Schlagwort-Archive: Veränderung

Wenn sich alles sehr schnell ändert

Manchmal ist es schwer, anzuerkennen, dass sich etwas, das Jahre oder Jahrzehnte Bestand hatte, plötzlich ändert und nicht mehr so ist, wie es war. Das ist menschlich. Denn nichts ist so langsam in seinem Reifeprozess wie menschliches Verhalten. Bevor das sich ändert, muss vieles geschehen. Es muss sich herausstellen, dass die Verhältnisse, auf die man sich einlässt, etwas Regelmäßiges haben, und dass die Menschen, die in diesen Verhältnissen eine Rolle spielen, vertrauenswürdig sind. Erst dann, ganz langsam, mag sich eine Routine herausbilden, an der sich die verschiedenen Seiten beteiligen. Und Routinen geben Sicherheit. Und Sicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was als das menschliche Bedürfnis nach existenziellem Rückhalt bezeichnet werden kann. 

Sicherheit im Übermaß wiederum nimmt den Raum für die Dynamik des Lebens schlechthin. Es geht also nicht darum, jede plötzliche Veränderung zu beklagen. Wichtig ist allerdings, dass die Zeit des ungläubigen Staunens über eine plötzliche Veränderung als sicher geglaubter Routinen zu einem Verlust an wertvoller Zeit werden kann. Das Staunen, das Entsetzen, die Trauer über die Veränderung haben oft etwas Lähmendes. Es ist das sich Nicht-damit-abfinden-Wollen, das sich in den Vordergrund drängt und dazu führen mag, sich zu spät auf die neuen Verhältnisse einzustellen.

Vieles spricht dafür, dass sich die politischen Konstellationen in der Welt in raschem Tempo verändern und die momentane Zeit so wie oben beschrieben werden kann. Alte, als ehern geglaubte Allianzen zerbrechen und neue Möglichkeiten deuten sich an. Die Beschreibung des gerade dahingesiechten G 7-Gipfels ist ein wundervolles Indiz dafür, dass die Trauer, die Angst, die Überraschung und das Entsetzen über eine veränderte Welt in und um dieses Gremium noch überwiegen. 

Dass die Welt vor allem durch die sich in starkem Maße verändernden USA und ein ungeheuer dynamisches China ein neues Bild annehmen würde, ist allerdings seit der Weltfinanzkrise aus dem Jahre 2008 gewiss. Dass, was sich damals abgespielt hat, hat alles dramatisch verändert. Die Weltfinanzkrise hat der Weltmacht USA den Todesstoß versetzt. Seitdem ist die alte internationale Arbeitsteilung vor allem zwischen den USA, Deutschland und Japan dahin. Vor allem Deutschland und Japan galten in dem von den USA garantierten System des Weltmarktes als die beiden Produktionsstätten, die in erster Linie für die Versorgung der Märkte zuständig waren, während die Revenuen der Erlöse an die Wall Street gingen, was wiederum den USA ermöglichte, eine Deckung für die imperialen Infrastrukturkosten zu haben. 

Seitdem letzteres nicht mehr gewährleistet ist, ist es nicht überraschend, dass sich die USA und ihr jetziger Präsident radikal von der Rolle des die Welt beherrschenden Imperators verabschiedet haben und als ungehobelter, popeliger Mitbewerber auf dem Weltmarkt erscheinen. Da wird mit Manschetten wie in den Gründerjahren gekämpft und die scheinbare Wohltäter-Rolle, ruht in den Requisiten. 

Vor allem bei den Vertretern Frankreichs und Deutschlands ist das Entsetzen zu verspüren, dass damit einher geht. Es führt jedoch zu nichts, weil selbst die größte Trauer nicht in der Lage sein wird, die Ursachen für die neue Rolle der USA zu revidieren. Da ist es nun an der Zeit, sich schnell auf die neuen Gegebenheiten einzustellen. Da heißt es, sich nach neuen Allianzen umzuschauen, die Sicherheit herstellen und in denen Vertrauen erarbeitet werden kann. Denn im Saloon, dem Weltmarkt, da geht es banausenhaft zu, da spuckt so mancher die ausgeschlagenen Zähne auf den Boden und ein anderer ballert mit dem Revolver ganz unvermittelt in die Deckenleuchte.  

Veränderung – Struktur oder Mensch?

Die Vorstellung, Verhältnisse, die nicht mehr den Erfordernissen entsprechen, zu ändern, und dann werde alles gut, ist eine statische. Dazu ist das Leben zu komplex. Nicht selten werden jedoch Prozesse, die auf Veränderung aus sind, zu monothematisch, zu eindimensional und zu schlicht von den Initiatoren geplant. In unseren Breitengraden ist dieser Reduktionismus in erster Linie technokratischer Natur. Aus dieser Sichtweise werden vor allem die Strukturen und die in ihnen waltenden Instrumente ins Auge gefasst. Das ist naheliegend, trifft aber nie den Kern. Das Wesentliche bei der Umgestaltung von Verhältnissen sind die Denk- und Handlungsmuster der in ihnen aktiven Menschen. Ändere die Struktur, erneuere die Instrumente, und lasse dabei die Akteuere allein, dann nutzen sie das neue Beiwerk, um ihr altes Spiel zu spielen.

Es existieren unzählige Beispiele für den technokratischen Irrtum, gesellschaftlich, organisatorisch wie sozial. Jede Erneuerung eines Staatswesens, ob bei der Einführung der bürgerlichen Demokratie oder bei der Vollstreckung der sozialistischen Revolution, scheiterte noch daran, dass die Gesellschaft als agierende Kraft keine mentale Erneuerung erfuhr. Die reproduzierten Hierarchien, die restaurierten Machtverhältnisse und die renovierten Abhängigkeiten waren nicht zurückzuführen auf falsche Besitzverhältnisse, irrige Steuersysteme oder schlecht erdachte Institutionen, sondern auf die Denk- und Handlungsweise profilierter Eliten, die es nicht anders kannten und keinen Vorteil darin sahen, sich und ihr Umfeld zu ändern. 

Die unendliche Geschichte des Scheiterns von Veränderungsprojekten produziert in einer deprimierenden Stetigkeit ein Resümee, das so nicht stimmen muss. Es begnügt sich mit der Feststellung, so sei nun einmal der Mensch und seine Geschichte, sie sei die der unendlichen Ungerechtigkeit. Warum, aus heutiger Sicht, die Verzweiflung ausgerechnet bei der Betrachtung von Projekten zustande kommt, die nahezu notorisch das Menschliche ausblenden, muss mit kollektiver Verdrängung zu tun haben. Wer menschliches Handeln und Denken verändern will, sich aber ausschließlich auf Strukturen und Institutionen konzentriert, darf sich nicht wundern, wenn alles so bleibt, wie es ist.

Selbstverständlich existieren Ansätze, den Menschen zum Zentrum erwünschter Veränderung zu machen. Gerne, auf Festveranstaltungen von Pädagogen, wird das berühmte Zitat Saint-Exupérys hervorgeholt, dass da besagt, man müsse die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer wecken, um gute Schiffbauer zu erziehen. Und tatsächlich existiert eine Kultur, die der Bugis auf der Insel Makassar, die das so macht. Im technokratischen Westen, so müssen wir feststellen, bleibt es ein schönes Apercu auf einer literarischen Matinee. In einer kulturellen Hemisphäre, in der der Fokus auf dem Zählen, dem Wiegen und dem Messen liegt, ist Sehnsucht eine als romantisch bezeichnete und belächelte Kategorie zu betrachten.

Es ist höchste Zeit, von dem hohen Ross zu steigen, dass der Industrialismus und die mit ihm einhergehende Technokratie errichtet hat. In der östlichen Hemisphäre existieren metaphysische Begriffe, die es nahelegen, menschliches Fühlen, Denken und Verhalten zum Zentrum gewünschter Veränderung zu machen. Alles, was dem dient, auch Strukturen und Institutionen, erwächst aus dieser Überlegung, nicht umgekehrt. Und vielleicht resultiert die Zeitenwende, die immer deutlicher wird, auch aus diesem Unterschied. Das Materielle des Westens hat im Vergleich zum Spirituellen des Ostens zunehmend das Nachsehen. Es muss ja nicht heißen, dass Wissenschaft und Technik obsolet sind. Aber es heißt, dass der Mensch das Zentrum der Veränderung sein muss. Und nicht sein Umfeld. Und nicht der Apparat. Beim Betrachten des politischen Diskurses wird die ganze Misere deutlich.

Der hohe Maßstab der Veränderung

Wie müssten sie eigentlich genannt werden? Diejenigen, die immer dabei sind, wenn deutlich wird, dass geraubt, getäuscht, vergewaltigt und entfremdet wurde? Ja, sind denn das immer die Gleichen? Meistens. Nur existieren verschiedene Kategorien. Diejenigen, die das Urbesteck für das Verderben erfunden und geschmiedet haben und diejenigen, die es gefunden und in Nachahmung benutzt haben. Wer schlimmer ist, ist klar, der Spiritus Rector ist immer schlimmer als der Nachahmer. Und das Recht auf den ersten Tod hat der Initiator. So einfach ist das. Und so einfach geht es zu, wenn die Ornamente des Alltags verblichen sind und sich nur noch die nackten, existenziellen Fragen stellen. So ist es dann, wenn die Revolution ans Tor klopft, jene Veranstaltung, die alles vereinfacht und bei der, in ihrer edelsten und klarsten Form, keine Grautöne mehr existieren.

In Russland wird derweilen der Jahrestag der wildesten Revolution der Neuzeit begangen. Bis dahin war es nie radikaler zugegangen und nirgendwo wurden alle Beteiligten derartig getäuscht wie dort. Denn es war, obwohl es tatsächlich Arbeiter und Matrosen waren, die das Winterpalais stürmten, keine proletarische Revolution, denn in Sankt Petersburg gab es zwar ein Industrieproletariat, in Rest-Russland aber kaum. Und es war alles andere als eine Bauernrevolte, denn der Kern- und das Herzstück dieses Aufstandes bestanden aus Intellektuellen der Oberschicht und des spärlichen Mittelstandes. Die Knute des Zaren war allgegenwärtig, die Armut und das Elend waren schon öfters Gegenstand wilder Rebellionen gewesen. Die Revolte gegen die Engstirnigkeit und den Provinzialismus allerdings machte die Schärfe der Auseinandersetzung aus.

Klar ist, dass gesellschaftliche Umwälzungen immer auch dazu genutzt werden, um alte Rechnungen zu begleichen. In Russland gab es genügend Abhängigkeitsverhältnisse, um diese persönlichen Rechnungen ins Astronomische steigern zu können. Aber es existierten auch Ressentiments, die selbst dem Zaren zu finster waren und die sich erst mit der Revolution gehörigen Durchbruch verschafften. Eines davon war der bis in die bolschewistische Partei gehende Antisemitismus, der seinen ganzen schamlosen Auswuchs mit Stalins Kampagne gegen Leo Trotzki fand. Dass Lenin als Philosemit galt, war da längst vergessen, denn zu dieser Phase begann der dogmatische Internationalismus bereits mit seiner Inquisition, die sich auch gegen die deutschen Einflüsse richteten, die in Lenins Biographie augenscheinlich waren.

Die Finsternis, die der Zarismus über den Kontinent brachte, war dennoch Anlass genug, die Tonnage zur Explosion zu bringen und das Land in zäher Masse heimzusuchen. Jede Revolution ist nicht nur die Begleichung persönlicher Rechnungen, jede Revolution ist auch eine machtvolle Präsentation der kollektiven Vergehens aus der Vergangenheit. Da liegt plötzlich alles auf dem Tisch, jedes Verbrechen, jedes Ressentiment und jede Nachlässigkeit. Dass sich daraus nicht gleich ein gestochen scharfes Bild einer neuen Welt ablesen lässt, ist nicht das Versäumnis der Revolution, sondern der Verhältnisse, die zu ihr geführt haben. Das sollten alle im Sinn haben, die schon immer alles besser wussten und bei Gestaltungsprozessen nie in die Verantwortung gingen.

Menschen, die bereit sind, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, sind für das, was sie bewerkstelligen, in die Verantwortung zu nehmen. Dass sie nicht besser sind als, die Verhältnisse, aus denen sie stammen, sollte niemanden verwundern. Dass sie allerdings bessere Verhältnisse wollten, reicht nicht als Entschuldigung für schlechte Verhältnisse als Resultat. Es bleibt also dabei: Wer sich erhebt, unterliegt strengeren Maßstäben.