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Die Wiederkehr der Konsorten

Der Begriff an sich wurde von einer Körperschaft abgeleitet, die nichts unverfängliches beinhaltete. Aus dem Lateinischen entsprungen, wurde sie als eine Zusammenkunft unterschiedlicher Teile zu einem gemeinsamen Zweck beschrieben. Bis heute existieren Konsortien und niemand käme auf die Idee, sie per se als eine dubiose Unternehmung zu beschreiben. Im Zeitalter der Anglisierung wird der Begriff allerdings immer seltener gebraucht. Anders ist es mit den, streng genommen, einzelnen Gliedern. Niemand wäre so frei und unbekümmert, sich als Konsorte zu bezeichnen, auch wenn er Mitglied eines an sich unverfänglichen Konsortiums wäre. Denn Konsorten haben ein denkbar schlechtes Image. 

Im allgemeinen Sprachgebrauch sind Konsorten nämlich zwielichtige Gestalten, die sich zum zwecke unlauterer, moralisch verwerflicher Taten zusammenschließen. Warum es die eigenartige unterschiedliche Bewertung zwischen Körperschaft und den einzelnen Individuen dieser Körperschaften gibt, mag vielleicht an der synonymen Verwendung des Wortes im Französischen mit dem Begriff Syndikat liegen, aber das ist Spekulation. 

Was auffällt, ist, dass die Bezeichnung von Menschen als Konsorten, unabhängig davon, ob sie Mitglieder eines tatsächlichen Konsortiums sind, sondern als negative Beschreibung ihres Charakters und ihrer Taten, in den letzten Jahrzehnten eigentlich nahezu verschwunden ist. Es schien so, als sei es ein Begriff, den die ältere Generation noch kannte, für den die Jüngeren aber längst andere Vokabeln benutzten. 

Das Spannende an Sprache ist ihre Sensibilität, mit der sie auf Erscheinungen und Ereignisse reagiert und die damit verbundene Eigenschaft als Symptom gesellschaftlicher, kultureller und politischer Verhältnisse. Das mag auch der Grund sein, warum manche die Veränderung der Sprache willentlich und wissentlich mit der Brechstange betreiben wollen, um die Köpfe der Individuen zu erobern. Ein Phänomen übrigens, das zum Grundbesteck totalitärer Systeme zu zählen ist.

Die Sprache hat nun auf bestimmte Verhältnisse und Entwicklungen mit der Renaissance des Begriffs geantwortet. Es ist erstaunlich, dass und wie so etwas passiert. Aber die Empiriker sitzen überall und betreiben ihr akribisches Geschäft. Und tatsächlich: sie haben festgestellt, dass die Konsorten im Sprachgebrauch wieder vermehrt auftauchen. So, als erinnere sich das kollektive Gedächtnis an eine Bezeichnung, die in unserer totalitären Geschichte schon einmal als treffend empfunden wurde. Spätestens seit dem Einmarsch des Corona-Virus ist der Begriff wieder en vogue. 

Die Anwendung des Begriffs findet vor allem bei der Bezeichnung einzelner Politiker statt, für diejenigen, die mit Masken Geschäfte gemacht haben, für jene, die an Impfstoffen verdienen, für andere, die das Monopol bestimmter Impfstoffe schützen etc.. Aber auch für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in jeder Talk Show sitzen und sich von ihrem eigenen Fach entfernt und zu politischen Ratgebern gemausert haben. Trotz oder gerade wegen ihrer Omnipräsenz haben letztere nahezu den kompletten Ruf ihres Metiers verspielt, gerade weil sie sich haben instrumentalisieren lassen.

So, wie es aussieht, dokumentiert die Verwendung von Begriffen jenseits des offiziellen Ausgrenzungs- und Diskriminierungs-Sprech, das durch die Medien wabert, eine ungeheure Feinfühligkeit der Bevölkerung in Bezug auf das, was sich vollzieht. Ausgerechnet diejenigen, denen permanent von den in die Ämter drängenden Sozialmilieus die intellektuelle Fähigkeit abgesprochen wird, Politik noch zu begreifen, haben mal wieder ein Phänomen entdeckt, das mit allen Mitteln vertuscht werden soll: im gesellschaftlichen Überbau wimmelt es von Konsorten! Schaut dem Volk aufs Maul!

Linie 1

In meiner Stadt fährt die Straßenbahnlinie 1 vom Zentrum in den Norden. Sie durchläuft verschiedene, historische Arbeiterviertel, die sich sehr verändert haben. Nach dem Zentrum, gleich über den Fluss, passiert sie ein Viertel, das heute sowohl prekär als auch in hohem Maße juvenil und akademisch ist, dann kommt ein großes, traditionelles Arbeiterviertel und an der Endstation ist für viele sozial tatsächlich Endstation. Hier wohnen die Verlierer des Kampfes um das goldene Kalb, wer hier einmal gelandet ist, der kommt so schnell nirgendwo anders mehr hin. Die Stadt ist insgesamt sozial sehr durchmischt, was ihr gut tut. Auch im Süden existieren Arbeiterviertel, im Osten des Zentrums und einigen kleineren Stadtteilen residiert die Bourgeoisie.

Warum ich das erzähle? Weil die Linie 1 für mich ein Symbol für das Auseinanderdriften der Gesellschaft geworden ist. Nicht nur sozial, da gab es auch schon härtere Zeiten, aber auch und vor allem bildungsfähig, sprachlich und kommunikativ. Das Aufwachsen in unterschiedlichen Sozialmilieus war nämlich noch nie so trennscharf wie heute. Junge Menschen, die in den Residenzstraßen der Bourgeoisie groß werden, treffen nirgendwo mehr auf die, die an der Endstation der Linie 1 aufwachsen. Da wird mittlerweile schön separiert. Es existieren in den besseren Vierteln bereits Kindergärten, in denen die Eltern zu Auswahlgesprächen erscheinen müssen, da wird ihr Bildungshorizont genauso gecheckt wie ihr ethnischer Background und ihr Kontostand.

Die Kinder, die dort aufgenommen werden, lernen nicht nur sofort eine zweite, manchmal sogar eine dritte internationale Verkehrssprache, spielen Musikinstrumente und sind bereits zuhause in den Kategorien der Literatur. Manchmal korrespondiert diese hohe, frühe Bildung nicht einmal mehr mit den Grundlagen der zivilisatorischen Disziplinierung der Grundbedürfnisse, aber so ist das nun einmal. Diese Kinder werden mit der Luxuslimousine gebracht und mit dem SUV abgeholt und wenn es über die institutionell vermittelte Kommunikation noch eine weitere gibt, dann nur mit sozial analogen Exemplaren. Um es deutlich zu sagen: Noch nie wuchsen Kinder in derartig artifiziellen Labors auf und noch nie konnten sie sich in einer Stadt wie meiner dem Erfordernis entziehen, sich auch mit Vertretern anderer sozialen Gruppen und Klassen auseinandersetzen zu müssen.

Die Kinder, die an der Endstation der Linie 1 aufwachsen, entstammen zumeist Verhältnissen, die von einer feigen Gesellschaft, die das Elend nicht mehr beim Namen nennt, als prekär bezeichnet werden. Um es deutlich zu sagen: es handelt sich um arme Leute, die zumeist von Gelegenheitsjobs und staatlichen Zuwendungen leben. Oft leben sie bei Alleinerziehenden, für die der Spagat zwischen Kindeserziehung und Broterwerb nicht einfach ist. Und sie verbringen viel Zeit auf der Straße. Dort lernen sie vieles, was nützlich ist, aber auch manches, was ihnen das Leben noch schwerer machen kann. Ihre Sprache ist vom Dialekt gefärbt und vom Jargon durchdrungen.

Die beiden beschriebenen Lebenswelten und ihre gesellschaftliche Inszenierung haben zur Folge, dass die Kinder und Jugendlichen aus beiden Milieus wohl nicht mehr miteinander kommunizieren können. Bei der Schilderung dieser dramatischen Verhältnisse, die zu einer grundlegenden, nicht zu überbrückenden Verwerfung in der Zukunft führen wird, ernte ich immer wieder ungläubige Blicke. Letztendlich ist es eine Frage, die vielen Optimisten die Sicherheit nimmt. Es ist die, ob sie glauben, dass die Kinder aus den edlen Welten, wenn sie im Zentrum die Linie 1 bestiegen, jemals unbeschadet an der Endstation ankämen. Das bringt dann doch viele zum Nachdenken.

Die Vergewaltigung der Sprache

Wer weiß, vielleicht befinden wir uns längst in einem Zeitalter, in dem zumindest im Westen der Individualismus noch wie ein Banner hochgehalten wird, aber es sich schon längst abgezeichnet hat, dass es sich um eine Illusion gehandelt hat, die zwar in der bürgerlichen Epoche eine Berechtigung hatte, aber in der technokratisch bestimmten Massengesellschaft zu Staub zerbröselt ist. Denn, genau betrachtet, wo ist denn Individualismus, der den Namen verdient, wenn nicht ein Privileg einiger Weniger, die es sich leisten können, in einer durch Vorschriften und Regelungen durch deklinierten Welt? Wer kann es sich noch leisten, sich einem durch die Gewalt der Meinungsmaschinen im Kommunikationszeitalter fabrizierten Mainstream zu widersetzen, ohne sozial ausgegrenzt und an den sprichwörtlichen Pranger gestellt zu werden?

Es ist nicht nur die Zivilcourage, die vonnöten ist, um sich einem durch keinen politischen Akt vollzogenen, aber trübe wirkenden Kollektivismus zu widersetzen. Mut findet sich immer und überall, auch wenn die Angst zu einem festen Bestandteil der kollektiven Befindlichkeiten mutiert ist. Doch die Courage wirkt oft sehr verzweifelt, weil das Wesen ihres Aufbegehrens von vielen gar nicht mehr verstanden wird. Darin liegt vielleicht der Fluch der Gegenwart. Die allgemeine, erst unterschwellige, jetzt offene Vergewaltigung der Sprache, um der Wahrheit über die Gegebenheiten keine Chance mehr zu geben, hat genauso um sich gegriffen wie die Möglichkeit, dieses Werk zu dechiffrieren geschwunden ist. Es bedarf einer nicht geringen Portion an Bildung und Technik, um die Perfidie der Verschleierung zu durchschauen und zu dekonstruieren.

Nehmen wir ein ganz unverfängliches, gar nicht politisches Beispiel, um zu demonstrieren, was damit gemeint ist. Momentan schwirrt so ein Begriff durch den Kommunikationsäther, der von der Automobilindustrie lanciert und der sicherlich nicht ohne Hilfe von Marketingagenturen zustande gekommen ist. Es handelt sich um den Begriff des autonomen Fahrens. Der Sinn des Begriffes Autonomie hat seine Geläufigkeit aus dem Verständnis, in der Lage zu sein, selbst zu bestimmen, was für den Akteur gut oder schlecht ist, ohne Bevormundung einer dritten Kraft. Es ist folglich ein Begriff, der auch politisch sozialisiert ist mit den Konnotationen von Freiheit und Unabhängigkeit.

Was die Automobilindustrie jedoch damit bezeichnet, ist ein weiterer, gewaltiger Schritt weg von Individualismus und Unabhängigkeit. Das autonome Fahren beschreibt als Endziel das Ende des Individualverkehrs, die Steuerung derer, die in einem Auto sitzen, durch Bord- und als nächstem Schritt Satellitencomputer, die außer dem Fahrtziel alles regeln. Das, was daran autonom sein soll, kann sich nur auf die Steuerungssysteme beziehen, nicht aber auf die Individuen, die sich in dem Automobil befinden. Und gelungen ist die Umdeutung und interessant, aber auch enttäuschend dabei ist, dass selbst die schlimmsten Automobilafficionados diese Mystifikation weder erkennen noch dagegen revoltieren. Es handelt sich um ein typisches Manöver, wie der Sinn eines Begriffs zweckrational umgedeutet wird und eine phlegmatische Öffentlichkeit so etwas ohne Protest hinnimmt.

Was bereits in einer Frage, die die Mobilität von Menschen betrifft, ohne große Wellen des Widerstandes gelingt, ist im Bereich der Politik längst Usus und gehört zum Tagesgeschäft. Wer in der Lage ist, den Sinn von kollektiven Begriffen umzudeuten, der kann die Emotionen im großen Spiel bereits neu anordnen und aus einer rational zu betrachtenden Angelegenheit die wildesten Zornräusche konstruieren. Man denke nur an das Wort Versteher. Etwas vor gar nicht länger Zeit positiv Besetztes ist zu einem regelrechten Hetzbegriff mutiert. Erst wird die Sprache vergewaltigt und dann wird ihr der Sinn geraubt.