Die Lobeshymnen der deutschen Regierungspolitiker auf den französischen Kandidaten Macron sind einerseits verständlich, andererseits notorisch. Verständlich, weil das Bekenntnis zu einer bürgerlichen Demokratie und der Verzicht auf xenophobische Ressentiments liebenswürdiger erscheinen als ein sich in Schuldzuweisungen und diktatorischen Tagträumen suhlender Nationalismus. Notorisch, weil gerade die radikale Version des Neoliberalismus, wie sie vor allem im deutschen Finanzministerium gepflegt wird, dazu beigetragen hat, dass sich die EU in Bezug auf ihren Zusammenhalt und ihre gemeinsame Identität in einem desolaten Zustand befindet.
Würde Macron gewählt, so bedeutete das das Festhalten an einer Doktrin der Ent-Staatlichung und Privatisierung wie der unlimitierten Bewegungsfreiheit von Kapitalströmen. Leiden würden immer größere Teile der Gesellschaft. Insofern hat es Frankreich mit einem Paradoxon zu tun, das tragisch ist: Durch die Wahl des neoliberalen Kandidaten Macron soll die Radikalisierung des Landes durch den Front National verhindert werden. Durch Macrons Wahl werden jedoch die Gründe für die Stärkung des Front National bei vielen Franzosen, die sich auf der Verliererstraße befinden, zunehmen.
Das ist ein Ball Pompös, der da aufgeführt werden wird. Vermutlich werden alle Parteien, die beim ersten Wahlgang abgestraft worden sind, dazu auffordern, Emmanuel Macron zu wählen, um Le Pen zu verhindern. Macron selbst verfügt jedoch über keine Parteibasis, seine Kampagne wird lediglich durch das Wahlbündnis En Marche getragen. Bei den später im Jahr folgenden Parlamentswahlen werden es jedoch wieder die Parteien sein, die die Mandate für die Sitze erhalten. Somit ist mit Macron ein Kandidat unterwegs, der alles mitbringt, grandios an den eigenen Parlamenten zu scheitern.
In den Parlamenten wiederum spiegelt sich die nahezu egalitäre Spaltung der Nation in Links und Rechts. Auch die erste Runde der Präsidentschaftswahlen dokumentiert dies. Und die Parlamentswahlen werden an diesem Zustand nichts ändern. D.h. ein neuer Präsident wird sich mit den bestehenden Parteien arrangieren müssen. Die französischen Probleme wird er so nicht lösen können. Wenn alles schlecht läuft, kann der jetzt umjubelte Macron zum Wegbereiter eines zutiefst nationalistischen Frankreichs werden, wenn er keine Mehrheit für einen anderen Weg zustande bringt. Als Ein-Mann-Show allerdings ein sehr ambitioniertes Unterfangen.
Bleibt zu monieren, dass es im befreundeten Deutschland niemanden zu geben scheint, der sich um die Freunde westlich des Rheins sorgt und auch nicht sieht, wie eine Alternative gestaltet werden müsste. Wenige Tage vor dem ersten Wahlgang hatten prominente Briten und Amerikaner, die durch Brexit und Trump gelitten haben, die Franzosen gebeten, den linken Mélonchon zu wählen, weil sie die tödliche Gefahr des Neoliberalismus für die Demokratie längst ausgemacht haben.
Aus Deutschland kamen ähnliche Ratschläge nicht, weil dort bis in die Reihen der regierenden Sozialdemokratie die Illusion vorherrscht, der Neoliberalismus sei mit den Grundprinzipien der Demokratie vereinbar. Oder man geht noch weiter und goutiert die schlimmsten ideologischen Sprengsätze, die in letzter Zeit auf das Konstrukt Europa geworfen wurden: die Austeritätspolitik, die Zentralisierung der Finanzen, das Junktim EU-NATO oder sogar die Kaderschmieden eines Regime Changers a la George Soros. Die Dimension dieser Verblendung ist wohl auch die Ursache für die Hosianna-Rufe gegenüber Emmanuel Macron.
Was riet Heinrich Heine noch den Franzosen, wenn es um den Nachbarn aus Deutschland ging? Er erzählte von den nackten Göttern, die sich im Olymp die Zeit vertrieben, bis auf eine Figur, die unter ihnen weilte, bekleidet war und Schild und Helm trug. Es war die Göttin der Weisheit!