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Besuch aus der Türkei

Ja, es ist kompliziert. Da kommt der Präsident des Landes, aus dem über drei Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger stammen. Ja, do kommt der Mann, dessen Land NATO-Mitglied ist und der von einem neuen osmanischen Reich träumt. Ja, da kommt der Mann, der sehr genau die jüngere deutsche Geschichte studiert hat und der die Türkei nach der Blaupause der Zerstörung der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten in eine Diktatur treibt. Dann kommt noch hinzu, dass dieser Mann sich immer wieder mit einer brachialen, beleidigenden Rhetorik zu Wort gemeldet und die Nachkommen der von ihm selbst so akribisch kopierten Faschisten selbst als Faschisten bezeichnet hat. Das alles aufgelistet, stellt sich die Frage, warum und wer nur diesen Poltergeist zu einem offiziellen Staatsbesuch in Deutschland eingeladen hat? Nun, jetzt ist er da.

Politiker aus dem Regierungslager, die die Haltung der Regierung zu dem Besuch des türkischen Präsidenten verdeutlichen wollten, sprachen von der komplizierten, bereits beschriebenen Gemengelage. Letztere ist eigentlich noch komplizierter. Denn es sitzen auch deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in türkischen Gefängnissen und der türkische Geheimdienst operiert mehr oder weniger offen auf dem Territorium der Bundesrepublik, um türkischstämmige Menschen einzuschüchtern oder zu verfolgen. Hinzu kommt, dass der einstigen wirtschaftspolitischen Erfolge durch eine zunehmend von Korruption und Verschwendung durchdrungenen Steuerung zu ihrem Gegenteil gewendet wurde und die Türkei immer wieder militärisch nicht nur völkerrechtswidrig in Syrien operiert, sondern auch das Militär gegen Teile der eigenen Bevölkerung einsetzt. Um aus der Wirtschaftskrise zu kommen, wünscht sich der türkische Präsident Unterstützung aus Deutschland und für seine militärische Operationen Waffen. 

Nun überlegt die Regierung, wie sie mit dieser komplizierten wie komplexen Gemengelage am besten umgeht. Das kann sie machen, und sie macht das so, wie sie alles macht. Sie betrachtet die Lage ohne eigenes Selbstverständnis und ohne eigene Haltung. Hätte sie so etwas, dann müsste sie nicht so lavieren. Wer selbst keine Haltung an den Tag legt, suggeriert, alles sei verhandelbar. Wenn wir davon ausgingen, dass wir der Aussage folgten, dass wir aus der Geschichte gelernt hätten, dann wäre es folgerichtig, dass wir mit einem Tyrannen, der sich ein Vorbild an den nationalsozialistischen Taktiken und Methoden nimmt, uns nicht an einen Tisch setzen, um zu verhandeln. Wenn wir es ernst meinten mit dem Auftrag des Grundgesetzes und der zu mindest einmal fixierten Position, dass es um Verteidigung und nicht um Aggression ginge, dann würden wir uns nicht mit einem Bündnispartner einlassen, der den Krieg ins Bündnis holt.

Und wenn wir es ernst meinten mit einem Standpunkt, dann lieferten wir dorthin weder Waffen noch sonstiges Know how. Nur sind Standpunkte und Haltungen nicht so gefragt in der Spät-Ära Merkel. Und deshalb ist es folgerichtig, dass alles sehr kompliziert ist, wie es immer wieder berichtet wird. Wer einen Standpunkt hat statt doppelter Standards, der hätte keine Probleme mit einer vermeintlichen Komplexität. Das Problem des Erdogan-Besuches ist die Inkonsistenz der eigenen Position. Spätestens bei seiner Forderung, ihm 69 Menschen auszuliefern, hätte zur Folge haben müssen, ihn direkt wieder zum Flughafen zum bringen. Da wäre der so oft zu Recht  geschmähten Bundesregierung breiter Applaus sicher gewesen. 

Was daraus gelernt werden kann? Ganz einfach: Die Armut eigener Standpunkte macht die Welt wirklich komplizierter. 

Der Tiefe Staat

Historisch stammt der Begriff aus der Türkei. Bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts tauchte er das erste Mal auf, in den Neunzigern wurde er zum feststehenden Begriff.  Er umschreibt ein Phänomen, das allerdings kein türkisches Unikat ist. Es geht um die Netzwerke und Verbindungen innerhalb eines Staatsapparates, die nicht durch offizielle Mandate, Aufträge oder Gesetze sanktioniert sind. Es ist das Zusammenspiel von Kräften aus Justiz, Geheimdiensten, Sicherheitskräften, Militär und bestimmter Ministerien. Sie organisieren bestimmte Aktionen, die bezwecken, die Macht zu zentralisieren und bestimmte Kreise aus der Industrie zu begünstigen, die ihrerseits das Treiben der ätherischen Nomenklatura finanzieren. Es handelt sich um den berühmten Staat im Staate. Und selbstverständlich sind derartige Tendenzen überall dort zu beobachten, wo dei Demokratie gezielt unterminiert werden soll und wird. In der Türkei ist das immer wieder gelungen, und auch zum jetzigen Zeitpunkt wird dort von einem mächtigen Tiefen Staat gesprochen.

Gelegenheit, sich wie gewohnt moralisch überlegen zu fühlen und den Tiefen Staat in der Türkei anzuprangern, bleibt kaum, denn mit der Publikation Jürgen Roths „Der Tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob“ 2016 fand das Modell auch Anwendung für die Bundesrepublik. Angesichts trauriger Phänomene wie der jahrelange NSU-Prozess und die immer noch existierende Dunkelheit über die staatliche Rolle bei der organisierten rechten Kriminalität oder der abenteuerlichen Kredit- und Finanzpolitik, die nur im Lichte von Waffenexporten erklärlich wird, ist die Frage nach Struktur und Stärke des Tiefen Staates in der Republik mehr als berechtigt.

Da hilft es auch nicht, wenn die Frage, die immer virulenter wird, jetzt nach altem Muster wieder einmal heftig am Beispiel der USA abgearbeitet wird. Dass dort ein Tiefer Staat existiert, ist unzweifelhaft. Das, was dort als der militärisch-industrielle Komplex genannt wird, ist seit dem Vietnam-Krieg in aller Munde und für die meisten US-Amerikaner seit mehr als einem halben Jahrhundert Gewissheit. Auf den amerikanischen Tiefen Staat gehen Kriege wie politische Morde zurück, es stellt sich eher die Frage, welche Kriege nicht auf ihn zurückgehen. Das Interessante an dem Phänomen und seiner Analyse ist allerdings nicht die moralische Entrüstung, die nichts anderes darstellt als eine weitere Nebelkerze, sondern die entsprechenden Schlüsse, die dazu führen, wie der Formierung des Tiefen Staates entgegengearbeitet werden kann. Denn das Muster arbeitet bereits sehr erfolgreich auf beiden Seiten des Atlantiks. Und das Schlimmste, das die Betrachtung zeitigen könnte, wäre die Illusion, selbst von dem Phänomen nicht befallen zu sein.

Und da wären wir wieder bei der Türkei. In der Türkei bedurfte es eines schillernden Militärputsches, um aus dem Tiefen Staat über Nacht den neuen Staat zu machen. Der Tiefe Staat hatte dort mit aller Vehemenz den formal demokratischen Staat durch gezielte Schläge gegen Justiz, Polizei, Bildungsinstitutionen und Presse regelrecht sturmreif geschossen, bevor ein Operettenstreich das Signal für die offizielle Übernahme durch den Tiefen Staat gab. Letzteres ist dann der Akt der Diktatur, der ins Haus steht, wenn der Tiefe Staat genug Zeit und Raum hatte, um sich zu etablieren.

Es ist wichtig, alle Erscheinungen, die auf die Aktivitäten des Tiefen Staates hindeuten, hier, im eigenen Land, zu enthüllen, zu betrachten und politisch anzuprangern. Der Kampf gegen den Tiefen Staat ist essenziell bei der Verteidigung der Demokratie. 

„Wir sind noch da!“

Terry George. The Promise

Der nordirische Regisseur Terry George hat sich eines Themas angenommen, das bis heute politische Brisanz besitzt. Es handelt sich um den Völkermord an den Armeniern durch das türkische Militär im I. Weltkrieg. Unter dem Titel The Promise (Deutsch: Die Erinnerung bleibt) gelangte Georges Film in die Kinos und löste sofort große Betroffenheit und hitzige Debatten aus. Wie bekannt, erreichte das Thema auch den deutschen Bundestag. Dieser verurteilte den Genozid an den Armeniern in einer Resolution, was zu einer ernsthaften Verstimmung des türkischen Präsidenten Erdogans führte. Fakt ist, dass bisher alle türkischen Regierungen, inklusive der heutigen, den Tatbestand des Völkermords an den Armeniern kategorisch leugnen. Fakt ist auch, dass während des I. Weltkrieges 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier ihr Leben verloren.

Angesichts der immer noch vorherrschenden politischen Brisanz ist es ein Verdienst, anhand eines Films auf die Zusammenhänge hinweisen zu wollen. Und was dem Film in hohem Maße gelingt, ist die Darstellung der Konsequenz des Vorgehens seitens des türkischen Militärs und des Ausmaßes der Vernichtung. Was die Brisanz reduziert, ist die als Rahmenhandlung ersonnene  Liebesgeschichte und Ménage à trois  zwischen einer weltgewandten Armenierin, einem aus der armenischen Provinz stammenden Studenten und einem amerikanischen Auslandskorrespondenten, der furchtlos über das Morden berichtet. Diese Beziehung liefert die erzählerische Konsistenz, die nicht immer gegeben ist. Was ein Rätsel bleibt und im Film – leider – nicht versucht wird aufzuschlüsseln, ist das Ressentiment der Türken gegenüber den Armeniern. Es wird zwar deutlich, dass im Vorkriegs-Konstantinopel sehr reiche und mit großem Einfluss agierende Armenier leben, mehr aber auch nicht. 

Mit Ausbruch des I. Weltkrieges beginnt das Gemetzel, dass in seiner filmischen Schilderung in vielem an den deutschen Holocaust erinnert. Die Zuschauer werden Zeugen großer Grausamkeit und einer verzweifelten Flucht, weil es heißt, dass französische Kriegsschiffe am Schwarzen Meer zu einer Rettung bereit stehen. Eingebaut ist auch der historisch verbürgte Aufstand armenischer Flüchtlinge am Berg Musa Dagh, der in der Filmhandlung kurz vor der tatsächlichen Rettung von viertausend Flüchtlingen, darunter einige hundert Waisenkinder, durch ein französisches Kriegsschiff steht. Dazu sei an dieser Stelle Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ als Lektüre geraten.

Der Film endet mit einer Szene aus dem amerikanischen Exil aus dem Jahre 1942. Einer der Protagonisten ruft vor Schulabsolventen, die sich zum Teil zur amerikanischen Armee gemeldet haben, einen Trinkspruch aus. Die Anwesenden sind die damals gerettet Waisenkinder, die nun bereit sind, in den II. Weltkrieg zu ziehen und zu kämpfen. Die Quintessenz des Toasts: Wir sind noch da!

Der Film The Promise liefert einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung des Völkermords an den Armeniern. Er wäre auch ohne Hollywood-Romanze und ohne Devotionalie gegenüber den USA ausgekommen, ohne das Verdienst als Land des Asyls schmälern zu wollen, doch es verzerrt, weil die eigentliche Domäne der Exil-Armenier Frankreich wurde. Abstriche, aber dennoch sehenswert. Übrigens: Böse Kritik und Verleumdungsklagen aus der Türkei, wo der Film nicht gezeigt werden darf.