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Was macht die Macht aus einem Menschen?

Was macht die Macht aus einem Menschen? Die Frage ist so alt wie die Menschheit. Jede soziale Ordnung, ein Charakteristikum der menschlichen Rasse per se, beinhaltet mächtigere und weniger mächtige Positionen in dieser Ordnung. Die sozialen Utopien, die von der Abschaffung von Herrschaft redeten, sind bis auf eine einzige Ausnahme die Beweisführung der Möglichkeit der Abschaffung von Macht schuldig geblieben. Sie alle hatten Stadien der Gegenmacht und Gegengewalt in ihren Theoremen und irgendwann, so die Prognose, verschwinde die Macht in den Annalen der Geschichte.
Der einzige, der das Rätsel glaubte lösen zu können, war der russische Graf Kropotkin, der in seinem anarchistischen Hauptwerk exklusiv von der gegenseitigen Hilfe in der Tier- und Menschenwelt sprach. Das war geschickt, denn er schaute nicht gebannt auf die Struktur und die Hegemonie der Macht, sondern suchte die Rettung in ihrem Pendant. Die gegenseitige Unterstützung, sprich die Solidarität, ist die nicht militante Form der Gegenmacht, eine Art der friedlichen Hegemonie über die Aggression. Das ist interessant wie erstaunlich, denn dieser Gedanke, der doch große Perspektiven eröffnen konnte, wurde immer wieder durch die Formen von Gegenmacht und revolutionärer Diktatur verdrängt.
Aber es geht hier um die Veränderungen, die der Besitz von Macht an einem Individuum anzurichten in der Lage ist. Ein negatives Merkmal wird immer in einer Abnahme von Empathie gesehen, ein anderes in einem Anwachsen von Zynismus, in einer größer werdenden Ferne zu den durchschnittlichen Lebensbedingungen der Bevölkerung und dem Verlust von, Demut. Das klingt nicht gut, ist aber wohl so, denn das Phänomen ist dokumentierbar wie kein anderes.
Jüngstes Beispiel war eine Anmerkung der Kanzlerin. Ihr Herausforderer, Martin Schulz, hatte der Kanzlerin vorgehalten, mit der Ent-Politisierung des Wahlkampfes einem Trend in die Arme zu spielen, der lebensgefährlich für das politische System an sich kein kann. Denn wenn es nicht mehr um politische Inhalte geht, sondern nur noch um Gesten, dann sinkt das Interesse an der Politik und es reicht eine marginale Gruppe von Befürwortern, um die Wahlen zu gewinnen.
Schulz unterstellte der Kanzlerin, dass sie diesen Kurs bewusst fahre und kritisierte sie dafür scharf. Die Antwort darauf, die die Kanzlerin einen Tag später gab, war lakonisch. Eigentlich, so die Amtsträgerin, kenne sie Martin Schulz ganz anders. Aber, so ihre Folgerung, es scheine so, als sei der Wahlkampf ganz schön anstrengend. Sie glaubte es nicht nötig zu haben, auf den Vorwurf einzugehen und stellte sich damit in eine Linie zur unglücklichen letzten Königin Frankreichs, Marie Antoinette. Die hatte bekanntlich, als in Paris das Volk nach “Brot“ schrie geantwortet, wenn kein Brot mehr da sei, dann solle das Volk doch Kuchen essen.
Bei dieser Bemerkung handelte es sich um die größte Entgleisung, die sich die Kanzlerin jemals geleistet hat, weil sie aus einer Geste der Geringschätzung den Sinn des politischen Systems ebenso verhöhnte wie die politische Konkurrenz.

Und genau das ist es, was die Macht aus Menschen auf Dauer zu machen vermag: Sie lösen sich von ihrer eigenen Sozialisation und den damit verbundenen Werten, sie verlieren ihr eigenes Referenzsystem und werden unberechenbar für den Rest. Marie-Antoinettes Kopf landete, so viel ist gewiss, nach der Guillotine, in dem berühmten Weidenkörbchen. Heute landen Entmachtete allenfalls bei der Pensionskasse. Was auch schlimm sein kann, aber nicht so schlimm wie das Schicksal der letzten französischen Königin, aber ein Sturz ist in der Regel die Folge von zu viel Machtkonsum auf Dauer.

Die gute Fee

Ein erwachsener, weinender Mann, ruft „Ich will zu meiner Mutter“, und dann hält er ein Bild von Angela Merkel hoch und schluchzt laut auf. Es handelt sich um einen Syrer, der der Hölle im eigenen Land entkommen ist, der dort Teile seiner Familie verloren hat und nun eine Odyssee durch verschiedene europäische Länder hinter sich hat. Die Bilder, die sich über die Smartphones in Windeseile verbreiten, sind für viele Menschen, die sein Schicksal teilen, schlicht unglaublich. Ein syrisches Kind auf dem Münchner Hauptbahnhof, das mit der Mütze eines Polizisten herumläuft, und dieser lacht beschwichtigend, als ein entsetzter Vater entschuldigend eingreifen will. Deutschland entpuppt sich momentan als das Land der Erlösung und seine Kanzlerin als die gute Fee.

Die Ursachen für diese Wirkung sind relativ einfach zu erklären. Während die europäischen Staaten unabhängig von der Dringlichkeit, sofort zu reagieren, einen Prinzipienstreit führen über Ursache, Wirkung und vor allem die daraus resultierende Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen, sind es lediglich Österreich, die Bundesrepublik und Schweden, die sich in größerem Ausmaß in der Verantwortung sehen. Die britischen Verteidigungsarbeiten am Tunnel von Calais werfen hingegen genau das Licht auf Großbritannien, in dem es bereits seit langer Zeit scheint, nämlich wenig sympathisch für das gemeine Volk schlechthin und nahezu willenlos gegenüber der spekulativen Finanz. Die osteuropäischen Staaten, allen voran Ungarn und dicht gefolgt von Polen, dokumentieren hingegen sehr anschaulich, dass die ökonomische Mitgliedschaft in dem ramponierten Gebilde Europa die politische Reife längst nicht kompensiert, es sei denn, aus geostrategischer Sicht passen die Akteure wieder in das Puzzle.

Und so sind die armen Seelen, die momentan ausgelaugt und traumatisiert die Grenzen Deutschlands erreichen, in einem Zustand der Dankbarkeit und Freude, die ihnen zusteht und die verstärkt wird durch die Initiative der Bevölkerung, die, und das müssen manche erst noch verkraften, zu den heutigen Syrern freundlicher sind als es ihre Vorgänger nach dem großen Krieg gegenüber Ostpreußen, Sudeten oder Schlesiern waren, so genannten Volksdeutschen, obwohl sie vorm bösen Russen flohen. Die Freude erklärt vieles nicht und verdeckt den kritischen Blick vor einem Europa bzw. einer EU, denn, das sei noch einmal bemerkt, EU und Europa sind lange nicht identisch. Die EU und ihr zeitweiliges Junktim mit der NATO hat zu den wirtschaftlichen Ungleichheiten im Bündnis, von denen vor allem die deutschen Konzerne in den letzten Jahrzehnten vornehmlich profitiert haben, zudem eine politische Konstellation geschaffen, die an Abenteuerlichkeit nicht zu überbieten ist.

Genau diejenigen, auch im offiziellen Brüssel, die vor allem dem gegenwärtigen ungarischen Präsidenten Viktor Orban Giftpfeile entgegen schleudern, sollten sich ins Gedächtnis rufen, dass sie es waren, die Staaten in die EU geholt haben, in denen immer noch oder schon wieder ein Geist der Menschenverachtung, des Antisemitismus, des Rassismus und der Reconquista herrscht, der dazu führt, dass die eigenen Bürgerinnen und Bürger bald auf der Flucht sind. Der ungarische Zaun ist nicht nur gegen Flüchtlinge aus anderen Ländern, sondern auch als Zaun vor Ausbruch der eigenen Bevölkerung gedacht.

Der Ukas der Kanzlerin zur Verfügung der Aufnahme syrischer Flüchtlinge ist kalkulatorisch, das eigene Image betreffend, ein großer Coup. Er lenkt ab von dem desolaten Zustand der EU und der Mitverantwortung Deutschlands am jetzigen Zustand der EU. Martin Schulz, der Heckenphilosoph vom Niederrhein, versucht nun, aus dem Elend eine Tugend zu machen. An Ungarn, so der hemmungslose Mann, sähe man, wohin es führe, wenn man die EU entmachten und den Nationalstaaten wieder mehr Souveränität gäbe. Wir sollten das Lachen nicht verlernen!