Der nordamerikanische Ökonom und Politologe Richard Florida machte vor anderthalb Jahrzehnten zum ersten Mal mit seinen Thesen zur Stadtentwicklung Furore. Er hatte sich weltweit die Städte angesehen, die in vielerlei Hinsicht eine rasante Entwicklung genommen hatten und mit einer strukturalistischen Analyse bestimmte Gemeinsamkeiten freigelegt, die diese erfolgreichen Städte verbanden. Florida nannte die Faktoren letztendlich die drei großen Ts. Diese waren Toleranz, Talente und Technologien. Und tatsächlich: Im Wissen um diese Faktoren ist in vielen Fällen augenscheinlich, dass genau Investitionen in diesen Bereichen zu Entwicklungserfolgen führen. Städte, die sich um ein weltoffenes, tolerantes Klima verdient gemacht haben, die in Logistik und Infrastruktur investiert haben und die dafür arbeiten, dass junge und qualifizierte Menschen kommen und bleiben, haben die größten Chancen, erfolgreich zu sein. Der Erfolg misst sich nicht nur hart ökonomisch, sondern auch in Kreativ- und Zufriedenheitsindizes.
Soweit, so gut. Selbstverständlich können diese Faktoren nicht gestärkt werden, wenn ganz mechanisch, ohne soziale und kulturelle Intuition daran herum geschraubt wird. Aber das ist mit allen Konzepten so. Manchmal verifizieren sich derartige Konzepte aber auch auf ganz anderen Feldern, an die weder der Finder des Zusammenhangs, d.i. Richard Florida, noch diejenigen, die sie konzeptionell angewandt haben, jemals gedacht haben. Eines dieser Beispiele ist nämlich der deutsche Fußball.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als Florida über die Städte forschte, musste der deutsche Fußball eine Krise konstatieren, die vor allem darin bestand, dass durch die Profi-Praktiken der Nachwuchs bzw. die Nachwuchsarbeit gelitten hatte. Es gab die Millionenstars und dann wurde es schwierig. Der deutsche Fußballbund zog daraus Konsequenzen, die in hohem Maße eine Konformität zu dem Florida-Konzept vermuten lassen.
Man begann, Talente zu scouten und zu fördern, Nachwuchszentren wurden geschaffen und in hohem Maße professionalisiert. Die Betreuung sowohl dieser Zentren als auch die der Nationalmannschaft wurden detailliert geplant und mit den neuesten Technologien ausgestattet. Von Motivationstrainern, Psychologen, Physiotherapeuten, Medizinern bis zu Ernährungswissenschaftlern wurde ein ganzes Ensemble, gerüstet mit den neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Technik in den Fußball geschickt. Und letztendlich wurden die Talente, derer man habhaft wurde und die Immigranten waren, mit der Perspektive konfrontiert, eingebürgert werden und für Deutschland spielen zu können. Dazu war eine andere Atmosphäre vonnöten, als sie vor 15, 20 Jahren in vielen Stadien herrschte. Mit Toleranz- und Respektkampagnen wurde ein Klima geschaffen, das eine neue Ära einläutete.
Der vorläufige Erfolg dieser drei großen Ts war ein Fundus von ca. 50 auf Weltniveau spielen könnenden Akteueren, über die vorher noch nie eine DFB-Auswahl verfügte. Nicht die notwendige, aber die logische Konsequenz war dann der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, bei der das System der Toleranz, der Talente und der Technologien dermaßen Furore machte, dass mittlerweile alle renommierten Fußballverbände dieser Erde nach Deutschland kommen, um sich zwecks Kopie klug zu machen.
Es ist eine tatsächliche Erfolgsgeschichte, die etwas zu tun hat mit einem qualitativ politischen Denken. Die Namen, die vor allem mit dem Toleranzaspekt korrelieren, sind Özil, Khedira und Boateng. Andere sind gefolgt und haben das System bestätigt. Der Affront vor allem gegen Jerome Boateng, der durch seine eigene Vita, seinen Sportsgeist und sein soziales Engagement noch einmal eine besondere Qualität unter Beweis stellt, dokumentiert mit welch einem abgrundtiefen Unverständnis wegweisende, auch politisch zu reflektierende Erfolgskonzepte konfrontiert Und gefährdet sind.