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Sonnenfinsternis: Der Herr wird ihnen nicht vergeben!

Wer momentan die Meinung vertritt, die Gesellschaft sei nicht gespalten, folgt anscheinend zu sehr der offiziellen Berichterstattung. Zugrunde liegt dieser Annahme das Kalkül, dass der Widerstand gegen die Politik sich auf die dem Rechtsextremismus zugeschriebene Mobilmachung beschränke. Das ist falsch. Was sich als probates Mittel der Ausblendung als nützlich erwiesen hat, muss nicht unbedingt die Realität widerspiegeln. Das bis zur Übersättigung wiederholte Argument, wer sich gegen die immer weniger nachvollziehbare Corona-Politik wende, müsse notwendigerweise Sympathisant der AFD sein, kann zwar Menschen davon abhalten, sich an bestimmten Aktionen zu beteiligen. Die exklusive Diskreditierung von Kritik führt jedoch zum Gegenteil. Immer mehr Menschen, die in den letzten zwei Jahren existenziell gelitten haben und die mit dem Regierungskurs der tendenziell immer mehr auf einen autoritären Staat zusteuernden Maßnahmen und eine einem Hasard gleichende außenpolitische Orientierung nicht einverstanden sind, fühlen sich mißachtet und verleumdet. Daran ändern auch angesichts der Beibehaltung dieser Politik halbherzige Verlautbarungen nichts. Immer mehr Menschen haben das untrügliche Gefühl, nicht mehr gehört zu werden.

Das wohl Abgeschmackteste und leider allabendlich in den öffentlich-rechtlichen Medien in unendlichen Variationen wiederholte Narrativ, eine Kritik an dem kontinuierlichen Abbau von Grundrechten sei das Werk von Verfassungsfeinden, führt zu einer emotionalen Aufladung zweier sich immer mehr konturierender Lager. Diejenigen, die aus Angst und was auch immer Getriebenen, die jeder Anweisung folgen, haben sich mehrheitlich darauf geeinigt, die Anderen als die Ursache allen Übels auszudeuten. Und diejenigen, die es mit dem Begriff der Unveräußerlichkeit von Rechten ernst meinen, die übrigens in allen Parteien und Schichten vertreten sind, sind der ständigen Verdächtigung und Verleumdung überdrüssig und ballen zumindest die Faust in der Tasche.

Wenn die Bewältigung einer Krise dazu führt, dass es nur noch hier die Guten und dort die Schlechten gibt, dann ist etwas grandios schief gelaufen. Es erscheint einigen, die zum Beispiel für die jahrelange Demontage des Gesundheitssystems verantwortlich zeichnen und die sich jetzt als Retter aufspielen, von großem Nutzen zu sein, die Wut und den Argwohn auf andere zu lenken. Und es gehört schon eine große Chuzpe dazu, Kritiker an der immer wieder verlängerten Aussetzung verfassungsmäßig garantierter, unveräußerlicher Rechte als Verfassungsfeinde zu bezeichnen. Dass sich an der Kritik von Regierungspolitik auch Parteien beteiligen, die eine andere Agenda verfolgen, soll, nach dieser Logik, dazu führen, selbst den Mund zu halten.

Es ist immer wieder hilfreich, sich anzusehen, wozu eine derartige Argumentation führt. In diesem Zusammenhang sei der tief unter die Haut gehende Roman von Arthur Koestler „Sonnenfinsternis“ verwiesen. Dort geht es um die Liquidierung kritischer Geister in den Moskauer Prozessen in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Zu ihnen gehörten auch renommierte Mitglieder der Kommunistischen Partei, die nach ihrer Inhaftierung mit der Argumentation konfrontiert wurden, dass die Kritik, die berechtigt und vernünftig war, auch von Feinden des Landes formuliert wurde. Es wird schmerzhaft geschildert, wie diese Logik zur Zerstörung von Persönlichkeiten geführt hat, die das Potenzial gehabt hätten, das Land vor Schlimmerem zu bewahren. Es handelt sich um ein Lehrstück darüber, wohin eine totalitäre Logik führen kann, wenn sie bis zum Exzess durchexerziert wird. 

Die Wortführer, die aktuell mit dieser Logik hausieren gehen, sind auf dem besten Weg, die Gesellschaft noch tiefer zu spalten, als dies bereits geschehen ist. Und der Herr wird ihnen nicht vergeben, ob sie wissen, was sie tun, oder auch nicht.    

Die schöne neue Welt und das Sektierertum

Kann etwas, das als Bewegung gegen Unrecht entstanden ist, ins Gegenteil umschlagen? Können Maßnahmen und Aktionen, die sich gegen Diskriminierung richten, selbst zu dem alten Übel zurückkehren? Die Antwort ist schlicht wie beklemmend. Ja, das kann so sein und es ist, historisch betrachtet, gar nicht so selten. Bevor ein solches Phänomen sich ins Bewusstsein hocharbeitet, vergeht Zeit. Und diejenigen, die früh darauf hinweisen, stehen schnell am Pranger. Das Argument, das ihnen entgegen stürmt, bezieht sich jedoch auf die Ausgangslage. Es besteht aus dem Vorwurf, den alten Missstand zu vertreten.

Dass wir in Zeiten leben, in denen der beschriebene Umstand bereits zu voller Blüte gereift ist, dürfte all jenen, die sich ein wenig mit den Schwingungen der Kommunikation beschäftigen, längst aufgefallen sein. Alles, was aus den Anti-Diskriminierungskampagnen entstanden ist, hat einen Zustand erreicht, der seinerseits hinter den Ausgangspunkt zurückgegangen ist. Aus der Abwehr gegen Diskriminierung ist eine neue Art der Diskriminierung entstanden, die fröhliche Urstände feiert. Beispiele dafür gibt es genug, ob es um das fleißige Gendern bei positiven Erscheinungen geht, oder ob umgekehrt der alte Sprachgebrauch beibehalten wird, wie bei Terroristen, Gewalttätern, Kinderschändern, Kriminellen oder auch, man mag es kaum glauben, bei Mutanten, das alles bleibt selbstverständlich maskulin, oder ob es die alten weißen Männer sind, unabhängig von ihrer Lebensbilanz, das, was heute so unsinnig als Bashen bezeichnet wird, ist erlaubt. 

Daraus ist ein Gestus entstanden, der sich mit dem der alten Kolonialisten trefflich messen lassen kann. Bei der Betrachtung der Historie ist es noch abseitiger. Dass Mozart und Beethoven nicht mehr gehört werden sollen, weil sie ihrerseits Verklärer des Kolonialismus gewesen sein sollen wird immer weiter gesponnen, da ist man bereits an dem Punkt, dass Julius Cäsar aus den Geschichtsbüchern verschwinden soll, weil er den Müll nicht getrennt hat.

Das, was in der Geschichte immer wieder als der Abweg des Sektierertums bezeichnet wurde, hat sich in der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft zur Staatsräson gemausert. Nichts ist unversucht, um den gesellschaftlichen Diskurs in diesen Sog einer totalitären, gleichwohl verkommenen Logik der Spaltung und Ausgrenzung und der daraus folgenden inquisitorischen Meinungsbildung zu ziehen. Sieht man genau hin, dann wird deutlich, dass das, was Arthur Koestler in seinem Roman „Sonnenfinsternis“ so bedrückend thematisiert hat, den öffentlichen Diskurs beherrscht: die Befolgung einer totalitären Logik bis zum bitteren Ende der Selbstverleugnung. 

Die Blindheit derer, die diesen Diskurs beherrschen, und das ist die gute Nachricht, führt dazu, dass sie im Rausch der ideologischen Unangefochtenheit den Blick für die Realität immer mehr verlieren. irgendwann, und dieser Zeitpunkt ist bereits erreicht, glauben sie tatsächlich, dass das verhängnisvolle Produkt ihrer eigenen Verblendung dem entspricht, wie das Gros der Gesellschaft, auch das von ihnen malträtierte, tatsächlich empfindet. Die Folge lässt sich historisch eindeutig dokumentieren. Es führt zum Zusammenbruch, zur nachhaltigen Diskreditierung aller gut gemeinten Anliegen und zu einer radikalen mentalen Umkehr. 

Die Bilder von der schönen neuen Welt, aus der das Unrecht verbannt ist, zerfließen zu einem höllischen Inferno, weil die Zorndepots der Beleidigten, Ausgegrenzten und ins Unrecht Gesetzten randvoll sind und in der Gegenreaktion kein Platz mehr ist für Vernunft und Maß. Aber, auch das lehrt die Geschichte, die die Inquisitoren unserer Tage aus gutem Grunde meiden wie der Teufel das Weihwasser, Sektierertum führt immer zu einem unheilvollen Ende, auch wenn viele glauben, ganz so schlimm werde es schon nicht werden.

Sonnenfinsternis

In seinem Roman Sonnenfinsternis setzte sich der im Exil lebende, ehemalige Kommunist Arthur Koestler mit seinen Erfahrungen als solcher im spanischen Bürgerkrieg auseinander und mit dem, was als die Moskauer Prozesse der 1930iger Jahre in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Der Roman Sonnenfinsternis, der 1940 erstmals im Exil erschien, war Koestlers Bruch mit dem Kommunismus. In dem Buch beschreibt er die erschütternde Geschichte der russischen Revolutionäre, die in den Moskauer Prozessen des Verrats an der Sowjetunion angeklagt waren und die in öffentlichen Sitzungen gestanden hatten, dass sie tatsächlich Verrat begangen hatten und im Sinne der gerechten Sache eine drastische Strafe verdient hätten. Die meisten von ihnen wurden hingerichtet, unter ihnen befanden sich auch Karls Radek und Nikolai Bucharin, beides Intellektuelle und Revolutionäre der ersten Stunde, letzterer wenige Jahre zuvor noch als „Liebling der Partei“ verehrt.

Sonnenfinsternis ist kein reißerisches Buch, sondern eine sehr subtile Studie dessen, was in Kopf und Psyche dessen vonstatten geht, der in der Gefängniszelle auf die nächsten Verhöre und den Prozess wartet. Das, was Koestler vor allem gelingt, ist die Beschreibung des allmählichen Prozesses der Entrückung aus dem faktischen Rahmen, in dem sich das Individuum befindet. Durch das Appellieren der Ankläger an den Glaubensgrundsatz des Angeklagten, für eine Utopie, eine Vision oder ein besseres Leben eingetreten zu sein und die damit verbundene Demut gegenüber dem großen Ziel, wird das Individuum dazu verleitet, die Demütigung auszublenden und in ihrem letzten Stadium sogar das Selbst zu verleugnen und schließlich zu verachten. Bis zur Forderung der eigenen Auslöschung als unwürdiger Existenz war es dann kein unlogischer Schritt mehr. Die reale Wirkung dessen, was Koestler fiktiv in seinem Roman beschrieben hatte, wurde in der absurden Berichterstattung über die Moskauer Prozesse durch zahlreiche renommierte internationale Beobachter unterstrichen, die nicht begriffen, was dort passierte.

Wer glaubte, dass die Pervertierung dessen, was ein freier Wille sein könnte und dem Akt einer öffentlichen Selbstverleugnung im 21. Jahrhundert im Kontext internationaler Bündnisse, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, nicht mehr möglich ist, wurde in dieser Woche eines Besseren belehrt. Genau das, was Arthur Koestler mit der Metapher der Sonnenfinsternis so erschütternd treffend beschrieben hatte, spielte sich ab bei dem Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Davutoglu, der sich an die Vereinbarungen mit der EU soweit sie bestanden halten wollte, wurde von Erdogan zum Gehen gezwungen. In einem beispiellosen Akt der Selbstverleugnung dokumentierte Davotoglu den Prozess, der zur Sonnenfinsternis führt: Demut gegenüber dem Ziel, Akzeptanz der Demütigung, Selbstverleugnung und, als letztes Stadium, die Forderung nach Strafe.

Die Türkei des Jahre 2016 ist nicht mit der Sowjetunion der 1930iger Jahre zu vergleichen. Zwischen beiden Systemen liegen nicht nur achtzig Jahre, sondern auch Welten in der Staatsform. Die Bevölkerung der Türkei ist nicht so eingeschüchtert, als dass sie nicht mehr in der Lage wäre, sich eine eigene Meinung zu bilden. Was allerdings bedrückt und erschüttert, ist der öffentliche Akt der Entmenschlichung auf offizieller Bühne, der in dem System Erdogan möglich ist und der den Rückschluss dringend macht, mit dieser Variante der sich immer stärker etablierenden Tyrannei nicht mehr gemeinsame Sache machen zu wollen. Bitte, keine moralische Empörung mehr über Regimes, gegen die mit der NATO mobilisiert werden soll, wenn derartige Auswüchse der Menschenverachtung das offizielle Protokoll eines Bündnispartners bestimmen.