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Das ganze Elend Europas
Ulrike Guérot, Hauke Ritz, Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – Und wie wir wieder davon träumen können
Manchmal reicht eine Talkshow, um aus einer veritablen Wissenschaftlerin einen Paria zu machen. So ist es Ulrike Guérot widerfahren, als sie den Fehler begangen hat, einer Einladung in die Sendung eines Markus Lanz zu folgen und sich dort von einem Konsortium von Kriegsbefürwortern auf den Anklagestuhl setzen zu lassen. Sie besaß dort nämlich die Frechheit, nach der Vorgeschichte und den Ursachen des Ukrainekrieges zu fragen und sprach dann noch die Notwendigkeit aus, diesen Krieg so schnell wie möglich beenden zu müssen. Kurz danach fragten bereits die ersten Eiferer, ob so ein Mensch eine Professur an einer deutschen Universität innehaben könne. Damit war ein Szenario entstanden, dem die Beklagte nun, zusammen mit dem Autor Hauke Ritz, in Form eines Buches zu begegnen sucht. Es handelt sich dabei um „Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – und wie wir wieder davon träumen können.“
Was zunächst, gemessen an den täglichen Nachrichten, wie eine ferne Angelegenheit erscheint, ist eng mit den heutigen Zuständen verbunden. Die beiden Autoren erzählen noch einmal die Geschichte eines europäischen Einheitsgedankens, der durch die Verheerungen von zwei Weltkriegen gespeist wurde und der durch die Versöhnung Deutschlands und Frankreichs und durch deren gemeinsames Vorgehen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts Fahrt aufnahm. Alles, was bis vor wenigen Jahren als die Errungenschaften einer europäischen Einigung erlebt wurde, stammt aus dieser Zeit. Von der Überwindung der Grenzen bis hin zu einer einheitlichen Währung wurden große Schritte gegangen, die getragen waren von einer Vision, die als Erfüllung der europäischen Aufklärung anzusehen waren, von der Friedfertigkeit bis zur Pluralität, von autonomer Regionalität bis hin zu bundesstaatlicher Handlungsfähigkeit.
Die Zäsur bildete das Ende des Kalten Krieges, der Zusammenbruch der Sowjetunion und die deutsche Einheit. In den USA, und damit kommen die Autoren zur Sollbruchstelle des Ganzen, sprach man vom Ende der Geschichte und schaute auf ein amerikanisches Zeitalter, das sich sehr schnell als ein Debakel für Europa entpuppte. Während die angelsächsische Welt an der alten Imperial-Theorie festhielt, einen Keil zwischen Russland und Rest-Europa treiben zu müssen, fand dieses Rest-Europa nicht die Stärke, die eigenen Interessen in eine Politik der Selbstbestimmung und Selbstverortung münden zu lassen. Mit dem Regime Change in der Ukraine 2008 und der Zerreißprobe dieses Landes 2014 begann eine Periode der militärischen Aufrüstung, die umso mehr beeindruckt, als dass die wenigen Seiten in dem Buch durch die kalte Aufreihung der Manöver, Waffenlieferungen, Aufrüstungserklärungen etc. einem das bloße Entsetzen in die Augen treiben und das vorherrschende Narrativ von dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine als nackten Zynismus erscheinen lassen.
Europa, um das es in diesem Buch geht, hat in diesem Konflikt, der die Notwendigkeit für Europa negiert, Frieden nur mit und nicht ohne oder gegen Russland gestalten zu können, sein Gesicht verloren. Alles, was unter der Vision der europäischen Einigung in den Köpfen vorherrschte, Frieden, Demokratie, der Diskurs um die Wahrheit, die Toleranz und der Respekt, liegt nun din Trümmern auf einem Kriegspfad. Europa huldigt dem Nationalismus, Europa beschließt Sanktionen, Europa liefert Waffen.
Wie Europa wieder zu sich selbst finden könnte, das wird in einem letzten Kapitel beschrieben und sei all denen empfohlen, die in diesen vergifteten Zeiten die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Es ist ein mutiges Buch, das nicht nur lesenswert ist, weil es den Konnex von einer formulierten Imperial-Theorie und einem strategischen Vakuum mit seinen dramatischen Folgen darlegt, sondern auch den ganzen Unsinn widerlegt, mit dem die klugen Köpfe Europas täglich belästigt werden.

Corona: Auf dem hell beleuchteten Seziertisch
Ulrike Guérot. Wer schweigt, stimmt zu
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat sich mit einem Buch zu Wort gemeldet, das in positivem Sinne als ein Pamphlet in unruhigen Zeiten bezeichnet werden muss. Unter dem Titel „Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen“ zieht sie Bilanz über das, was als die Corona-Pandemie bezeichnet wird. Sie zeigt auf, was der Versuch, eine Krise zu managen, als Ergebnis zutage gefördert hat. Vor allem unter dem Aspekt der tatsächlichen Ergebnisse hinsichtlich der Gesundheit und ihres Systems, der Art und Weise, wie die Wissenschaft und ein wie auch immer selektiertes Expertentum zu Wort kam und mit welchen Mitteln die Politik versucht hat, ohne den Demos als Subjekt die Krise zu bewältigen. Mit dem Seziermesser hat Guérot die Vorgänge untersucht und ihre Urteile liegen in dieser Schrift auf dem hell beleuchteten Seziertisch.
Auf den ihr zur Verfügung stehenden 140 Seiten hat sie in drei Kapiteln das Geschehen analysiert. In „Wo wir stehen“ zieht sie die verheerende Bilanz. Es wird der radikale Abbau demokratischer, in der Verfassung als „unveräußerlich“ apostrophierter Rechte geschildert, es wir dokumentiert, mit welcher Propaganda, die Angst und Schrecken verbreitete und die daran gearbeitet hat, positive Begriffe in ihr Gegenteil zu verkehren. Das Machwerk der privaten wie staatlich organisierten Meinungsmaschinen, so wie es sich heute gebärdet, könnte Stoff literarischer Dystopien sein. Das System von Regel und Sanktion, das nahezu von der kompletten politischen Elite zum Mantra erhoben wurde, ist, so das bittere Fazit, eine dramatische Ramponierung der Demokratie, durchgesetzt mit der absurden Rhetorik, es handle sich um deren Rettung.
In „Was passiert ist“ geht es um Wahrheit und Erzählung sowie um Macht und Verschwörung. Es sind die Felder, auf denen sich das Spiel entfaltet hat. An zahlreichen, gut recherchierten und ebenso nachvollziehbaren Beispielen illustriert Guérot die Diskrepanz zwischen dem, was als Faktenlage bezeichnet werden kann und muss und dem, was in einer Erzählung, oder im Neusprech der Consulting-Welt, als Narrativ bezeichnet wird. Wer weiß eigentlich nicht, dass das Feindbild der Nicht-Geimpften mit der vermeintlich totalen Eindämmung des Virus nichts, aber mit den Mängeln des Managements alles zu tun hat? Und, was in der heutigen Welt der Politik wie des Journalismus zu peinlicher Ausgrenzung führt, aber den Schlüssel zu tatsächlicher Kausalität bietet, nämlich die Frage nach der Macht, wurde mit den lächerlichen Vorwürfen der Verschwörungstheorie versucht zu unterbinden.
In einem dritten Kapitel mit dem Titel „Was wir jetzt machen“ entwirft die Autorin das Gegenkonzept zu der gegenwärtig die Demokratie schreddernden Politik einer überforderten Funktionselite, die zunehmend aggressiv wird, weil sie um ihre strategische Lage weiß. Es ist das Konzept einer radikalen Demokratisierung, der Dezentralisierung von Regionen und Macht, einer Reinkarnation des Souveräns, der selbst in die Verantwortung muss. Das ist keine kleine Aufgabe, aber alle anderen Wege führen in den autoritären Staat.
Das Buch ist nicht nur lesenswert, es ist in seiner konzisen Form ein Muss, wenn man aus dem Albtraum des Corona-Managements erwachen und den Blick für die Zukunft frei bekommen will. Es ist eine Art Prüfungsbericht, der die Aktivitäten und Resultate unter die Lupe nimmt. Und angesichts dessen, was momentan den Krieg in der Ukraine betrifft, ist es ebenso erhellend. Man ist dabei, die Techniken der Entmündigung zu verfeinern. Auf brutal banale Art.
- Herausgeber : Westend; 1. Edition (7. März 2022)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 144 Seiten
- ISBN-10 : 3864893593
- ISBN-13 : 978-3864893599
- Abmessungen : 12.7 x 1.6 x 20.6 cm
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