Das Ausmaß der Ressourcen, über die ein Mensch verfügen muss, sobald der Fortbestand seiner Existenz gesichert ist, wird im eigenen Kopf bestimmt. Es ist eine einfache Wahrheit, die immer wieder überblendet wird von Mythen, die sein Umfeld produziert. Es existieren keine objektiven, von geostrategischen Überlegungen determinierten Zwänge, die ihn veranlassen sollten, anzunehmen, er müsse sich dazu bewegen, die Ressourcenverfügbarkeit zu vergrößern. Die Legende besagt etwas anderes. Sie suggeriert, der Zugriff auf ein Maximum an Ressourcen korreliere mit dem Glück.
Glück ist eine subjektive Größe. Sie speist sich aus der Souveränität des Individuums. Wenn das Individuum seine eigene Existenz gesichert hat, ist es frei, Entscheidungen über die eigene Zweckbestimmung zu räsonieren. Geht es um Macht und Einfluß, oder geht es um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, geht es um Autonomie oder Abhängigkeit von Faktoren, auf die es selbst keinen Zugriff mehr hat? Diese Frage stellen sich die wenigsten, weil wir in einem Zeitalter der Fremdbestimmung leben. Alles wird von ihr überschattet und es geht nicht um das Sein, sondern den Schein. Eine der wesentlichen Determinanten der Souveränität ist die Selbstachtung. Wenn sie gespeist wird aus der Gewissheit, nach eigener Bestimmung zu existieren, dann ist das Phänomen, das mit dem Zustand des Glücks bezeichnet wird, in greifbarer Nähe.
Nährt sich die Selbstachtung aus Faktoren, die gar nicht vom wahren Sein des Individuums genährt wird, so ist das keine Selbstachtung, sondern gesellschaftliche Reputation, die auf dem Schein beruht. So einfach das klingt, so schwer ist die Autonomie zu erringen. Sie erfordert Klarheit und Konsequenz, Disziplin und Vision zugleich. Daran zu arbeiten, das ist eine Aufgabe, die das Leben in Gänze stellt, das ist keine Episode, die sich aus einer Laune herstellen lässt. Nur wer es schafft, den Atem zu halten, mit Rückschlägen zu leben und das Gen des Widerstands in sich verspürt, kann sich in dem überdimensionalen Warenhaus, in dem wir unser schnelllebiges Dasein fristen, auf den Weg zu einer Souveränität aufmachen, die tatsächlich den Namen verdient. Und keine Anstrengung, die diesem Ziel dient, ist vergeblich. Denn wer sich der Wahrheit in Bezug auf sich selbst verschreibt, hat auch das Recht auf seiner Seite. Es ist das Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Glück.
Leo Tolstoi hatte alles erreicht, als er sich zurückzog auf sein Gut Jasnaja Poljana, dort in eine einfache Hütte einquartierte und damit begann, Geschichten zu schreiben, die die Erkenntnisse seines großen Schaffens verarbeiteten und die lesbar sein sollten für all jene, die gerade damit begonnen hatten, die zivilisatorische Technik des Lesens zu erwerben. Eine seiner großen Geschichten aus dieser Sammlung trägt den Titel „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Sie handelt von dem Bauern Pachom, der aus einer bescheidenen, aber sicheren Existenz in den Teufelskreis auf der Suche nach Reichtum gerät. Immer wieder zieht er weiter Richtung Osten, wo der Boden billiger, aber fruchtbarer ist. Und zunächst erfüllen sich alle Prognosen. Mit jeder Aktion, die ihn weiter in den Osten treibt, wachsen Reichtum und Einfluss. Bis er schließlich dorthin gelangt, wo ihn seine Gier in einen Anspruch treibt, den er mit dem Leben bezahlt. Und mit dem letzten Satz wird auch die Frage der Geschichte beantwortet: „Da hob der Knecht die Schippe auf und grub für Pachom ein Grab; es war drei Arschin lang, gerade so groß, wie Pachom vom Kopf bis zu den Füßen war.“
Tolstoi schrieb die Geschichte 1886, da war Karl Benz gerade mit dem ersten Automobil gefahren und Sigmund Freud hatte seine Praxis in Wien eröffnet.
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