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Bereits im Reich des Bösen

John le Carré oder Frederick Forsyth hätten ihre wahre Freude daran gehabt. Da wird ein dem Heimatregime gegenüber kritischer Journalist in einer lupenreinen Nachbardemokratie angeblich im Auftrag seines Landes dahin gemeuchelt und die Nachricht erschüttert die Welt, spontane Traueraktionen finden statt, Staatsoberhäupter kondolieren, ohne zu vergessen, die Tat auf das Schärfste zu verurteilen, und am Tag drauf erscheint der Besagte quicklebendig auf einer vom Geheimdienst einberufenen Pressekonferenz seines Asyllandes und erklärt dem staunenden Publikum, der Mord sei inszeniert gewesen, um den geplanten Mord zu verhindern. So erzählt in einem Roman, erschiene die Story doch etwas zu frivol, als sei sie aus der Feder eines Meisters. Es sei denn, es käme eine Erklärung nach, die den ganzen Wahnsinn erhellte. Le Carré oder Forsyth wäre bestimmt etwas eingefallen, um auf dem Feld der Fiktion für Furore zu sorgen. Was die politische Realität anbetrifft, scheinen wir es mit einer Verrohung zu tun zu haben, die in hohem Maße besorgniserregend ist.

Der Fall Babtschenko ist nun die dritte chevalereske Episode in kurzer Zeit, die belegt, dass wir in eine Epoche eingetreten sind, in der Psychopathen die Regie übernommen haben. Der Fall Skripal in London, der Giftgasangriff im syrischen Douma und nun der ermordete Journalist in Kiew, in allen drei Fällen liegen keine hinreichenden Beweise für das Behauptete vor, nur eines ist sicher: Es wird eine Propaganda gegen Russland aufgebaut, die keiner Beweise mehr bedarf und die sich in wilden Spekulationen ergießen darf. Das Fatale an der ganzen Angelegenheit ist nur, dass diejenigen, die für diese Schauergeschichten verantwortlich sind, anscheinend aus dem gleichen Holz geschnitten sind wie diejenigen, die damit angeklagt werden sollen. Dass der russische Staat nicht diejenigen, die gegen ihn operieren, mit Glacéhandschuhen anfasst, ist sicherlich kein Geheimnis. Dass diejenigen, die sich ausgeben als Vertreter einer überlegenen Wertegemeinschaft sich in den gleichen Arsenalen bedienen, ist neu. Und die Nonchalance, mit der die neueste Eskapade in den hiesigen Medien kommentiert wird, deutet darauf hin, dass die Toleranz gegenüber der abgeschmacktesten Propaganda gewachsen ist. Wir leben bereits im Reich des Bösen.

Immer wieder tauchen Stimmen auf, die davor warnen, trotz aller Gegensätze dürfe keine unüberwindbare Verwerfung mit Russland entstehen. Aber wie, so stellt sich die Frage, soll das verhindert werden, wenn toleriert wird, dass der Geheimdienst einer befreundeten Gurkendemokratie ohne ernsthafte Sanktionen ein Stück aufführt, wie das des Journalisten (?) Babtschenko. Wenn derartige Laiendarsteller aus der Spionagekolportage noch Journalisten genannt werden, die die Opposition in Russland repräsentieren, dann stellt sich doch tatsächlich die Frage, was dort als seriöse Opposition bezeichnet wird? Sind das Hasardeure wie Babtschenko? Oder existieren vielleicht noch andere, die hier nicht erwähnt werden, weil sie nicht dazu beitragen, Russland zu dämonisieren?

Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass die Inszenierung einer anti-russischen Propaganda weiterhin in der besagten Form eskaliert, solange nicht hier, in der etablierten Meinungsindustrie, irgendwann der Gedanke aufkommt, dass der verbale Irrationalismus sehr schnell zu kriegerischem Irrationalismus ausarten kann. Reden wir nicht von Werten. Maß und Verstand, Grundlagen einer jeden Zivilisation, verlieren in unseren eigenen Reihen immer mehr an Bedeutung. Da braucht sich niemand mehr über irgendwen zu erheben. Ob die Talsohle erreicht ist, kann bezweifelt werden.

Analogien in der Dunkelzone

John le Carré. Der Spion, der aus der Kälte kam

Wenn so etwas wie ein Ur-Buch des Spionageromans existiert, dann ist es John le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam.“ Es war zwar nicht Carrés erster Versuch in diesem Genre, aber der Roman verhalf ihm quasi über Nacht zu dem Ruf, ein Meister dieses Faches zu sein und sich exzellent in dem Milieu auszukennen. Dass ein Spionageroman, der 1963 erschien, die Rivalitäten zum Gegenstand hatte, an denen sich der Kalte Krieg entfachte, war keine Überraschung. Ganz im Gegenteil, es bestätigte das vorhandene Weltbild. Was an dem Roman eher sperrig herüberkam, war die Botschaft, dass es zumindest in der Spionage keine Guten und keine Bösen gab. Die Protagonisten auf beiden Seiten erscheinen wie die sprichwörtlichen siamesischen Zwillinge ihrer eigentlich verfeindeten Counterparts.

Und in dieser Botschaft besteht die eigentliche Brisanz des Romans. Denn wenn die Spionage die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bedeutet, bevor es zum Krieg kommt, um Clausewitz zu bemühen, dann lässt sich keine Differenzierung zwischen Gut und Böse vornehmen? Das war für viele im Jahr 1963 neu, heute allerdings ist das keine heiße Botschaft mehr. Und die Geschichte, die in dem Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ erzählt wird, ist ein frivoles Wechselspiel des britischen und des ostdeutschen Geheimdienstes. Mit heutigem Maß gemessen überrascht vieles nicht mehr.

Das damals Neue und heute auch noch mit Gewinn zu beobachtende sind die Psychogramme der handelnden Personen. Oder reicht ein Kollektivsingular? Das Psychogramm des Spions, das nicht nur geformt ist durch eine ganz normale Sozialisation in einem ganz normalen gesellschaftlichen Umfeld. Und irgendwann, aufgrund unterschiedlicher Anlässe, lassen sich Individuen auf ein lebensgefährliches Spiel ein, dass immer mit Folter und Tod enden kann und das bestenfalls eine aktive Rolle in umgekehrtem Falle bedeutet. Das ist nicht nur frivol, es ist pervers. Und dass sich Staaten, unabhängig welcher politischen Prägung und mit welchem Wertesystem, sich dieser Individuen bedienen, um die Vorstufe zu Krieg so stabil wie möglich zu halten. Da stellt sich automatisch die Frage, wie das möglich sein soll.

John Le Carré ist in diesem Roman besonders gelungen, die Konkurrenz der Charaktere herauszuarbeiten und die Mittel des wechselseitigen Betruges besonders transparent zu machen. Und, was für seine besondere Expertise spricht, er macht an der Hauptfigur Alec Leamas deutlich, dass das Spiel, das da gespielt wird, absolut ist. Es duldet weder Ausnahme noch Ausstieg. Wer darauf setzt, dem wird das Licht schnell ausgeblasen. Da sind sich beide Seiten einig. Gerade in der brachialen Art und Weise, wie Spionage funktioniert, besteht der Konsens. Wer will, kann sich der abgehobenen Frage hingeben, ob Demokratien oder auf Humanismus setzende Staaten sich eines solchen Mittels bedienen dürfen.

Die Frage ist deshalb abgehoben zu nennen, weil die Praxis den Fall nicht vorsieht. Um Kriege zu verhindern oder sich für bevorstehende Kriege Vorteile verschaffen zu können, sind alle Seiten bereit, sich mit dem Teufel zu verbünden. Und der erscheint in Form der irren Charaktere, die John Le Carré in diesem Roman so präzise schildert.

Paradigmenwechsel im Spionageroman

John le Carré. A Delicate Truth

Wenn es ein Synonym für den Spionageroman gibt, der sich aus dem Kalten Krieg gespeist hat, dann ist es der von John Le Carré. Letzterer, Jahrgang 1931, ist Brite mit kosmopolitischer Provenienz. Studiert hatte er in Oxford und Bern, bevor in Eton selbst lehrte und danach kurzzeitig dem Britischen Geheimdienst während des Kalten Krieges diente. Seitdem, und das sind mittlerweile mehr als fünfzig Jahre, lebt er von seinen Büchern. Es wundert kaum, dass genau die Periode, deren Zeitzeuge aus nächster Nähe war, den Stoff für seine zahlreichen Romane bildete, die seitdem folgen sollten. Wer allerdings glaubte, mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes habe sich le Carré entweder in das Schweigen oder der Thematisierung des ewig Gestrigen begeben, der wurde positiv enttäuscht. Hatten im Machtkampf der USA und der UdSSR die profilierten und stereotypen Spione eines revanchistischen Weltbildes dominiert, so wechselte le Carré die Felder seiner Plots mit der Morgendämmerung neuer, ganz anderer Probleme der internationalen Politik.

Der neue Roman von John le Carré, A Delicate Truth, hat nichts mehr von den alten Konflikten und dem alten Ambiente. In einem wie immer scharf geschnittenen Handlungsrahmen wird die Leserschaft Zeuge einer neuen Dimension der Gefährdung, indem der nicht legale Einfluss privater Security Firmen auf das Management heißer, militärischer Konflikte thematisiert wird. Das, was der moderne Durchschnittsmensch bei der Betrachtung weltweiter Konflikte in den Nachrichtensendungen wenn überhaupt nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt, die Präsenz privater Firmen beim Einsatz politisch beauftragter Gewalt, ist in A Delicate Truth das Hauptthema. Der gesamte Roman dreht sich um dieses Phänomen. Ohne die wie immer spannende und sprachlich exzellent geschilderte Handlung ausplaudern zu müssen kann zusammengefasst werden, dass es um eine missglückte militärische Operation auf international brenzligem Territorium geht. Akteure direkt vor Ort sind von einem Verteidigungsminister beauftragte offizielle Truppen der Krone sowie private paramilitärische Einheiten aus den USA.

Das Misslingen der Operation wirft Fragen auf, die sich um die Legitimation der Handlung selbst drehen, um die politische Moral, die bei der Erteilung des Auftrages im Spiel war und um die tatsächliche Macht der privaten Auftragnehmer, die weder vor Gewalt noch Nötigung zurückschrecken, um ihren Einfluss innerhalb der Apparate von Politik zu wahren und auszubauen. Da ist nicht nur aktuell, sondern im Hinblick auf die neuen Dimensionen politischer Funktionswahrnehmung auch sehr spannend. Da stellen sich Fragen nach dem zuweilen fragwürdigen Utilitarismus der Politiker genauso wie die nach der Korrumpierbarkeit eindimensionaler Karrieretypen, die ihr Vaterland bereit sind für recht schnöden Mammon zu verkaufen.

Für alle, die dem Genre des Kriminal- und Spionageromans gewillt sind, etwas abzugewinnen, könnte eine sehr inspirierende Fragestellung sein, wie sehr doch Motivlagen und Handlungsmuster in den Romanen le Carrés aus der Epoche des Kalten Krieges und der jetzigen auseinandergehen. Es lieferte weitgehende Erkenntnis, die vom Übergang von der heroischen zur post-heroischen Gesellschaft genauso berichten wie über die Sublimierung von Feindbildern. Mit Werten und Weltbildern haben beide Romantypen etwas zu tun, aber auch diese unterscheiden sich sehr. John le Carré hat sich mit seiner Zeit weiterentwickelt. Er ist dabei weder wehmütig noch nostalgisch geworden. Er hat gelernt. A Delicate Truth ist der beste Beweis.