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Thrill und Existenzphilosophie

James Ellroy. Clandestine

Die menschliche Existenz ist ein Panoptikum. Alles, was aus ihr resultiert und alles, was in sie hineinleuchtet, erzeugt ein großes Bedürfnis nach Deutung. Philosophische und erkenntnistheoretische Abhandlungen nehmen Position zum Wesen des Menschen und nicht selten kommen sie zu Schlüssen, die von denen, die im Hier und Jetzt leben, nicht geteilt werden. Denn die Realität zeigt immer noch ein anderes Gesicht der menschlichen Existenz als der gelehrte Diskurs. Und die höchste Form der Herausforderung für diese Verfremdung von Wahrnehmung liefern Kriminalberichte und Kriminalstatistiken. Da erfahren wir, zu was Menschen nicht nur potenziell, sondern tatsächlich in der Lage sind und nichts von dem, was wir uns als Superlativ des Grauens denken, ist schlimm genug, um dieser Art von Realität zu entsprechen.

James Ellroy, der mit seinen Tetralogien über Los Angeles und deren Verfilmungen zu pikantem Weltruhm gelangt ist, liefert in seinen frühen Romanen geradezu eine lupenreine Dokumentation der oben aufgestellten Thesen. Während er eine immer in Schuld verstrickte, aber vom Wesen unschuldige Person, die stark autobiographische Züge trägt, als Protagonisten fungieren lässt, versammeln sich um diese Figur herum die Prototypen von Dekadenz, Gewalt, Perfidie und Geschmacklosigkeit. In der Stadt des Traumtheaters, denn Los Angeles ist und bleibt die Bühne dieses großartigen Schriftstellers, verführen sich ständig alle zu einem Leben ohne Halt. Das ist in seinem Debütroman Brown´s Reqiem genauso wie in seinem zweiten Werk, Clandestine.

Von der Konstruktion her ist Clandestine wesentlich elaborierter als Brown´s Requiem. Es geht um einen ehrgeizigen Cop, der durch Zufall ein Mordopfer kennt. Aus Empathie wendet er sich dem Fall zu, beginnt Wirkungszusammenhänge zu konstruieren und den Täter heraus zu deuten. In der Folge werden die Leserinnen und Leser Zeugen einer rasenden Geschichte, die um die Karriere- und Machtkämpfe im Polizeiapparat geht, um menschliche Abhängigkeiten und kriminelle Organisationsformen dessen, was gerne als Zivilgesellschaft beschrieben und für schlechthin gut gehalten wird, um Drogenhandel und Prostitution und um Liebe, die immer wieder scheitert, in ihrer bürgerlichen Formalisierung wie schäbiger Illegalität. Aber, bei all dem Wahnsinn, der sich ausbreitet, sind neben den Abgründen, an denen immer alle entlanglaufen und in die immer wieder welche hinabstürzen, Liebe und Sympathie die einzigen Regungen, die zumindest etappenweise zum Überleben verhelfen können.

Clandestine spielt im Zeitraum 1951 – 1955, es ist, wie gesagt, der zweite Roman Ellroys, aber er schildert eine Welt, die sich bis heute in Los Angeles und anderswo nicht besänftigt hat. Die Lektüre auch dieses Romans ist neben dem Thrill, den Ellroy-Werke übertragen, eine sehr geeignete Lektion für alle, die die Welt und ihre Veränderung zum Besseren mit einer normativen moralischen Position zu erreichen suchen. Der heutige Kanon der political correctness versinkt in der reißenden Strömung menschlicher Realität, die sich dem Triebhaften verschrieben hat. Und die Triebe, um die es geht, streben sowohl nach nacktem Überleben als auch nach Macht, sie zielen auf Eitelkeit und Herrschsucht, auf Gerechtigkeit, wie Verständnis. Die Dominanz des Triebes, egal ob als gut oder schlecht eingestuft, zeitigt immer etwas Barbarisches, das dann als typisch menschlich erscheint.

James Ellroy, und gerade der junge Schriftsteller, ist ein phänomenaler Dokumentar dieser Triebwelt, in der er immer besser Regie zu führen in der Lage ist. Clandestine ist ein Kriminalroman mit einem genialen Plot und ein immenses Reservoir für Reflexionen zur menschlichen Existenz.

Lost Angeles

James Ellroy. Brown´s Requiem

Wie ist es möglich, einer Marke, zumal auf dem Literaturmarkt, nach Jahren des Erfolgs und der Etablierung als festes Bild, noch einmal auf die Schliche zu kommen? Ist es im Rahmen des Erreichbaren, die ursprünglichen Antriebe und Erfahrungen zu dechiffrieren? Ja, richtig, ein Korridor, der in diese Richtung führt, ist eine Recherche des ersten oder der ersten Versuche. Bei dieser Vorgehensweise gelingt es immer wieder, vieles, das durch den Mythos als allzu trivial erscheinen würde, dennoch als wichtig zu identifizieren und manches, das als die Kernaussage immer wieder gehandelt wird, in seine Schranken zu verweisen. Es lohnt sich also, die ersten Versuche des künstlerischen Schaffens immer wieder unter die Lupe zu nehmen, um nicht im Meer des erzeugten Scheins zu ertrinken und den klaren Blick auf das Wesentliche zu verlieren.

James Ellroy, 1948 geboren und Kind des schmutzigen, lasterhaften, korrupten und gewalttätigen Los Angeles, ist nach zahlreichen Romanen und Verfilmungen derselben so ein Markenzeichen, bei dem alles gesagt zu sein scheint und das für sich spricht. Heute steht er da, in Interviews, wie ein abgeklärter Literat, der die Abgründe seiner eigenen Topographie kennt und den Blick in die Finsternis gerne mit seinem Lesepublikum teilt. Das, was aber hinter dieser Maske steckt, ist durchaus dechiffrierbar. Die Lektüre von Brown´s Requiem, Ellroys erstem Roman, ist der direkte Konnex zu seiner eigenen Biographie und zeichnet Themen wie Obsessionen seiner späteren Werke deutlich vor. Erschienen ist Brown´s Requiem 1981, da war Ellroy 33 Jahre alt und hatte bereits eine gescheiterte Karriere als Gelegenheitsarbeiter und Spezialist als Betäubungsmittel hinter sich. Und genau diese Erfahrungen mit sich und dem Los Angeles seiner Zeit sind es, die den Roman lesenswert machen.

Alles, was in dem spannend geschriebenen Roman, der nicht dem späteren Ellroy-Stil Erzählmodus entspricht, zur Sprache kommt, ist dem eigenen Erfahrungshorizont entnommen. Das Los Angeles der krassen Gegensätze und der multi-ethnischen Clashs und Arrangements, die pittoreske Immigrantenszene, die amerikanische Leitkultur und ihr Gegenentwurf, die nicht unterscheidbaren Welten von Ordnung und Korruption, die gleitenden Grenzen von Sex und Pornographie, die Drogenszene, die Guten in den schlechten Milieus und die Schlechten in den guten Milieus, alles findet sich bereits n Brown´s Requiem. Interessant dabei ist besonders, dass die negativen Zuweisungen, die die Kritik später dem Autor Ellroy gerne gemacht hat, von ihm in diesem Roman selbst den negativen Charakteren zugeschrieben werden, vor allem der Antisemitismus und das Faible für abstruse Formen von Sexualität.

In Brown´s Requiem beschreibt Ellroy eine regelrechte Bestie, die den Irrsinn menschlicher Existenz sehr plastisch darstellt und die deutlich macht, wie schwierig es ist, das Gute vom Bösen zu trennen. Der deutsch-stämmige Fritz Brown, seinerseits Ich-Erzähler des Romans und Frederick „Fat Dog“ Baker, die Bestie, bilden die Folie, auf der die späteren Romane Ellroys lesbar werden. Beide sind ambivalent, der eine aus noch halbwegs beeinflussbaren freien Willen, der andere aus quasi genetischer Obsession. Und die großen Bilder, die Ellroy bereits hier bemüht, sind die Werke der europäischen Klassik, Zeichen für Ordnung und Zivilisation und die diesen entgegenstehende Libertinage von Sex, Drugs & Rock ´n Roll. Dass sowohl der positive Held als auch der Schattenspieler des Bösen in diesem Roman in beiden Bildern zuhause sind, sprich für den damals noch jungen Autor. Er belässt es mit der Unauflöslichkeit der Welt.

Summertime

Der Komponist George Gershwin schrieb es für eine Volksoper. Zusammen mit DuBose Heyward, von dem das Libretto stammte, begann er Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts mit der Komposition von Porgy & Bess. Beide betonten immer, es handele sich um eine Volksoper. Inspiriert zu dieser Definition des Genres waren die beiden sicherlich von dem kongenialen Paar Bertolt Brecht und Kurt Weill. Porgy & Bess setzte zum ersten Mal das Schicksal der amerikanischen Schwarzen in ein Werk dieser Dimension.

Das Stück, das in dem Opus gleich viermal zu hören ist und das zu Weltruhm gelangte, war Summertime. Es markierte das Bekenntnis zur Schönheit dieser Welt, in vollem Bewusstsein der Tragik, die sie dennoch mit sich bringt. Das auch durch den Text leicht daherkommende Stück vermochte es dennoch, diese emotionale Doppelbotschaft zu transportieren. Summertime wurde nicht nur ein Welthit, es gehört bis heute zu den meist gecoverten Stücken aller Zeiten. Jedes Ensemble, das etwas auf sich hält, spielt es ein, jede Amateurband, die dokumentieren will, dass sie etwas kann, spielt es. Das gelingt nicht immer, manchmal bleibt die Botschaft auf der Strecke und es hört sich schrecklich an und verkommt zur Fahrstuhlmusik.

Von den unzähligen Interpreten, die sich Summertime, das schließlich 1935 zum ersten Mal zu hören war, ausgewählt haben, ragen viele heraus. Eine Künstlerin, zu der es von ihrem angestammten Repertoire eigentlich gar nicht passte, stürmte mit dem Lied die Herzen einer ganzen Generation. Die 1943 im texanischen Port Arthur geborene Janis Joplin schaffte sehr jung den Durchbruch. Bereits in den sechziger Jahren, in denen in den USA alles in Wallung geriet, verstörte sie mit ihren vom Blues beeinflussten Rock Songs, die vor allem das Frauenbild aus den Fugen hoben. Sie nahm Drogen, führte ein Lust betontes Leben, lebte schnell und starb früh. Bis heute ist sie zu hören, vor allem mit Titeln wie Me And Bobby McGee, Mercedes Benz, Cry Baby, Ball & Chain oder dem Kozmic Blues. Sie starb 1970, 27jährig, in Los Angeles.

1968 nahm sie Summertime auf und brach auch hier mit allen Konventionen. Aus dem viel geliebten Stück aus Gershwins Volksoper wurde ein Fanal. Nach einem an eine klassische Ballade erinnernden Präludium, nicht selten von einem Bläsersatz intoniert, dringt Joplin mit ihrer hohen, verrauchten, sehnsüchtigen Stimme in die Atmosphäre und verfremdet das Stück, dem sie textlich wie von der Komposition treu bleibt, durch die bloße Art ihrer stimmlichen Interpretation. Sie erzählt  nicht, wie im Original, wie schön das Leben sein kann, nein, ihre gesamte Interpretation ist ein Manifest der Hoffnung, wie schön das Leben sein soll. Es ist der verzweifelte Schrei einer jungen Frau, die um ihr Ende weiß und nicht wahrhaben will, dass große Teile der irdischen Schönheit ihr in ihrem kurzen Dasein vorenthalten bleiben werden. Es ist eine tragische Referenz an die menschliche Existenz, die alle, die es hören, erschrecken lässt. Ihre Zeitgenossen spürten das. Menschen, die damals, als Janis Joplins Summertime zum ersten Mal dabei waren und es hörten, haben es bis heute nicht vergessen. Nicht das Stück, nein, das Erlebnis. Janis Joplins Summertime ist ganz große Kunst. Zu einem Preis, den nur die ganz große Kunst kennt.