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Die im Dunkeln sieht man nicht?

Momentan ist das alle Themen Dominierende das nach der Repräsentanz. Werden die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ausreichend gewürdigt? Finden sie Zugang zu den entsprechenden Stellen und Ämtern? Ist es immer ein Fall von Diskriminierung, wenn in vielen Funktionen immer noch die so stigmatisierten alten weißen Männer zu finden sind? Die Fragen sind legitim und überfällig, wenn sie nicht davon abgekoppelt werden, ob die dazu erforderliche Fähigkeit auch vorhanden ist. Das, so muss beobachtet werden, spielt in vielen Fällen keine Rolle mehr, was zu einer Verzerrung führen kann und dazu beiträgt, alte Ressentiments wieder aufleben zu lassen. Aber, die Verhältnisse sind so, wie sie sind und es ist müßig, die darüber herrschende Aufregung weiter zu befeuern, ohne Fragen zu stellen, die das Problem so beschreiben, dass Wege gefunden werden können, um das herrschende Narrativ als das zu überführen, was es ist: die Geschichte einer versuchten Privilegierung einer bestimmten, kleinen, aber einflussreichen Schicht der Gesellschaft.

Greifen wir die Frage doch einfach auf und weiten das Spektrum von Ethnie, Religion und sexueller Orientierung aus auf eine Gruppe, die selbst im Schatten steht, ihrerseits allerdings zahlenmäßig alles in den Schatten stellt, was sich bislang im Fokus der Diskussion befindet. Es handelt sich um die Niedriglohn-Jobber, die Arbeitslosen, die Empfänger sozialer Transferleistungen. Ihre Zahl ist groß, sie sind in vielerlei Hinsicht das Opfer dessen, was gerne so euphemistisch als die offene Gesellschaft gepriesen wird. Selbst bei schwerer Arbeit und erbrachter Leistung reicht das, was sie verdienen, nicht zum Überleben und schon gar nicht für das, was als kulturelle Teilhabe bezeichnet wird.

Über diese tatsächlich große Gruppe der Gesellschaft wird immer wieder geredet. Die Art, wie das geschieht, resultiert nicht selten aus einem Gestus der Verachtung und man braucht auch in Deutschland nicht immer Hilary Clintons Ausdruck der Deplorables, der Bedauernswerten, zu zitieren, um die ganze Verachtung herauszuhören, die von einer bestimmten Warte geäußert wird. 

Sie sind die Rückständigen, die die Komplexität der globalisierten Welt nicht verstehen und sie neigen dazu, sich für rechte Optionen zu entscheiden. Dass sie Opfer genau jener Politik sind, die die Handschrift des Wirtschaftsliberalismus trägt und die den Sozialstaat immer weiter demontiert, wird gerne vergessen. Und plötzlich stellt sich heraus, dass genau diejenigen, die in einem sozial etablierten Kosmopolitismus schwelgen, durchaus für das Debakel Verantwortung tragen und nicht jene, die von der Verbitterung profitieren. Eigentlich ist es nicht so schwer, das zu verstehen, doch gegen diese Erkenntnis ist der innere Kreis des alternativen Hypes bestens imprägniert.

Sozial ist die gesellschaftliche Segregation bereits vollzogen, aber im Gegensatz zu Ethnie, Religion und sexueller Orientierung interessiert das die Repräsentanten in Politik und Medien nur rudimentär. Folglich ist es es mehr als überfällig, dass auch sie, die Underdogs, Zugang zu Mandat und Funktion zu erhalten. Das wird nicht freiwillig geschehen, denn die Privilegien und Vorteile, die das momentan herrschende, ideologisch festgelegte Milieu genießt, würden durch den Zugang anderen sozialen Schichten aus der Bevölkerung nicht mehr so sicher sein, wie es die herrschenden Verhältnisse versprechen. Es wird Zeit, dass Menschen aus dem Handwerk, der Industrie, kleine Unternehmer und eben auch die Underdogs, die als die tatsächlichen Verlierer der Globalisierung zu sehen sind, in die Parlamente kommen, dass sie in Organisationen des öffentlichen Lebens an maßgeblicher Stelle präsent sind und dass sie in der Lage sind, dort ihre Anliegen zu formulieren. 

Es wird hoch interessant sein, wie die selbst exponierten Anti-Diskriminierer auf derartige Anliegen reagieren werden. Da stünde eine Enthüllung bevor, die das Narrativ von der schönen neuen Welt in die Belanglosigkeit befördert. 

Die schöne neue Welt und das Sektierertum

Kann etwas, das als Bewegung gegen Unrecht entstanden ist, ins Gegenteil umschlagen? Können Maßnahmen und Aktionen, die sich gegen Diskriminierung richten, selbst zu dem alten Übel zurückkehren? Die Antwort ist schlicht wie beklemmend. Ja, das kann so sein und es ist, historisch betrachtet, gar nicht so selten. Bevor ein solches Phänomen sich ins Bewusstsein hocharbeitet, vergeht Zeit. Und diejenigen, die früh darauf hinweisen, stehen schnell am Pranger. Das Argument, das ihnen entgegen stürmt, bezieht sich jedoch auf die Ausgangslage. Es besteht aus dem Vorwurf, den alten Missstand zu vertreten.

Dass wir in Zeiten leben, in denen der beschriebene Umstand bereits zu voller Blüte gereift ist, dürfte all jenen, die sich ein wenig mit den Schwingungen der Kommunikation beschäftigen, längst aufgefallen sein. Alles, was aus den Anti-Diskriminierungskampagnen entstanden ist, hat einen Zustand erreicht, der seinerseits hinter den Ausgangspunkt zurückgegangen ist. Aus der Abwehr gegen Diskriminierung ist eine neue Art der Diskriminierung entstanden, die fröhliche Urstände feiert. Beispiele dafür gibt es genug, ob es um das fleißige Gendern bei positiven Erscheinungen geht, oder ob umgekehrt der alte Sprachgebrauch beibehalten wird, wie bei Terroristen, Gewalttätern, Kinderschändern, Kriminellen oder auch, man mag es kaum glauben, bei Mutanten, das alles bleibt selbstverständlich maskulin, oder ob es die alten weißen Männer sind, unabhängig von ihrer Lebensbilanz, das, was heute so unsinnig als Bashen bezeichnet wird, ist erlaubt. 

Daraus ist ein Gestus entstanden, der sich mit dem der alten Kolonialisten trefflich messen lassen kann. Bei der Betrachtung der Historie ist es noch abseitiger. Dass Mozart und Beethoven nicht mehr gehört werden sollen, weil sie ihrerseits Verklärer des Kolonialismus gewesen sein sollen wird immer weiter gesponnen, da ist man bereits an dem Punkt, dass Julius Cäsar aus den Geschichtsbüchern verschwinden soll, weil er den Müll nicht getrennt hat.

Das, was in der Geschichte immer wieder als der Abweg des Sektierertums bezeichnet wurde, hat sich in der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Staatsräson gemausert. Nichts ist unversucht, um den gesellschaftlichen Diskurs in diesen Sog einer totalitären, gleichwohl verkommenen Logik der Spaltung und Ausgrenzung und der daraus folgenden inquisitorischen Meinungsbildung zu ziehen. Sieht man genau hin, dann wird deutlich, dass das, was Arthur Koestler in seinem Roman „Sonnenfinsternis“ so bedrückend thematisiert hat, den öffentlichen Diskurs beherrscht: die Befolgung einer totalitären Logik bis zum bitteren Ende der Selbstverleugnung. 

Die Blindheit derer, die diesen Diskurs beherrschen, und das ist die gute Nachricht, führt dazu, dass sie im Rausch der ideologischen Unangefochtenheit den Blick für die Realität immer mehr verlieren. irgendwann, und dieser Zeitpunkt ist bereits erreicht, glauben sie tatsächlich, dass das verhängnisvolle Produkt ihrer eigenen Verblendung dem entspricht, wie das Gros der Gesellschaft, auch das von ihnen malträtierte, tatsächlich empfindet. Die Folge lässt sich historisch eindeutig dokumentieren. Es führt zum Zusammenbruch, zur nachhaltigen Diskreditierung aller gut gemeinten Anliegen und zu einer radikalen mentalen Umkehr. 

Die Bilder von der schönen neuen Welt, aus der das Unrecht verbannt ist, zerfließen zu einem höllischen Inferno, weil die Zorndepots der Beleidigten, Ausgegrenzten und ins Unrecht Gesetzten randvoll sind und in der Gegenreaktion kein Platz mehr ist für Vernunft und Maß. Aber, auch das lehrt die Geschichte, die die Inquisitoren unserer Tage aus gutem Grunde meiden wie der Teufel das Weihwasser, Sektierertum führt immer zu einem unheilvollen Ende, auch wenn viele glauben, ganz so schlimm werde es schon nicht werden.

Von der Utopie zur Dystopie?

Beim Stöbern durch die literarischen Entwürfe dieser Tage fällt auf, dass sich die Konzepte der Dystopien dramatisch vermehren, während die Utopien nahezu vom Markt der Ideen verschwunden sind. Bis zur Jahrtausendwende war der Begriff der Dystopie, der eine dunkle Prognose auf die Zukunft beschreibt, um nicht den unscharfen Ausdruck der negativen Utopie benutzen zu müssen, nur einem kleinen Kreis von Spezialisten bekannt. Mit dem Genre selbst wächst auch seine Bekanntheit, was an sich bereits ein Indiz ist für eine Trendwende ist.

Historisch betrachtet entstehen neue Epochen jedoch mit utopischen Entwürfen. Die Menschen in Zeiten des Aufbruchs freuen sich, Zeugen einer neuen Zeit zu sein und sie betrachten die Errungenschaften, die sich in Technik und allgemeiner Lebenswelt zeigen, als eine Chance, sich und ihre Träume zu verwirklichen. Neue Epochen sind immer auch die hohe Zeit der Utopie, was nicht besser zum Ausdruck gebracht werden könnte wie der intelligente Slogan von Toyota: Nichts ist unmöglich.

Haben sich die Verhältnisse erst einmal etabliert und stellt sich heraus, dass in Gesellschaften – wie immer – manche einflussreiche Gruppen bei den rosigen Plänen nicht mitspielen, tauchen auch die ersten Dystopien auf. Plötzlich werden aus den Möglichkeiten Gefahren und die fiktionalen Entwürfe werden dramatisch. Sie ranken sich um die instrumentellen Möglichkeiten der kleinen Herrschergruppen oder die Restauration der Idee der Epoche an sich. Um das zu llustrieren, fallen Orwells „1984“ wie „Die Farm der Tiere“ ein, oder Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ und H.G. Wells „Zeitmaschine“. In der Zeit der zunehmenden Dystopien fällt übrigens auf, dass diejenigen, die sich mit dem Thema befassen, unsere aktuellen Zustände als schlimmer bezeichnen wie in den genannten Werken beschrieben.

Nun, wo die Möglichkeiten der Kommunikation und der damit verbundenen Leichtigkeit, mit der Zeit und Raum verfügbar geworden zu sein scheinen, wo es möglich ist, ohne Geld zu wechseln und lange an Grenzen zu verweilen die Welt zu bereisen, wo die Sprachen aufgrund der Omnipräsenz des Englischen kaum noch zum dauerhaften Schweigen verurteilen, gerade jetzt bricht die Zeit der dauerhaften, täglich reproduzierten Dystopien an. Wie das?

Zwar existieren jene Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben, die geboren sind aus dem inneren Kreise derer, die immer auch verantwortlich sind für den Umschlag von der Utopie zur Dystopie. Aber reicht das aus, um die positiven Potenziale dieser Zeit komplett auszublenden und sich in Untergangsszenarien zu baden? Was ist passiert mit dem Menschen der Moderne, der sich noch vor knapp drei Jahrzehnten als an der Schwelle zur historischen Unendlichkeit definierte? Wie konnte es kommen, dass er, man verzeihe den Kollektivsingular, dass dieser Mensch zu einem fürchtenden und damit furchtbaren Wesen mutiert ist?

Wenn Ängste das Dasein dominieren, kann keine Utopie entstehen. Ob Ängste, wie in einer anderen Epoche von einem konservativen Anthropologen namens Arnold Gehlen formuliert, dem Wesen des Menschen deshalb entsprechen, weil er schutzlos in diese Welt geschleudert wird und durch eine schrecklich lange Sozialisation erst lebensfähig wird, sei dahingestellt. Sicher spielt das eine Rolle, die Dichte der täglich produzierten Dystopien erklärt es nicht.

Eine andere Erklärung könnte das sein, was zu glauben viele noch nicht bereit sind. Es könnte das Ergebnis eines langen, schleichenden Entmündigungsprozesses sein, der die Angst vor Neuem nahezu systematisch hervorbringt. Da hilft kein gutes Zureden, da hilft nur der eigene Versuch, um aus der düsteren Spekulation wieder herauszukommen. Einfach mal machen! Und einfach mal lachen! So fing das mit der Aufklärung auch an.