch den Raum. Zu Recht. Denn ohne Aufklärung, so kann allen auf Autonomie und Selbstverantwortung fokussierten Individuen versichert werden, ohne Aufklärung ist alles nichts.

Die Frage zum Beispiel, ob sich eine Religion wie der Islam für die Demokratie eigne, ist die falsche. Religion und Aufklärung per se stehen konträr zueinander. Das Christentum, seinerseits durch seine Fokussierung auf das Individuum bereits ein Vorbote späterer Denkweisen, robbte sich quasi durch die Inquisition, um in den modernen Klassenkämpfen erst als Partei der Monarchie und dann als Dependance des Sozialamtes zu enden. Mit intrinsisch angelegter Aufklärung hat das nichts gemein. Analog ist es mit dem Islam. Aber, und das stösst auf als ein Indiz, wieso beschäftigt sich eine vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft mit den rückständigen Mystifikationen einer monotheistischen Religion, ohne ihr den Spiegel der eigenen, aufgeklärten Prinzipien vorzuhalten? Die Antwort ist einfach. Die Prinzipien sind im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr präsent.

Gerade in dem Lager, aus dem das affirmative Verständnis für die bestehenden Verhältnisse so wortreich und nachhaltig unterstützt wird, kam und kommt immer der Applaus über die Dialektik der Aufklärung. Über die Möglichkeit, dass sie umschlägt in Unterdrückung und Obskurantismus. Selbst, und die Gefahr ist schlimmer für die Aufklärung als der Islam oder irgendwelche sozialdarwinistischen Theoreme, selbst kommt die Ideologie der Ent-Politisierung völlig unpolitisch daher und verkauft sich als reine Form des Pragmatismus. Aber es ist diese Bewegung, die die sich nun als gefährdet glaubenden Gesellschaften auf den Zustand hingetrieben haben, in dem sie sich befinden. Unfähig zum Kampf gegen die Dunkelheit, ohne die Substanz, auf die es ankommt.

Der Positivismus ist das Gift, das sich in Politik und Philosophie eingesaugt hat und den Austritt der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit behindert. Denn der Positivismus verhindert das Interesse als eigenständige Kategorie aus dem politischen Diskurs. Das Interesse ist jedoch das Movens aller Veränderung. Und das zu verschleiern, ist das Werk einer fundamentalistischen Bewegung gegen die Grundfesten der Aufklärung. Und wenn Aufklärung die Basis der modernen Demokratie bedeutet, dann sind es die Glatzen des Positivismus, die die moderne Demokratie in eine existenzielle Krise gestürzt haben. Das zu verkennen, bedeutet sich auf das Falsche zu konzentrieren. Und um es deutlich zu sagen: Nur die Auseinandersetzung mit dem positivistischen Denken kann zu dem beitragen, was als Rettung der abendländischen Moderne erst einmal als Attraktion etabliert werden muss. Denn es geht, wenn von der Gefährdung des Abendlandes schwadroniert wird, zu definieren, was darunter verstanden wird. Das sollten einmal Abiturienten in Leipzig und Düsseldorf machen. Wir würden uns wundern, wie unaufgeklärt die Ergebnisse klängen.

Der Trick mit den Analogieschlüssen

Vor vielen Jahren, in Bayern herrschte noch ein Franz-Josef Strauß, da erstellte die Satirezeitschrift Titanic eine Reportage, die betitelt war mit der Frage „Was brummt denn da im Kopf des Dr. Stoiber?“ Letzterer war damals Adjutant des Alleinherrschers und am Anfang seiner Karriere. Dabei tat er alles, um nach oben zu kommen und nichts war ihm peinlich. Die Redakteure des Magazins waren daraufhin in den Geburtsort des Beklagten gegangen und hatten versucht herauszufinden, an welcher Stelle genau der spätere Nachfolger des Herrschers denn hätte auf den Kopf gefallen sein können.

Diese Episode kam mir in den Kopf, als ich in Spiegel online die Kolumne von Sybille Berg las. Unter dem Titel „Putin, der olle Islamist“ gelingt es der Autorin, eine Analogie zwischen des Rechtsradikalen in Deutschland und Russlands Präsident Putin herzustellen. Die gemeinsame Basis beider zu verurteilender Lager ist ihre Homosexuellenfeindlichkeit. Und, selbst redend, sind alle diejenigen, die nicht in die Meute derer mit einfallen, dass Putin der Böse und vielleicht die vom Faschismus geprägten und in ihrer Homophobie ebenfalls exponierten verbündeten Kräfte in der Ukraine die Guten sind.

Natürlich kann man so argumentieren. Aber es birgt in sich eine regelrecht heiße Kriegsgefahr, weil diese Logik der von Kreuzfahrern und Inquisitoren gleicht. Da existiert zwischen den verschiedenen Rollen von Individuen, politischen Strömungen, Parteien und Staaten keinerlei Differenzierung mehr. Ehrlich gesagt, glaube ich kaum, dass diejenigen, die momentan versuchen, ein gewisses Verständnis für die russische Sicht der Dinge einzufordern, den gleichen Chauvi-Style, den Machismo, die Homophobie oder den Waffenfetischismus Putins gut heißen. Aber das steht nicht zur Debatte. Zur Debatte steht, ob zunächst die USA und dann auch die EU und vor allem Deutschland in den letzten 25 Jahren ihr Wort gebrochen und entgegen aller Beteuerungen bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die NATO-Osterweiterung betrieben haben oder nicht. Russland als souveräner Staat wird vertreten durch einen Repräsentanten, und der heißt Putin. Dass dieses Land im Dissens zu einem Wortbruch steht, der im Kopf der Kolumnistin keine Rolle spielt, ist eher ihr Problem.

Die Autorin treibt ihre eigene Logik noch weiter und meint in ironischer Eleganz zu stehen, wenn sie die Homophobie und Frauenfeindlichkeit des Islam eigentlich auch als folgerichtigen Grund für die Verbrüderung der Rechten mit dem Islam sieht. Auch das kann man oder Frau so machen, nur zeugt es von eigenen Vorurteilen und Projektionen, die weit spektakulärer sind, als die der Angeklagten.

Das alles ist nicht schlimm. Nachweislich handelt es sich in dabei um eine Kolumne, in der man nicht alles so ernst nehmen muss, wie es eigentlich das behandelte Thema oft erfordert. Aber, semper aliquit haeret, irgendetwas bleibt immer hängen. Und darauf spekuliert auch eine ironische Kolumne. Die Autorin versucht, alle, die in einem äußerst komplexen und Gefahr behafteten Konflikt um Differenzierung bemüht sind, in die Aura der Homosexuellen- und Frauenfeindlichkeit zu stellen. Damit dokumentiert die Journalistin, dass sie in puncto Diffamierung durchaus Stärken aufzuweisen hat. Für ihre Analogieschlüsse bekäme sie sicherlich ein Testat, das ihr nicht weiter verhülfe. Vielleicht spendiert der Spiegel ihr ja auch einmal eine Bildungsreise in die ukrainische Provinz jenseits der russischen Sympathie. Sie könnte vieles berichten, über die dortige alte Tradition der Toleranz und den atemberaubenden Fortschritt der Frauenemanzipation, vielleicht sogar von dem ausgeprägten Philosemitismus. Sollte sie gar bereit sein, das eine oder andere Wort zu revidieren, dann stünde ihr gar ein Preis zu, vielleicht der für die Lernfähigkeit.

Eine Ordnung ohne kollektive Identitäten?

Schön war es, als die Welt noch relativ einfach nach Kategorien geordnet werden konnte. Nicht wegen ihres Zustandes. Nein, aber weil die Fronten der Begrifflichkeit eindeutig gezogen waren. Allein das XX. Jahrhundert hatte einen großen Wechsel der Ordnung erlebt, nämlich von Kolonialismus mit den europäischen Imperien hier und den kolonisierten Völkern dort hin zu dem, was Mao Zedong so treffsicher in der Theorie der drei Welten zusammen fasste. Die beiden Supermächte USA und UdSSR, die so genannten Mittelmächte wie die west- und zentraleuropäischen Staaten sowie die Dritte Welt, d.h. die ehemaligen Kolonialstaaten. Mit der Implosion der Sowjetunion im Jahr 1990 wurde diese klare Ordnung zerstört, die Staatspolitologen der USA sprachen gar vom Ende der Geschichte. Das ist jetzt 25 Jahre her und nicht nur diese Autoren beklagen heute die Unübersichtlichkeit der Welt.

Asymmetrische Kriege, politisch permissive Kontinente, eine strategisch überdehnte Supermacht und eine schwere Dichotomie der neuen Welt zeichnen den Globus aus. Das kritischste Phänomen ist nicht unbedingt die Indifferenz der europäischen Politik, wiewohl sie bei jeder Betrachtung Bestürzen auslösen muss. Und auch das Schlingern der USA zwischen unterschiedlichen Rollenverständnissen macht nicht das primäre Problem aus. Die prekärste Situation ist aus der Diffusion der ehemaligen Dritten Welt entstanden. Während eine Macht wie China vor Szenarien steht, in denen sie zumindest als eine globale Hegemonialmacht eine Rolle spielt, sind große Kulturvölker wie die des Irans und Pakistans in Dauerkrisen verwickelt, die mit regionalen Kämpfen um Vormacht, aber auch in einer mangelnden Kohäsion der eigenen Staatsgebilde zu suchen sind.

Armut, mangelnde Teilhabe, Entrechtung, ökologische Desaster und Genderterror sind die signifikanten Symptome der Gesellschaften, die nicht nur als permanent krisenhaft charakterisiert werden müssen, sondern auch als perspektivisch bedrohlich für den zivilen Frieden weltweit. Dass in vielen Staaten, in denen die Dauerkrise für den großen Teil der Bevölkerung herrscht, von der islamischen Religion durchdrungen sind, sollte zu anderen Schlussfolgerungen führen als zu der nun immer wieder unterstrichenen Koran-Exegese.

Negativ oder kritisch formuliert sind die Gesellschaften, in denen der Islam herrscht, nicht für das westliche Paradigma einer Industrie- und Waren produzierenden- Ordnung zu haben. Es existiert historisch kein Beispiel für ein artifizielles, industriell hergestelltes Produkt, das aus diesen Ländern stammt. Positiv formuliert verfügen diese Gesellschaften über eine merkantile Kernkompetenz, die bei einer Neuordnung der Welt berücksichtigt werden muss. Alle Versuche des Westens, den östlichen Teil der Welt nach seinem Bild zu formen, sind gescheitert und werden auch in Zukunft scheitern. Gegen die Adaption des westlichen Systems, das mit Begriffen wie Wiegen, Messen und Zählen kolportiert werden kann, steht eine Jahrtausende währende Tradition von Metaphorik und Handelskommunikation. Die Individualität, die den Westen groß gemacht hat, findet im Kollektiv des Ostens wenig Platz.

Armut, mangelnde Teilhabe, Entrechtung, ökologische Desaster und Genderterror sind sicherlich ein Grund, warum junge Menschen aus dieser Welt, auch wenn sie bereits in jener unterwegs sind, genau die Gemeinsamkeit, die in all diesen verfluchten Ländern am meisten heraussticht, den Islam, auf ihr Label erheben, um gegen die Hegemonie des Westens und seinen Wohlstand zu protestieren. Ihre Analyse der Welt wie die daraus gezogenen Schlüsse sind ein Desaster. Es entspricht leider der verbreiteten Vorstellung im Westen, dass nur eine Formung des Ostens nach westlichem Vorbild zum Besseren führen könne. Beide Gedanken sind imperial wie desaströs zugleich. Es wird Zeit, die Unterschiede zu akzeptieren und eine Ordnung anzustreben, in der das Elend bekämpft wird und die kollektiven Identitäten bestehen bleiben.