JD Allen. Americana. Musings On Jazz And Blues
Viele Musiker des zeitgenössischen Jazz haben, wie sollte es auch anders sein, ein andere Biographie als noch die Generation vor ihnen. Diese spielte sich durch die Kaschemmen der Provinz bis nach New York hoch und auf diesem Weg lernten sie noch einmal aus dem FF alle Schattierungen von Rassismus und Diskriminierung kennen. Diese Biographien hatten Einfluss auf ihr musikalisches Schaffen. Heutige Jazzer, vor allem die erfolgreichen, sind zumeist Repräsentanten des Mittelstandes, die nicht selten ihr Handwerk auf Konservatorien gelernt haben. Ihr Können ist famos, ihre Ideen brillant, ihre Technik atemberaubend. Und dennoch werden die harten, bluesigen, klagenden Töne, die den Jazz als den Ausdruck der Ungerechtigkeit, der Boshaftigkeit, aber auch der Schönheit dieser Welt groß gemacht haben, von vielen bitter vermisst.
JD Allen, seinerseits Tenorsaxophonist und mit 44 Jahren noch relativ jung, kann mit diesen Tönen aufwarten. Mit seinem Album Americana. Musings On Jazz And Blues gibt er dem Jazz die Stimme zurück, die ihn groß gemacht hat. Allen, der erst 1999 mit seinem Debüt Album aufwartete, hat mit anderen Werken wie The Matador und Graffiti sehr überzeugend bewiesen, wie sehr er die Traditionen des avantgardistischen Jazz kennt und beherrscht. Mit Americana holt er jedoch den Ton zurück, der für das Narrativ über die Reise von den Baumwollfeldern des Südens in die Industriemetropolen des Nordens steht.
Tell The Truth, Shame The Devil, mit diesem Intro beginnt Allen seine Hommage an die Geschichte Amerikas. Der Ton seines Saxophons erinnert bezeichnender Weise an den alten Dewey Redman, Joshua Redmens Vater, oder den von Teddy Edwards. Er ist elegisch und frivol zugleich und er schert sich nicht um technische Brillanz. Another Man Done Gone, Cotton, Sugar Free, Americana, Lightning, die Titel bezeichnen das, was die Musik suggeriert. JD Allens Trio mit Gregg August am Bass und Rudy Royston am Schlagzeug unternehmen eine rasante Tour durch die jüngste Geschichte der USA wie der des sie begleitenden Jazz. Sind die ersten beiden Stücke sehr bluesig und bitter, so ist bereits bei Sugar Free der Bebop der Metropolen in vollem Gange, mit einer Verve und Authentizität, wie sie nur von dessen Pionieren erreicht wurde. Mit dem Titelsong Americana greift Allen eine Phrase, die bereits in den vorigen Stücken vorkam, wieder auf und macht sie zu einer eigenen Erzählung. Das ist die vertonte Version der historischen Dialektik.
Vielleicht ist es kein Zufall. Vielleicht macht es großen Sinn, dass ein Musiker, der in dem längst untergegangenen Detroit aufgewachsen ist, die Reise nach New York unternommen hat, um der Jazzwelt noch einmal in Erinnerung zu rufen, woher der Jazz eigentlich kommt. In einer Zeit, in der auch in den USA nichts mehr so ist, wie es einmal war. Americana ist ein grandioses Album, das erahnen lässt, wie der Jazz aus den Konzertsälen wieder ins richtige Leben kommt. „If You ´re Lonesome, Then You ´re Not Alone.“
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