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Ein gefährliches Muster

Krisenerscheinungen führen zu Überlegungen staatlicher Reaktion. Politik, die staatliches Handeln gestaltet, ist gefragt. Der Charakter von Krisen wiederum ist ein Resultat politischen Handelns. Wer diesen Zusammenhang übersieht, begibt sich auf den Weg der Irrationalität. Die Feststellung ist trivial, die Erkenntnis darüber nicht. Die politischen Auseinandersetzungen um probate Mittel der Krisenbewältigung ignorieren zumeist diese Kausalität. Wird die Logik von Ursache und Wirkung ausgeklammert, so sind irrationale Strategien favorisiert. Ein Menetekel der Ansätze von Lösungsversuchen dokumentiert dieses Dilemma.

Die Türkei, das Land an der Pforte Europas, wird momentan nach einem Muster administriert, welches auch in anderen, der Europäischen Union angehörenden Ländern, mutatis mutandis übernommen wird. Dort begann die regierende AKP mit der Säuberung der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist ein Grundpfeiler der demokratischen Logik. In der Türkei reichte es aus, dass Staatsanwälte damit begannen, Korruptionsvorwürfe gegen namhafte Regierungsmitglieder zu untersuchen. Die Reaktion der türkischen Regierung war drastisch. Unzählige Staatsanwälte und Richter, die in laufende Verwahren involviert waren, wurden kurzerhand aus dem Dienst enthoben. Wenn Sie dieses nicht unwidersprochen hinnahmen, wurden sie kurzerhand von gleichgeschalteten Kollegen zu drastischen Gefängnisstrafen verurteilt.

Der nächste Schlag richtete sich gegen kritische Journalisten und Fernsehmoderatoren. Sobald sie das Handeln der Regierung unter die Lupe nahmen, fuhren die LKWs der geheimen Staatspolizei vor den Redaktionsstuben vor, verhafteten die vermeintlichen Delinquenten bei der Arbeit und sorgten dafür, dass dieselben in Schnellverfahren zu drakonischen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Manche befinden sich in Haftanstalten und sollen dort Jahrzehnte verbleiben.

Die dritte Kraft, die für eine lupenreine Diktatur außer Justiz und Presse noch fehlt, ist die Polizei oder ein nach innen instrumentalisiertes Militär. Dort ist der Kampf für den sich zu einem Diktator mausernden Präsidenten Erdogan noch nicht gewonnen, aber Teile des Polizeiapparates befinden sich bereits in den Händen der AKP. Der Preis für eine Revision des diktatorischen Angriffs auf die staatlichen Institutionen steigt mit dem Fortschreiten ihrer Demontage. Im Falle der Türkei scheint es so zu sein, dass eine Kursänderung nur noch durch einen Bürgerkrieg zu erreichen ist.

Innerhalb der EU existieren bereits Varianten dieses Musters. Ungarn war das erste Land, dass Journalismus und Justiz ins Fadenkreuz nahm. Polen ist das aktuelle Beispiel. Dort begann der Angriff mit der Verstaatlichungsattacke gegen das Pressewesen und es folgte die Justiz. Eine ironischen Logik folgend könnte es auch so ausgedrückt werden: die Staaten der ehemaligen sozialistischen Volksdemokratien, die sich den Rezepten des ungehemmten Wirtschaftsliberalismus verschrieben haben, erinnern sich angesichts der Resultate der radikalen Privatisierung und den mit ihr einhergehenden anarchischen Tendenzen alter Tugenden und etablieren ein Übermonster von Staat, der alles kontrolliert und sich selbst nicht mehr kontrollieren lässt. Das ist so, wie es ist und weder durch Appelle, wie im Falle der Türkei, noch durch Verfahren der EU, wie im Falle Polens, von außen aufzuhalten, wobei der Verstaatlichungshysterie in Polen immerhin noch eine große Tradition gewerkschaftlicher Koalition dagegen steht.

In der Diskussion um Anti-Krisen-Strategien in der Bundesrepublik sollten diese Erscheinungen dazu dienen, sich nicht dazu verleiten zu lassen, sich derartigen Rezepten zu verschreiben. Die „intelligentere“ Version der Unterwanderung eines kritischen Journalismus hat durch die Dequalifizierung des Berufsstandes bereits Ergebnisse gezeitigt, die staatlichen Interventionismus unnötig macht. Die Krise polizeilichen Handelns sollte mit einer Stärkung ihrer jetzigen Funktion und nicht durch eine Kampagne der Gesetzesverschärfung vonstatten gehen, die dann eine Gleichschaltung der Polizei nach sich zöge. Die Lage hierzulande ist anders als in der Türkei, in Ungarn oder in Polen, aber die Gefahr der Anwendung des beschriebenen Musters ist dennoch virulent.

Relativierung und demokratisches Bewusstsein

Als heute Morgen in den Nachrichten die Meldung über ein Ranking der sichersten internationalen Fluggesellschaften zu vernehmen war, dauerte es nicht lange, bis sich Hörer meldeten, um das Erscheinen der Hongkonger Cathay Pacific auf Platz Eins und die Lufthansa auf Platz Zwölf ins rechte Licht zu rücken. Nein, so könne man das nicht sehen, es sei doch klar, dass Linien mit einem wesentlich geringeren Flugaufkommen besser abschneiden würden. Kürzlich, als der Skandal um VW in den USA ausgelöst wurde, gehörte es sogar zum Common Sense in Deutschland, dass man doch wisse, dass die in den Prospekten angegebenen Werte nie stimmten. Als immer mehr Flüchtlingsheime in Flammen aufgingen und Flüchtlinge attackiert wurden und in diesem Zusammenhang Kritik an Polizei und Justiz aufkeimten, kamen viele Hinweise, dass es sich um kaum relevante Ereignisse handelte. Als die Berichte über die Turbulenzen der Silvesternacht bekannt wurden, wurden die sexuellen Übergriffe in Köln mit denen auf dem Oktoberfest verglichen und somit relativiert. Kaum ein Ereignis von politischem Gewicht unterliegt nicht dieser Methodik, immer angewandt von der einen oder anderen Interessengruppe.

Selten führt die Übung der Relativierung zu einer qualitativen Weiterentwicklung des politischen Diskurses. Ganz im Gegenteil, Relativierungen befeuern die weitere Konfrontation, weil sie immer eine Seite, nämlich die geschädigte, willentlich verletzen und die andere Seite im demokratischen Gefüge zu Unrecht überhöhen. Wer eine Asylbewerberunterkunft aus politischen Motiven anzündet und damit Menschenleben aufs Spiel setzt, begeht eine Straftat. Es ist Aufgabe des Staates, der das Gewaltmonopol innehat, dafür zu sorgen, die Delinquenten einer solchen Tat dingfest zu machen und zur Verantwortung zu ziehen. Niemand sonst, keine vermeintlichen Menschenretter und keine sakrale Zivilgesellschaft. Sondern Polizei und Justiz.

Und ebenso verhält es sich bei Raub und sexuellen Übergriffen. Auch dort haben die Opfer das Recht auf Schutz durch die staatlichen Organe, die dafür vorgesehen sind. Weder Bürgerwehren noch Rockerbanden sind Treuhänder von Bürgerrechten. Wer mit einem solchen Unsinn sympathisiert, hat allenfalls ein psychopathologisch zu beschreibendes Verhältnis zur Staatsform.

Schlimmer jedoch als die vermeintlichen Rache- oder Schutzengel sind die Relativierer. Diese Konstituante unmoralischen Verhaltens hat in einer Nation, die historisch in ihrer jüngeren Geschichte immer wieder eine gewisse Affinität zu totalitären Weltbildern gezeigt hat, gefestigte Tradition. Die Untaten anderer Mächte der Finsternis sollten immer wieder dazu herhalten, die eigene staatsmännische Malaise zu kaschieren. Wenn die Engländer die Chinesen mit Opium vollpumpem, so die Logik, warum können wir dann nicht einmal den Hottentotten zeigen, wo der Hammer hängt? Ja, diese drastische Logik hat sich konserviert bis in unsere Tage, und jeden Tag können wir diese unappetitlichen Kostproben zu uns nehmen, denn die Medien sind voll davon.

Ein Staat, der Unterdrückung organisiert und Freiheit garantiert, hat dann eine zivilisatorische Reife erlangt, wenn er in der Lage ist, den verbrieften Konsens einer Gesellschaft gegen Angriffe von innen wie außen zu wahren. Wenn er sich für ein Partikularinteresse instrumentalisieren lässt und auf der einen Seite seine Stärke zeigt und auf der anderen Schwäche als Tugend zu verkaufen sucht, dann ist eine systemische Krise zu verzeichnen, die hoch dramatisch ist.

Es ist in hohem Maße interessant zu sehen, wer in dem derzeitigen virulenten Kontext in welcher Art argumentiert. Im Grunde ist es ein Lackmustest über die Despotiefähigkeit bestimmter politischer Gruppen. Vice versa versteht sich. Wer jetzt relativiert, hat sich enttarnt!

Die Polizei, die Zeitung und die Lehrer

Es gleicht einer Wahnvorstellung, zu glauben, dass sich bestimmte Werte in turbulenten Zeiten halten lassen. Denn wenn die Veränderungen mit Rasanz eintreten, dann herrschen Zustände, die nicht immer so von vorne herein berechenbar waren. Selbst der von vielen politischen Systemen immer so gerne zitierte Clausewitz maß dem nicht Berechenbaren eine große Bedeutung zu. In seinen Schriften sprach er von Friktionen, die den Verlauf einer Schlacht oder gleich den Lauf der Geschichte bestimmen könnten. Das konnten kleine Verspätungen bei der Logistik sein oder ein Wetterumschwung, eine über Nacht grassierende Grippe oder der Tod eines Einzelnen, der vielen etwas bedeutet hatte.

Bevor Staaten und Gesellschaften auf politische Ereignisse reagieren, denn das tun sie zumeist, wenn sie nicht total von sich überzeugt sind und glauben, die Welt bekehren zu müssen, dann müssen sie wissen, was die multiplen Interaktionspartner auf der Welt gerade treiben. Es versteht sich von selbst, dass die Information im Kommunikationszeitalter eines der zentralen Kraftzentren darstellt. Umso folgerichtiger ist es, dass die Vertreter der verschiedenen Interessen darum ringen, Einfluß auf das Konstrukt der Information wie deren Distribution zu bekommen. Das geht zum einen durch Kapitalbeteiligung bei Medienkonzernen selbst oder durch die Annektion bestehender staatlicher Monopole. Bestimmten Gruppen ist das bei den öffentlich rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten gelungen. Sie haben in nur einer Dekade alles abgestreift, wofür sie ihr unangefochtenes Monopol einmal erhalten hatten und sind zu Anstalten geworden, die Feindbilder schaffen, einseitig Partei ergreifen und jede Form einer ethischen Attitüde durch die Anwendung doppelter Standards desavouieren.

In der alten Revolutionstheorie Lateinamerikas kursierte immer der Satz, dass drei Gruppen notwendig seien, um einen positiven Regimewechsel – es geht um einen Zeitraum, in dem der Kontinent überzogen war von pro-amerikanischen Diktaturen – vollziehen zu können: Die Zeitung, die Polizei und die Lehrer. Auch wenn das aus heutiger Sicht sehr vereinfachend klingt, es besticht durch seine Plausibilität. Wer die Ordnungsmacht für sich gewonnen, in der Lage ist, die Informationen selbst zu produzieren und zu verteilen und wer der Jugend Inhalte vermittelt, die diese teilen, der hat die Grundfesten der Gesellschaft erobert. Natürlich gehören zur endgültigen Übernahme der Macht noch Infrastruktur, Energie und andere Ressourcen, aber das Theorem bezog sich auch auf die Vorbereitung eines Regimewechsels.

Eine Anwendung des Theorems auf die Entwicklung der Bundesrepublik ist aufschlussreich. Die Medien, d.h. sowohl die öffentlich-rechtlichen Anstalten als auch die großen Tageszeitungen und ihre Online-Versionen sind längst in der Hand derer, die einen Regimewechsel anstreben. Aus den Reihen der Polizei ist vor allem die Stimme des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft zu hören, in dessen Kopf der Regimewechsel bereits stattgefunden hat und die Untätigkeit der Polizei bei den täglichen Brandattacken auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte lässt darauf schließen, dass dieser an der Basis gerade vollzogen wird. Lediglich die Schulen fehlen noch. Sie leuchten nicht durch Exzellenz, aber sie stinken auch noch nicht nach Ideologie. Vieles spricht dafür, dass der nächste zentrale Angriff einer ist, der die Schulen trifft.

Es ist also durchaus eine Systematik zur Vorbereitung eines Regimewechsels zu erkennen. Und natürlich wird es wieder einige geben, die das alles ins Reich der Spekulation verweisen. Nur sprechen die Fakten dagegen und es wird Zeit, sich nicht darüber auseinanderzusetzen, was nun zu glauben ist und was nicht, sondern sich darüber Gedanken zu machen, wie die bereits verlorenen Bastionen zurück erobert werden können.